Katholiken aller Länder!

Statements von Leuten, die dabei waren: „Einmalig“***“Unglaublich“***“Die beste Zeit meines Lebens“***“Ein Muss“***“Niemals mehr ohne!“***“Der pure Wahnsinn“***“Ich musste danach meinen Fuß amputieren lassen, aber es hat sich gelohnt: Besser mit nur einem Fuß ins Himmelreich eingehen als nicht nach Chartres gepilgert sein!“

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Sie ist zum ersten Mal dabei und steht, eingezwängt zwischen Tausenden, auf dem Vorplatz der Kathedrale von Chartres. Der Auszug beginnt, und ich rufe ihr zu, sie solle zu mir kommen, damit sie von dem Auszug der Fahnenträger und Kleriker etwas sehen kann. Sie winkt ab, sie müsse das nicht sehen. Ich rufe noch zweimal und nerve, bis sie schließlich kommt. Ich schiebe sie nach vorn und nach ein paar Sekunden heult sie. „Ist nicht schlimm“, sage ich; „Das geht jedem so.“

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Warum muss man weinen, wenn man nach drei anstrengenden, schmerzhaften, so Gott wollte wenigstens blasenfreien Tagen müde und stinkend nach der heiligen Messe, bei der man nicht einmal in die Kirche hineingepasst hat, hunderten Leuten dabei zuschaut, wie sie aus der Kirche schreiten? Es gibt auf Youtube mehrere Videos vom Auszug, aber ich verlinke sie nicht, weil sie das wunderbare Erlebnis spoilern, wenn man das zum ersten Mal sieht (und auch du willst dieses Jahr nach Chartres pilgern, oder nicht?!): Hier ist noch einmal zusammengefasst spürbar, was die letzten Tage ausgemacht hat: Die Gemeinschaft der Kirche in Christus. So viele! Fahnen aller Herren Länder, von Frankreich bis Ägypten, von den USA bis Russland, so viele Banner mit Bildern der Patrone, die die Gemeinden begleiten, so viele junge Männer, die als Diakone oder auch schon zum Priester geweiht ihr Leben für Christus hingeben wollen, so viele Menschen aller Stände, die für Christus und mit ihm diesen Weg gegangen sind. So so viele! In einer Welt, in der Relativisten behaupten, es gäbe keine Wahrheit und keinen Gott, in der man im Alltag so oft denkt, dass man alleine sei. Da gehen Sechstausend, da stoßen unterwegs noch Tausend oder Zweitausend dazu in ihrem Bekenntnis zu Christus. Während der Wallfahrt ist man in seiner Gruppe unterwegs, und nur selten sieht man den kilometerlangen Zug von Gläubigen: Zu Anfang, in Notre-Dame de Paris. Wenn man einen der wenigen Hügel auf dem Weg erklommen hat und einmal vor oder hinter sich hinunterblickt, am Mittag, wenn die heilige Messe gefeiert wird.  Sonst aber läuft, betet, singt und leidet man mit seinem „Chapitre“ und hat nie das Gefühl, mit Tausenden unterwegs zu sein. Hier zum Schluss der Wallfahrt aber sieht man noch einmal alle. Das ist eindrücklich, erhebend, beeindruckend und rührend.

Und für diesen Eindruck soll ich drei Tage bei jedem Wetter laufen, soll ich schmerzende Füße, Blasen und Erschöpfung auf mich nehmen, von den …begrenzten… sanitären Möglichkeiten abgesehen? Ja. Du sollst!

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Eine sehr fromme Freundin, eher charismatisch, ist genervt. Wieso werden seit einer Stunde keine Lieder über Jesus gesungen? Wieso Fahrtenlieder mit so unchristlichen Inhalten wie saufen und raufen? Ich erklären, dass sie zum einen das Pech hat, im traditionell coolsten aber unfrommsten Chapitre gelandet zu sein; wer mehr beten will, sollte sich einfach mal bei den Schweizern oder Österreichern einklinken, und außerdem beten wir hier vorrangig eben auch mit den Füßen. Und damit die ihre Arbeit machen können, singen wir Lieder, die sie anspornen! Die Gemeinschaft mit Jesus sollen wir auch haben, wenn wir gar nichts Geistliches tun.

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Wir leben in einer Welt, die gleichzeitig reizarm und reizüberflutet ist. Während wir ständig künstlichen Reizen ausgesetzt sind, werden wir schnell taub für das echte Leben: Wir bringen unsere Körper an die Grenze, aber nicht dadurch, dass wir ihre Kraft ausreizen, sondern dadurch, dass wir sie im Büro und auf der Couch dahinsiechen lassen, bis sie wirklich geschwächt sind. Wir machen unseren Geist müde, nicht, indem wir Thomas von Aquin lesen und uns tief in komplexe Gedanken eindenken, sondern, indem wir uns solange berieseln lassen von Medien, bis wir zu keinem klaren Gedanken mehr fähig sind. Wir schauen uns gerne Bilder an, die eine Aussicht vom Berggipfel bieten, aber wann sind wir zuletzt selbst auf den Berg gestiegen, haben nicht nur ein Foto geschossen, sondern haben den Wind und die Sonne gespürt, und die Anstrengung, die der Aufstieg gekostet hat?

