Wer ist eigentlich der Feind? Zum Fest Mariä Namen.

Heute feiert die Kirche das Fest Mariä Namen. Dieses Fest wurde einige Zeit nach dem Sieg über die Türken vor Wien am 12. September 1683 auf diesen Tag, den 12. September verlegt, so dass es, wie so viele marianische Phänomene, mit der Bekämpfung des Islam in Verbindung steht.

Nun bringen solche Dinge den normalen Katholiken von heute etwas in Verlegenheit. Zum einen betrachten wir in Westeuropa den Sachverhalt „Krieg“ so, als sei er irgendwie ganz weit weg. Wir sind dabei sehr pragmatisch: Rückt der Krieg näher, rücken wir weg. Die Ukraine, vor wenigen Jahren noch Teil Europas, ist plötzlich ungefähr so weit weg wie der Mond, seit Putin dort seinen großrussischen Backlash verwirklicht. Noch härter gehen wir mit etwas um, das wir als Religionskrieg verstehen. Dass man sich aus religiösen Gründen bekriegt, das machen nur ganz Zurückgebliebene, und Menschen, denen wir in kolonialer Großherzigkeit leider noch nicht genügend aufklärerischen Segen gebracht haben. Wir machen da nicht mit, und wenn religiöser Krieg uns bedroht, dann lassen wir die Amis machen, um hinterher über sie zu meckern. Und über Israel natürlich. Aber das ist ein anderes Thema. Wie dem auch sei, zu erklären, wie bzw. dass wir heute noch ein Fest feiern, das angesichts des Relativismus‘ unserer Zeit geradezu atavistisch wirken muss, ist nicht so einfach.

Nun würde einmal ein gründlicher, fairer Blick in die Geschichte helfen: Der Kampf gegen den Islam ist bis ins 17. Jahrhundert und sogar noch später kein kolonialistischer Kampf um den Islam zu verdrängen. Es ist der Versuch, zu verhindern, dass sich der Islam in christlichen Gebieten ausbreitet. Wenn man bedenkt, dass ja die nordafrikanische und syrische christliche Kultur so gründlich ausgelöscht worden sind, dass man ihre Reste als Fremdkörper in ihrer eigenen Heimat begreift und dass die Armenier und zwischenzeitlich die Griechen nur knapp dieser Auslöschung entkamen (ich mache jetzt keine Forschung sondern schreibe nur die Fälle auf, die mir spontan in den Sinn kommen), dann wirkt es nicht übermäßig aggressiv, dass man es nicht so toll fand, als im 8. Jahrhundert urplötzlich so ein ganzes muslimisches Heer mitten in Frankreich stand (bis Tours und Poitiers muss man ja erst mal kommen – und das gerade mal 100 Jahre nach der Hidschra), oder dass die Türken den Wienern 1683 mehr schenken wollten, als bloß Kaffeehauskultur. Die Scharia z.B.

Um die Sache abzukürzen und nicht in Gefahr zu geraten, mich wort- und quellenreich von identitären, neurechten und fremdenfeindlichen Ideen abgrenzen zu müssen, wäre ich an dieser Stelle (obwohl eigentlich nicht vollumfänglich zutreffend) bereits völlig zufrieden mit der lessingschen Einsicht, dass hier offensichtlich zwei Brüder leidenschaftlich, aber relativ gleichauf aufeinander eingeprügelt haben. Damit ignoriert man wie gesagt die Marginalisierung und Unterdrückung der christlichen indigenen Bevölkerung des Nahen Ostens, aber zumindest berichtigt man die historisch verzerrte Wahrnehmung, Europa sei seit seiner Christianisierung der Kolonisator unterdrückter, wehrloser Völker.

Die Frage ist für mich nicht so sehr, wer wann wie historisch wie legitim gehandelt hat, denn wo Menschen sind, da menschelt es nun einmal, und das gilt für Christen und Muslime gleichermaßen. Für mich ist die Frage eher, wer denn nun eigentlich der Feind ist, und da gibt uns zum Glück der heilige Paulus einen zeitlosen Hinweis:

Denn unser Kampf ist nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Gewalten, gegen die Mächte, gegen die Weltbeherrscher dieser Finsternis, gegen die geistigen Mächte der Bosheit in der Himmelswelt. (Eph 6:12, Elberfelder)

Wenn wir davon ausgehen, dass Mohammeds Lehren aus einem gewissen „Geist“ heraus entstanden sind, und da müssen wir jetzt gar nicht konkret Dämon Horst oder Unterteufelin Britta annehmen, sondern eben weiter gefasst zum Teil einen menschlichen, zum Teil einen gegen Gott, d.h. gegen das Gute, gegen die Wahrheit gerichteten Geist, dann ist klar, dass unser Feind nicht, jawohl, liebe spießbürgerliche Freunde gepflegter Leitkultur, das wird jetzt sehr hart für euch, dass unser Feind niemals der Anhänger des Islam ist. Nicht einmal, wenn er uns gerade köpft, unseren Schweinebraten verschmäht oder ein Kopftuch trägt. Der Feind ist die Ideologie, die diesem Menschen eingeredet hat, uns zu köpfen, sei gut, zumindest aber richtig und notwendig. Ja, wenn man angegriffen wird, darf man sich wehren, und man darf auch andere schützen. Aber im Grunde geht es darum, zu verkünden, dass Christus der Sieger ist. Er ist nicht Sieger über Muslime, sondern Sieger über das Böse; und zwar über das Böse in meiner Seele genauso wie über das Böse in der Seele von Fatima.

