Sola scriptura? – Warmtippen gegen das Reformationsjubiläum #1:
Die Reformation hat ihre Traditionen. Das ist blöd, wenn man gleichzeitig die Autorität der Tradition ablehnt, eigentlich aber ohne „Tradition“ gar nicht erklären kann, wieso man glaubt, was man glaubt. Man behauptet z.B., die „Schrift allein“ sei Grund der protestantischen Lehre. Dabei ist das Prinzip überhaupt nicht biblisch begründbar! Zwar gibt es Bibelstellen, die auf die Wichtigkeit und Autorität der Schriften hinweisen, aber nie unter Ausschluss anderer Autoritäten: Im Gegenteil: Der Hinweis darauf, dass man glaube und tue, was die „Väter“ von altersher geglaubt und getan hätten, oder was die Apostel von Anfang an verkündet haben, findet sich immer wieder.
Bevor nun der gut informierte Protestant einwendet, sola scriptura stünde ja nicht für sich: Ja, Luther relativiert seine absoluten Aussagen dadurch, dass er vier solche absoluten Prinzipien aufstellt, die gleichermaßen „allein“ gelten: Solus Christus, sola gratia, sola fide und eben sola scriptura dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern gelten nur als Gesamtpaket. Das ist so, und so betrachtet kann man viel Häresiepotenzial aus den Aussagen tilgen, wenn sie auch in sich in ihrem Ansatz schwierig bleiben, denn solus-solus ist eben etwas ganz anderes als et-et. Tatsächlich findet das Zusammendenken dieser Prinzipien praktisch kaum statt, allein schon, weil das Wissen um die Natur der Begriffe „Gnade“ oder „Glaube“ meist gar nicht ausreicht, und auch die Christologie betreffend selbst grundlegende Erkenntnisse der ökumenischen Konzile zum Teil als irrelevant gegenüber der „persönlichen Meinung“ oder gegenüber dem „eigenen Gefühl“ betrachtet werden.
Insofern bleiben die Begriffe meist recht frei formbare Hülsen, in die man einpassen kann, was man will. Bei genauerer Betrachtung erweisen sie sich nicht als tragfähig, wenn man sie nicht empfindlich relativiert. Das Prinzip „Sola scriptura“ z.B. widerspricht sich selbst und führt sich auch selbst ad absurdum.
Betrachten wir erst einmal die Historie, so könnte man etwa mit der Frage beginnen, wer denn bestimmt hat, welche Bücher überhaupt die Heilige Schrift bilden? Anders als der Koran nach muslimischer Überzeugung, ist die Bibel nie als wortwörtlich vom Himmel gefallenes Wort verstanden worden. Auch ihre Gestalt ist nicht einfach von Anfang an festgelegt gewesen, sondern wurde festgelegt – und zwar durch die und in der Gemeinschaft der Kirche im Laufe der Zeit – also durch „Tradition“. Damit hat man neben die lebendige Tradition die schriftgewordene Tradition als verbindlichen Maßstab für erstere (und andersherum) gestellt. Wer also meint, erst sei die Schrift da gewesen und dann die Tradition, der irrt bereits. Die Schrift ist nicht der Anfang – denn „Im Anfang war das Wort“ bezeichnet den Logos Gottes, Christus selbst, nicht das geschriebene Wort. Die Bibel selbst betrachtet den Buchstaben an sich als „tot“, was bereits lehrt, dass es des lebendigen Wortes, Christus, und des Heiligen Geistes bedarf, um es zu beleben und fruchtbar verstehen und anwenden zu können.
