Das Heil kommt von den Juden ossia festliche Verschlimmbesserung

In manchen Punkten bin ich gnadenlos „traddi“. Dazu gehört eine unversöhnliche Feindschaft (okay, vielleicht ist es nicht ganz so schlimm, aber „unversöhnliche Feindschaft“ klingt irgendwie gut) gegenüber dem liturgischen Kalender der ordentlichen Form des römischen Ritus. Zuerst einmal bin ich davon überzeugt, dass es in einem Ritus auch nur einen Kalender geben sollte, zweitens meine ich, dass sich der neue Kalender durch eine grundsätzliche Krankheit der Moderne auszeichnet, durch das „gut gemeint“: Da haben sich Leute unglaublich viele Gedanken gemacht, und das Ergebnis ist trotzdem schlechter als das, was sich durch die Jahrhunderte entwickelt hat, eben, weil die Menschen nur ihren eigenen Erfahrungshorizont und nicht den der Jahrtausende in ihre Überlegungen einbezogen haben. Das klingt nach einem harten Urteil. Ist es auch. Als Konvertitin komme ich zudem aus der evangelischen Tradition, die keine Kalenderreform durchgemacht hat, ich bin also von klein auf den „alten“ Kalender gewöhnt, und auf Liebgewonnenes verzichtet man natürlich nur ungern.

Exkurs: Paradebeispiel für misslungene Festverlegung ist etwa das Christkönigsfest: Im alten Kalender feiert man es Ende Oktober, und damit am Ende der fett- und segentriefenden Zeit des Herbstes und des Erntedank. Damit ist es eingebunden in die allgemeine Ordnung des Jahres (jedenfalls für die westliche Hemisphäre…), und lässt zu, dass das Ende des Kirchenjahres über das Allerseelengedenken in den Winter und in das Bewusstsein für die eigene Vergänglichkeit hineinfließt und in einen neuen Advent mündet. Die Stille des Novembers wird nicht noch einmal durchbrochen, sondern in die Dunkelheit und Stille bricht das ebenfalls ruhige Licht des Advent. Den letzten Sonntag des Kirchenjahres als Christkönigsfest zu begehen, ist dagegen natürlich wohlüberlegt, ja, er ist der Herr über alles, Jahr und Tag, Zeit und Ewigkeit, steht aber dem jahreszeitlichen Charakter und auch der „organischen“ Dramaturgie entgegen und ist somit eben – gut gemeint.

Nun ist dieses Beispiel nicht besonders dramatisch, denn wenigstens gibt es das Christkönigsfest (das ja auch eher ein jüngeres ist) noch. Viel ärgerlicher ist es, wenn ein wichtiges Fest überdeckt oder abgeschafft wird. Dazu muss man sagen, dass es so etwas natürlich immer gab: Katholiken feiern einfach so gern, dass es mehr Anlässe als Tage im Jahr gibt, da muss dann schon mal das eine oder andere Fest dran glauben. In diesem Fall aber geht es um ein mir persönlich besonders liebes Fest, das ich als Protestantin noch begehen konnte und nicht missen will: Den Oktavtag von Weihnachten am 1. Januar als Fest der Beschneidung des Herrn.

Stattdessen wird das Hochfest der Gottesmutter begangen. De Maria numquam satis – ich bin die letzte, die findet, dass es zu viele Marienfeste geben könnte. Dennoch: Zwar tut es gut, ein neues Jahr jeweils unter den besonderen mütterlichen Schutz und Segen der Gottesmutter zu stellen, keine Frage. Aber angesichts der Tatsache, dass wir viele „konkrete“ Marienfeste haben, die nicht mehr wirklich gefeiert werden, von Tempelgang und Heimsuchung bis zum Loskauf der Gefangenen und Maria vom Siege, ist es irgendwie seltsam, ausgerechnet das Fest der Beschneidung Christi mit einem etwas allgemein-abstrakten, fast möchte ich sagen „blassen“, Marienfest zu übertünchen, zumal der Beginn des bürgerlichen Jahres für Christen ja gar nicht ausschlaggebend ist. Außerdem wird Maria in der Weihnachtszeit und am Oktavtag sowieso besonders geehrt (wie ja eigentlich auch sonst…). Dementsprechend war der ursprüngliche Platz dieses Festes auch gar nicht der Jahresanfang, was kaum verwundert, das „gut gemeint“-Syndrom ist schließlich mehr oder minder eine Nachwirkung des Zweiten Vatikanums.

Das Fest der Beschneidung Christi ist bedeutungsvoll, weil es dem Christen seine jüdische „Abstammung“ vor Augen führt. „Das Heil kommt von den Juden“, und so war Jesus nicht nur Jude, er war der Jude, der das Gesetz vollkommen erfüllt hat. Sublimiert zum Hochfest der Gottesmutter (natürlich besteht ein innerer Zusammenhang zwischen Jesu Judentum und seiner Geburt aus einer jüdischen Mutter, ebenso wie ein Zusammenhang besteht zwischen der Geburt des Menschensohnes als wahrer Gott und wahrer Mensch, der eben als Mensch das Gesetz erfüllt) verliert das Fest nicht nur seinen archaisch-“blutigen“ Charakter – der natürlich neben dem Bund Gottes mit den Menschen auch den Opfercharakter dieses Bundes bereits vorwegnimmt – es verliert auch das spezifisch jüdische Moment.