Das ist der Kern, von dem aus jede Auseinandersetzung zwischen Menschen in ein bestimmtes Licht, und zwar in das Licht Christi, gerückt werden kann (und sollte!): Der Mensch, der mein Gegner ist, ist ein Geschöpf Gottes und als solches berufen dazu, in Einheit mit Gott zu kommen und zu bleiben. Eine Deutung, die den Ungetauften als weniger wert begreift, weil er nicht in Christus eingesenkt ist, ist ungültig, weil uns die Taufe u.a. deshalb geschenkt ist, um sie gerade jenem zu verkünden, damit er auch in die Einheit mit Christus eintreten kann. Insbesondere protestantische Lehre ist hier gefährdet (das sage ich jetzt nicht, weil ich so gerne gegen Protestanten polemisiere, ich meine das in brüderlicher Zuneigung), weil der Protestantismus die Tradition ablehnt, und damit den Verständnisschlüssel für die Deutung des Alten Testaments. So gerät man schneller in die Gefahr, Erkenntnisse, die die Kirche mit den Jahrhunderten immer klarer gelehrt und entfaltet hat, in den Wind zu schlagen (falls man sie überhaupt kennt). Man identifiziert sich dann unter Umständen mit dem Volk Israel vor der Erfüllung der Verheißung und spricht sich damit eine exklusive Vorrangstellung zu, die es erlaubt, andere geringzuachten, etwa nach dem Motto „Die Israeliten durften ja auch alle möglichen Heidenvölker abmetzeln, also dürfen wir das auch.“ In der kirchlichen Tradition ist dieses Missverständnis durch die engere und stringentere Verzahnung von Altem und Neuem Testament leichter zu vermeiden.

Vor diesem Hintergrund ist es bedeutsam, dass die Kirche mit Vorliebe Maria als Bezwingerin von dem darstellt, was wir als Irrlehre begreifen. Als Christ sehen wir das Übel nicht darin, dass jemand Moslem ist. Man ist Moslem qua Geburt, und wir sehen, dass die überwältigende Mehrzahl der Muslime nach einem guten Leben strebt, nicht mehr oder weniger stringent als Christen oder Säkulare. Wir sehen vielmehr, dass der Islam Dinge lehrt, die falsch sind: Er negiert die Freiheit. Er negiert sogar, dass Gott gut ist. Und wir sind überzeugt davon, dass diese Irrlehren es den Menschen schwer machen, zu dem Ziel zu gelangen, dass sie sich wünschen. Wir sind also, wenn man es ganz klar ausdrücken möchte, gegen den Islam für die Muslime nicht gegen sie. Wenn an einem Gedenktag eines Sieges über muslimische Truppen Maria ein Fest gestiftet wird (bzw. genauer, wenn ein Fest auf diesen Termin gelegt wird), dann sagt das aus, dass man gerade keine physische Vernichtung eines irdischen Gegners wünscht, sondern dass man die mütterliche Liebe, die Maria zu uns hat, auch über das Leben dieses irdischen Gegners stellt. Man kann sogar noch konkreter biblisch werden: Mit Maria ist immer auch die Menschwerdung Gottes verknüpft, und damit nicht zuletzt auch die Menschenwürde und eine ganze Reihe anderer christlicher Wahrheiten, die die säkulare Welt heute oft gar nicht mehr mit dem Christentum in Verbindung bringt. Mariä Namen über den Muslimen auszurufen, bedeutet, diese Wahrheiten gegen eine Lehre zu stellen, die den Menschen nicht als Kind Gottes erkennen kann, weil sie Gott nicht als Vater und nicht als Sohn bekennt.

Dass das nicht bloß schönrednerisches Geschwätz ist, erkennen wir daran, dass Maria ganz offensichtlich eine Verbindung zu Muslimen hat und sucht: Die Erscheinung in Fatima etwa weist einen Bezug zum Islam auf, Muslime berichten von Marienerscheinungen. Und auch von muslimischer Seite her wird nach ihr gesucht – immerhin hat sie es als einzige Frau geschafft, im Koran namentlich erwähnt zu werden.

Natürlich geht es mir schon im Alltag so, dass ich meine konkreten aktuellen Widersacher nicht immer in diesem Licht betrachte. Das kann man aber Stück für Stück lernen. Z.B. indem man ein Ave betet für den, den man gerade beschimpft hat. Im nächsten Schritt verzichtet man auf die Beschimpfung usw.

Für die Auseinandersetzung mit dem Islam finde ich es extrem hilfreich, die geistliche Komponente im Ringen um die Wahrheit herauszuarbeiten, und zugleich das Gegenüber stets als Individuum zu betrachten. Der Einzelne ist nicht – wie es die Postmoderne uns gern weismachen möchte – bloßer Exponent einer Idee, während die Idee das eigentliche bestimmende Prinzip sei. Es ist der Einzelne, die Seele des Einzelnen, der zählt. Damit sind auch Versuche, Siege wie den vor Wien für identitäres Europäertum zu vereinnahmen, abgewehrt, und so können wir uns als Christen der Vereinnahmung erwehren, für bloß fremdenfeindliche Belange instrumentalisiert zu werden. Andererseits entgehen wir so aber auch der Verwässerung des christlichen Glaubens, die Nächstenliebe als bequemliche Konfliktscheue missversteht.

Kleiner Nachtrag: Ich war 2009 in Konstantinopel und durfte sehen, dass in der Hagia Sophia die Heilige Jungfrau als Mosaik ausgerechnet über der islamischen Kanzel thront. So isses.

Sancta Maria, Mater Dei, Auxilium Christianorum, ora pro nobis!