Der Gentleman – Anspruch und Wirklichkeit

Vorbemerkung: Der folgende Artikel hat das Potenzial, von denen persönlich genommen zu werden, die es nicht betrifft. Nur so als Vorwarnung. Ich beneide den Mann von heute überhaupt nicht um die schwierige Aufgabe, sich zwischen allgemeiner Misandrie und Sockenstricken ein Refugium aufzubauen, in dem er ein Mann sein darf (oder gar ein weißer Mann, oder, think the unthinkable, ein weißer heterosexueller Mann), ohne deshalb Chauvi oder Macho zu sein.

Szenen aus dem Leben einer Frau, die anonym bleiben will:

Gemütlicher Laber-Abend mit einem Kollegen. Nachts um zwei. Sie: Bringst du mich noch ein Stück nach Hause? Er: Nee. Sie: *ohne Worte*

Szenenwechsel

Sie (SMS): „Du, ich hab ein Problem, ich bräuchte ganz dringend xy. Es tut mir so Leid *blablablablasorryblablabltausendmalsorrydassichexistiereunddieChuzpehabezufragenbla*. Bitte?!“ Er:

Drei Tage später. Er (SMS): „Wie findest du mein neues Profilbild?“

Szenenwechsel

Alleine auf einer förmlichen Party, auf der sie nur einen Mann kennt. Er (im Frack – schick schick): Hallo. Sie: *Aufatmen. Er kann mich Leuten vorstellen.* *Auftritt blonde Ziege* Begleiter für den Rest des Abends: Al Kohol.

***

Die europäische Frau des 21. Jahrhunderts hat ein gravierendes Problem: Den Gentlemanmangel. „Jungs“ gibt es zwischen zwanzig und vierzig massenweise, auch Chauvinisten sind nicht rar. Auf Gentlemen dagegen trifft frau eher selten. Dies hat zur Folge, dass Mädelsabende mit der kompletten Langfassung von Pride & Prejudice (BBC) regelmäßig in hysterischen Heulkrämpfen der Teilnehmerinnen enden angesichts der Aussichtlosigkeit, jemals jemanden zu finden, der nur ansatzweise dem Ideal entspricht. Alternativ wird der Hysterie mit überbordendem Konsum von hübschen Cupcakes oder Scones oder Schokolade Einhalt geboten. Andere Symptome der Mangelerscheinung sind selbige Heulkrämpfe bei der Lektüre von North & South oder, im fortgeschrittenen Stadium, ein resignierter, stummer Toast mit einem Martini (mit dem besten Gin, versteht sich) in Richtung Netflix-Screen auf Inspector Jack Robinson.

Nun gibt es in der dunkelkatholischen Welt, ausgehend natürlich von den USA, eine Bewegung, die dem abhelfen will. Das ist gut. Webseiten wie „The Catholic Gentleman“ (grandios) oder auch texanisch-männliche Blogs wie die von Dr. Taylor Marshall demonstrieren eine Synthese aus Bildung, Feinsinnigkeit, Kraft und Heroismus, preisen männergerecht gestylte Rosenkränze ebenso an wie einen guten Gin, eine Zigarre oder die Schönheit und Verantwortung der Vaterschaft. Dass Catholic Lifestyle auch in ästhetisch und ansprechend geht, ist sicher eine Grundeinsicht der eher traditionell ausgerichteten jungen Generation von Katholiken mit einem hohen Anteil an Konvertiten und „Rückkehren“, also Leuten, die keine Vorurteile gegen einen traditionsbewussten Katholizismus haben, und die nun nach dem opulenten Lebensgefühl suchen, das jede katholische Epoche jeweils in eigener Weise geprägt hat. Dazu gehört dann eben auch je nach Ära ein Konzept von Ritterlichkeit, gentlemanlikeness o.ä.