Spannenderweise wird das Bewusstsein dafür, dass im Christentum der „wilde Ölbaum“ der Heiden auf den „edlen Ölbaum“ der Juden aufgepfropft ist und daraus sein Leben und Heil gewinnt, von zwei Seiten attackiert. Die eine ist das eher ungebildet-gut katholische Lager, also Menschen, die im Christentum das Nonplusultra erblicken, die Zusammenhänge aber nicht kennen und bis heute im Judentum einfach nur die Religion sehen, die Jesus nicht als den Sohn Gottes und Messias bekennt. Die Vereinfachung funktioniert dann ungefähr so: Ich glaube an Jesus als Messias und Gottessohn, die nicht, also haben wir nichts miteinander zu tun. Das ist sehr simpel und sehr falsch. Nebenbei: Ich habe „katholischen“ Antijudaismus immer nur in diesem simplifizierenden und geschichtsvergessenen (und damit per se nicht katholischen) Zusammenhang erlebt. Ich wurde schon mal sehr missbilligend angeguckt, als ich sagte, Maria sei Jüdin gewesen – wie, unsere Maria, Gottesmutter, Braut des heiligen Geistes, die Christin schlechthin, Jüdin? Ja da guckst du. Es geht noch krasser: Gott ist als Jude geboren worden.

Auf der anderen Seite kommt diese Einstellung im Grunde auch den Juden sehr gelegen (und denen, die politisch korrekt vermeiden wollen, bei Juden anzuecken), denn auch von jüdischer Seite ist das Verständnis für den Zusammenhang zwischen Judentum und Christentum weitgehend nicht vorhanden, und wäre es das, würde es zu Verstimmungen führen: schließlich ist es ein klassischer Fall von „appropriation“, also „widerrechtlicher“ religiös-kultureller Anmaßung, dass Christen nicht bloß meinen, den beschnittenen Sohn Gottes und Messias zu verehren, nein, sie feiern auch noch den Tag seiner Beschneidung, wo kommen wir denn dahin? Wenn deutlich wird, dass Christen das Judentum nicht als solches ablehnen, sondern das Christentum als im Judentum selbst notwendigerweise prophezeite, vorhergesehene, ja, von den Vätern ersehnte Vervollständigung und Erfüllung desselben begreifen, dann beinhaltet dies eine gewisse Verpflichtung, sich mit den Aussagen des Christentums zu beschäftigen. Man kann es dann nicht mehr als bloße Spinnerei abtrünniger Juden und abergläubischer Gojim abtun, sondern müsste sich fragen, wie eine Religion das konstituierende Element der eigenen Religion, den Bundesschluss durch Beschneidung, feiern kann, und dennoch so ganz andere Inhalte gleichermaßen bekennt. Leider stellen sich nur sehr wenige Juden dieser Herausforderung, was natürlich auch mit daran liegt, dass nur wenige Christen diesen Zusammenhang überzeugend leben – wogegen echte Anmaßung, das Aufstellen einer Menora oder das Nachfeiern jüdischer Feste etwa, in manchen Kreisen Konjunktur haben, aber in diesen Fällen lediglich Unkenntnis offenbaren.

Auch gibt es eine Opposition seitens derer, die stillschweigend davon ausgehen, der Gott des Neuen Testaments sei ein anderer als der des Alten. Da passt Beschneidung ja nun gar nicht – Blut! Beschneidung! Das ist doch der grausame, altertümliche Gott, eine Projektion unaufgeklärter Semiten, nicht unser lieber Opa auf der Wolke. Viele Christen sind ja irgendwie der Meinung, der Gott Abrahams wäre nichts als ein erweiterter Baal und das Gesetz des Mose eine menschengemachte Institution, und da würde es das aufgeklärte Selbstbild arg strapazieren, wenn der Herr (ja, der HERR) seine eigenen Anweisungen ernstnähme und sich bei seiner Ankunft erst mal beschneiden ließe. Übrigens finde ich es sehr amüsant, dass derlei Gedankengut das Christentum zur völlig irrationalen, nicht begründbaren, rein individuellen und wenig stichhaltigen Idee herabstuft, da ja seine ganze Herleitung aus dem Alten Bund als Konstruktion abgetan wird. Dies ist aber denjenigen, die so denken, überhaupt nicht klar! Wenn ich etwas für wahr halte, dann würde ich versuchen, Gedankengänge zu widerlegen, die es als Irrtum darstellen! Übrigens ist diese Haltung auch implizit antijudaistisch, by the way.

Die Beschneidung des Herrn zu begehen, verbindet uns mit dem Sehnen unserer Vorväter, sie ist die Bestätigung dafür, dass Christus aus dem auserwählten Volk hervorgegangen ist und tatsächlich das Gesetz erfüllt. Sie ist die Bestätigung dafür, dass der Alte Bund tatsächlich die Verheißung eines wirklich eingetretenen Heils ist, dass das Schicksal Abrahams und des Volkes Israel nicht den Launen eines sadistischen Gottes geschuldet ist, sondern die Vorwegnahme und Vorausdeutung der real existierenden Erlösung ist. Sie ist unter vielen anderen Zeichen eines, das das Christentum als historisches Faktum festschreibt, das den Fabeln der Völker und den Ideen der Genies als Offenbarung von Gott her entgegensteht. Das Christentum ist keine abergläubische heidnische Spinnerei, sondern tatsächlich der Neue Bund in Christi Blut – Blut, das auch bei der Beschneidung vergossen wurde. Durch diesen Hinweis auf Jesu Opfertod wird zudem also das Weihnachtsfest auf den herben, rauen Boden der Heilslehre zurückgeholt, den es durch das Zusammenwirken von süßlichen Putten und Wiegenliedromantik gerne mal verliert. Das sind sicher für viele Menschen sehr abstrakte, schwer verständliche Gedanken, für manche gar unangenehm; was aber eben vorrangig daran liegt, dass man diese Zusammenhänge –  z.B. am ersten Januar – nicht mehr beleuchtet.