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Strategie ist die halbe Miete. Ich erinnere mich daran, dass man am Morgen des dritten Tages an einer hübschen vermoderten Dorfkirche vorbeikommt, davor ein Brünnlein und ein Rasen. Ich lasse mich ins Gras plumpsen und beschließe, mich eine Station fahren zu lassen. Neben mir landet bald eine Mitpilgerin aus meinem Chapitre, die sich ebenfalls an diese extrem günstige Stelle zum zeitweisen Ausstieg erinnert. Ambition überlassen wir dieses Jahr anderen. Dafür können wir endlich einmal in Ruhe den Zug beobachten: Gruppe um Gruppe, die einen beten andächtig, andere singen laut und falsch, wieder andere schön. Eine Vorbeterin französischer Pfadfinderinnen brüllt ins Megaphon „Nous ne sommes pas fatiguées“ worauf die Mädels kampflustig und sehr überzeugend mit demselben Vers antworten. Dazwischen laufen Priester, die gerade die Beichte abnehmen. Ein schier endloser Zug des Gottesvolkes, an dessen Ende wir eingesammelt und zur nächsten planmäßigen Rast gefahren werden. Eine der wenigen Gelegenheiten, um mit Menschen anderer Länder intensiver ins Gespräch zu kommen.

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Die Wallfahrt nach Chartres bietet drei Tage lang einen Urlaub vom Instant-Leben. Drei Tage lang sind wir der Natur ausgesetzt, müssen wir, von wenigen HIlfsmitteln abgesehen, mit uns selbst klarkommen. Wir können uns nicht von uns selbst ablenken.

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Ich merke es z.B. am Nachmittag des zweiten Tages. Ich bin müde, ausgelaugt, schlecht gelaunt. Um mich herum sind Menschen, die dennoch ihr Lächeln behalten und lautstark den Rosenkranz mitbeten. Ich halte ihn nur unwirsch in den Händen und bin sauer. Und jetzt kann ich nicht fernsehen, nicht die Beine ausstrecken, ich kann mich nicht einmal beschweren! Ich muss einfach damit klarkommen, dass ich nicht so fit, stark und indifferent bin, wie ich dachte. Nein, ich bin angefressen, ich bin schwach. Was mache ich eigentlich hier?, denke ich. Wieso kommt keiner und sagt „Komm, mach eine Pause, ruh dich aus?“. Ich werde das erst verstehen, nachdem ich nach dem Ende der Wallfahrt im Bus sitze und nachdenke. Weil es im Leben auch nicht so ist. Ich habe eine Lebensspanne Zeit, und in dieser Zeit muss ich mein Leben erfüllen. Ich kann nicht, wenn Gott meine Seele fordert, sagen „Ach, MORGEN hätte ich doch weitergemacht, mit der Heiligung. MORGEN hätte ich doch angefangen, mein Leben nach dir auszurichten.“ D.h., natürlich können wir unser Leben mit Vorsätzen anfüllen, aber gelebt werden müssen sie jetzt – gelaufen werden muss jetzt. Die Wallfahrt nach Chartres, das ist ein Nachzeichnen unserers Lebensweges, ein vollkommenes Abbild des Lebens mit allem, was dazu gehört.

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Warum sprechen wir vom Jammertal, warum von des Lebens Pilgerreise? Wer nach Chartres geht, bekommt eine Miniatur seines Lebens vor Augen gestellt. Und wie alles im Katholischen denken wir nicht bloß darüber nach oder stellen es uns vor, wir tun etwas, was uns ganz sinnlich erleben lässt, wie unsere Lebensweg aussieht. An unserem Leib erfahren wir Kälte, Hitze, Müdigkeit, Verdruss, aber auch Trost, Hilfe, Freude, Spaß. Gelächter und Seufzen liegen in unserem Leben nah beieinander – und das tut es auch bei der Wallfahrt nach Chartres – wobei ich immer viel mehr gelacht als geseufzt habe, meine ich.

„Tabormoment“ nennen wir es, wenn wir für eine kurze Zeitspanne die Herrlichkeit Gottes besonders nah spüren. Was wir meist dabei nicht bedenken, ist, dass dem Berggipfel immer der Aufstieg vorausgeht. Wir mögen diese schönen Momente ebensogern wie der hl. Petrus, der drei Hütten bauen wollte, um den Augenblick einzufangen. Aber wir scheuen auch gerne den Aufstieg, den es kostet. Chartres macht den Aufstieg so leicht, wie er nur werden kann: Nicht allein, auf sich gestellt, sondern gemeinsam, mit der Kraft aller und getragen auch von vielen, die nicht (mehr) selbst mitkommen, aber zu Hause oder vom Himmel aus für die Wallfahrer beten.

Unser Leben ist voller Abenteuer, die wir nur am Bildschirm mit verfolgen. Hier ist ein echtes Abenteuer zum Greifen nah! Also: Meldet euch an! Ich freu mich auf euch! Besonders dieses Jahr müssen wir die Gottesmutter bestürmen, gerade auch wir Deutschen, damit die, die alle Häresien zertritt, uns hilft – übrigens kommen auch tatsächlich oft ein paar Protestanten mit, die von Chartres natürlich total geflasht und beeindruckt sind: Offenheit vorausgesetzt ist die Wallfahrt nämlich auch eine gute Gelegenheit, authentischen katholischen Glauben kennenzulernen, wie man ihn in freier Wildbahn sonst ja nie antrifft. Wer also selbst glaubensfirm ist, packe zum Fatimajahr seinen geeigneten Lieblingsprotestanten ein und nehme ihn einfach mit!

Chartres sonne! Chartres t’appelle! Gloire, honneur au Christ-Roi!chartres1