In der letzten Zeit musste ich allerdings gehäuft eine etwas frustrierende Beobachtung machen, bezüglich selbsternannter Gentlemen katholischer und nicht katholischer Konfession: Es scheint eine gewisse Unklarheit darüber zu bestehen, was ein Gentleman ist. Nun hat die Definition des Begriffs ohnehin ihre Unschärfen und eine historische und soziale Entwicklung hinter sich. Dennoch kann man bestimmte Dinge per se ausschließen. Z.B. ist es schön, wenn mir jemand die Tür aufhält und in den Mantel hilft. Wenn ein Mann auf diese Idee aber nur kommt, wenn ich geschminkt und mit tiefem Ausschnitt unterwegs bin , mich aber links liegen lässt, sollte ich gerade ungeschminkt, übermüdet und verpickelt sein (oder sollte gerade eine interessantere Frau des Wegs kommen), ist das kein Gentlemantum, es ist Chauvinismus. Es bereitet zwar deutlich mehr Vergnügen, einer hübschen Dame beizustehen, als einer hässlichen, aber der Gentleman erwiese sich im nonchalanten Übergehen der Tatsache, dass frau gerade ihren Bad Hair Day o.ä. hat. Das Zelebrieren der Tatsache, wie unsagbar stilvoll man doch gerade ist, mit, sagen wir, einem Vintage-Rasierpinsel von Manufactum oder dem perfekten Smoking, ist ebensowenig gentlemanlike, es ist narzisstisch. Diese beiden tückischen falschen Freunde des ambitionierten Gentleman, Skylla-Narzissmus und Charybdis-Chauvinismus, gilt es heroisch zu umschiffen, wenn man die Gestade echter Gentlemanlikeness betreten möchte.

Der Hang dazu, das eigene Gentlemansein zu zelebrieren, ist an sich erst einmal überhaupt kein Problem. Es ist wunderbar, wenn Männer den Charme des Anzugs, des Zylinders oder der Fliege wiederentdecken, wenn sie nach einer wilden Jugend beginnen, nur noch teuren Alkohol in sich hineinzuschütten oder statt zu Marihuana zur Zigarre zu greifen. Alles top. Es gehört auch zum Gentleman dazu. Aber das ist nicht das letztlich Ausschlaggebende: Gentleman ist man nicht zuerst für sich, man ist es in erster Linie für seine Umwelt. Der Gentleman definiert sich nicht in erster Linie über die geschmackvolle Auswahl an Manschettenknöpfen, sondern über die Bereitschaft, selbstlos und ohne viel Aufhebens zu helfen, und dabei ein Maximum an Haltung zu bewahren. Wenn Gentlemanlikeness in erster Linie bedeutet, dass man sich in seinem eigenen Ästhetizismus suhlt, dann hat man den Kern der Sache nicht erfasst. Es geht eben nicht darum, dass man sich gut fühlt, weil man eine Prinzessin gerettet hat, es geht darum, dass es der Prinzessin gut geht. Abgesehen davon, dass der Gentleman sich nicht nur um hilfesuchende Jungfrauen oder Bombshells kümmert, sondern auch um den alten, verwahrlosten Mann „kicking down the paper with his worn out shoes“ oder eben sonstige Gestalten, die Hilfe und gutes Benehmen nicht durch ihre Attraktivität und schweigsam-beredte Augenaufschläge angenehmer machen, oder einem sonstwie das Gefühl geben, großartig zu sein.

Es ist ein wenig unglaubwürdig, wenn sich Jungs in etwas übertriebener Form einem Lebens-, Kleidungsstil oder Schnurrbart hingeben, der ziemlich aufgesetzt wirkt, solange man nicht englischer Lord oder Mr. Darcy oder Chesterton ist, sie zugleich aber nicht dazu in der Lage sind, jemandem einen Gefallen zu erweisen oder eine Unannehmlichkeit auf sich zu nehmen, die dem anderen wirklich helfen würde. Mir jedenfalls ist jemand, der mir nicht die Tür aufhält, dafür aber hilft, wenn ich ihn um etwas bitte, lieber als jemand, der mir aus dem Mantel hilft und sich den Rest des Abends an dieser fantastisch ritterlichen Geste berauscht.

Also: Frauen (ich meine: „Frauen“, nicht Harpyien des 21. Jahrhunderts, die gucken, als würden sie einen Mann ins Koma prügeln, sollte er es wagen, ihnen einen Koffer in den Zug zu hieven) lieben gut geschnittene Anzüge, stilvolle Auftritte und alles, was zum saper vivere dazu gehört. Aber ein dementsprechendes Verhalten ist nicht das Sahnehäubchen, sondern die Quintessenz des ganzen Aufwands, und zwar gerade dann, wenn es Unannehmlichkeiten und Umstände birgt.

Übrigens gehört diese Form des Gentlemanspielens in die Kategorie des „Instagram-Lebens“: Es wird so getan als ob, man begnügt sich mit einem illustren Schein, anstattdas Leben tatsächlich voll und ganz anzunehmen. Man ersetzt das Sein durch ein „Gefühl“, das nur durch Äußerlichkeiten am Leben erhalten wird. Das ist eigentlich das Gegenteil von dem, was mit der sprichwörtlichen katholischen „Lebensfülle“ gemeint ist!