Gehen wir in der Geschichte weiter, so hat Luther selbst, der „Erfinder“ des Schriftprinzips, eigenmächtig Bücher der Bibel aus dem Kanon entfernt. Er hat nicht darauf geachtet, was zu allen Zeiten von der „Wolke der Zeugen“ geglaubt worden ist, sondern wollte durchsetzen, was er allein geglaubt hat und glauben wollte. Zudem hat Luther Bücher, die er nicht aus der Schrift tilgen konnte, deren Inhalte aber seinen Lehren widersprachen, als schlecht bezeichnet:
Der Jakobusbrief etwa ist Luther ein Dorn im Auge. Als „stroherne Epistel“ bezeichnet er ihn. Schauen wir uns an, wieso, sollten Zweifel an der Objektivität der lutherschen Lehre aufkommen: Der Jakobusbrief ist eine Grundlage der katholischen Lehre über den Zusammenhang zwischen Glauben und Werk. Während die Kirche wohlgemerkt niemals gelehrt hat, man werde durch Werke gerecht (dies ist eine Behauptung, die immer noch gerne angeführt wird, man wird aber nach einer solchen Lehre in der Kirchengeschichte erfolglos suchen!) , hat sie immer gelehrt, dass dennoch ein gewisser Zusammenhang besteht. Denn wenn ich wahrhaft glaube, ergeben sich aus diesem Glauben Werke. Diese Lehre ist nicht nur biblisch, wenn man den Jakobusbrief betrachtet. Jesus selbst fordert immer wieder Werke ein. Bisweilen misst er ihnen sogar einen höheren Wert als dem Glauben bei. So spricht Jesus etwa „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: HERR, HERR! ins Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel.“ (Mt 7:21). Damit wird also das, was etwa evangelikale Kreise als einzige notwendige Tat betrachten, nämlich das Bekenntnis zu Jesus als dem Herrn und Christus, als unzureichend bezeichnet, wenn es nicht mit den dem Bekenntnis entsprechenden Werken verbunden ist.
Im Jakobusbrief wird der Zusammenhang beispielhaft und besonders klar ausgedrückt. Damit passt die Lehre der Bibel nicht zu Luthers eigener Theorie über die Gerechtigkeit ohne Werke, die er aufstellt, indem er paulinische Aussagen verabsolutiert – und postwendend ist also nicht etwa seine Meinung im Licht der Bibel nicht haltbar, nein, das entsprechende Buch der Bibel ist minderwertig! Aha.
Fassen wir obiges zusammen, erhalten wir also folgendes Bild: Derselbe Mann, der behauptet, allein die Schrift genüge, verändert selbst die Zusammensetzung dieser Schrift UND bezeichnet Teile derselben als minderwertig. Es ist eigentlich nicht schwer, die Absurdität dieses Sachverhalts zu begreifen.
Im Protestantismus aber herrschen zwei Strömungen vor: Die eine ignoriert Zusammenhänge. Die Bibel, wie Luther sie konstruiert, wird einfach als von Anfang an so kanonisiert angenommen, obwohl man eigentlich weiß, bzw. wissen könnte, dass dem nicht so ist. Gemäß der Idee, dass der Protestantismus eine Rückkehr zur Urkirche sei, wird so getan, als sei Luthers Kanon der „ursprüngliche“ – obwohl es keinen „ursprünglichen“ Kanon gibt, sondern eben bloß die Kanonbildung durch die Urkirche selbst! Die „Verfälschung“ wird dann also der katholischen Kirche untergeschoben. Damit entfällt dann die Notwendigkeit, sich zu fragen, wie Luther den Kanon der Urkirche (der katholischen Kirche) ändern und gleichzeitig das Prinzip sola scriptura einführen konnte.
Die andere Strömung hält das Schriftverständnis Luthers ohnehin für überholt und tut damit bloß etwas, was Luther selbst angestoßen hat. Als zeitbedingt und den damaligen Verhältnissen verpflichtet, wird das Prinzip in die ewigen Jagdgründe der Irrelevanz befördert, ebenso wie jedes wörtliche Verständnis der Heiligen Schrift. Wer sich an „sola scriptura“ nicht hält, der hinterfragt es natürlich auch nicht. Spannend ist in dem Zusammenhang, dass es meistens doch noch ab und zu aus der Mottenkiste gekramt wird – und zwar dann, wenn man eine katholische Tradition als angeblich unbiblisch brandmarken will. Dafür ist das Prinzip dann gut genug.
Es gibt allerdings noch ein weiteres major problem mit der ganzen konfusen Idee, abgesehen von der dubiosen Haltung Luthers gegenüber seinem eigenen Grundsatz. Wer sagt, „Allein die Schrift“, der sagt eigentlich „Allein ich“. Wie das? Nun, das erkläre ich in Teil 2.
Dies ist ein Beitrag der Reihe „Warmtippen gegen das Reformationsjubiläum“. Da man sich nicht auf destruktive Artikel beschränken sollte, hier der Hinweis: 2017 ist Fatimajahr!
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