Minenfelder in Tradistan

Ich erlaube mir – mit allem Respekt – einige (Gegen)überlegungen zu Gedanken, die auf Traditio et Fides geäußert werden. Spannenderweise berühren sie ein Thema, das mich in der letzten Zeit bewegt und geärgert hat, ich wusste aber nicht, wo ich anfangen sollte – ein Problem, das mit diesem Artikel behoben ist, da er zahlreiche Anknüpfungspunkte bietet. Ich war übrigens selbst überrascht, dass ich so überhaupt nicht d’accord bin mit den Ausführungen dort! Offenbar bin ich viel weniger hardcore als ich dachte. Vielleicht ist es aber auch nur sich anbahnende Altersmilde.

Als Vorbemerkung sei gestattet, dass ich den Artikel in seiner Gesamtheit für den Ausdruck eines fast lustigen Phänomens halte: Tatsächlich sind nämlich viele Traddis modernistisch, bloß mit traditionellem Anstrich. Sie wollen nicht dienen, nicht belehrt werden, keine Autorität anerkennen. Eigentlich wollen sie einfach nur ihr Ding durchziehen und haben sich als Rahmen dafür das Königreich Tradistan gewählt.

Zuerst einmal möchte ich einen Relationsdisclaimer voranstellen: Kein Weihrauch wird so heiß geschwenkt, wie er angezündet wird…oder so.

In der letzten Zeit war ich von meiner Traddiumgebung so genervt, dass ich erlöst und glücklich in einer fünfundvierzigminütigen NOM saß, und nichts zu meckern hatte. WTF? Ich sitze in einer NOM in einem Diasporakathedrälchen und habe nichts zu meckern? Ach ja, die Stola des Priesters war asymmetrisch mit einem Phantasiewesen bestickt und sein Gang war so lapidar, als würde er nicht zum Altar schreiten, sondern zum Edeka gehen. Aber das war’s. Jep. So anspruchslos hat mich nicht fortschreitende Heiligkeit gemacht, sondern Überdruss. Das ist natürlich auch unfair. Ich kenne viele, viele nette Traddis. Sie haben auch gar kein traddispezifisches Problem, sondern ein allgemeines: Sie sind Menschen. Und Menschen nerven manchmal so sehr, dass man sich einfach nur eine Hütte im Wald bauen will. Wenn man selbst „Unter Traddis“ ist, fühlt es sich ab und zu so an, als sei dort eine Akkumulation nerviger Menschen. Das liegt aber nur daran, dass es eben die sind, unter denen man sich aufhält. Wenn man ehrlich ist, trifft man dieselben Nervensägen im NOM, sie fallen nur nicht so auf, weil man eben so wenig Zeit wie möglich dort verbringt. Fröhlich-offene unkomplizierte Gemeinden sind ein Segen und selten, und es gibt sie auf beiden Seiten des Volksaltares. Man darf bei allem Meckern auch nicht vergessen, dass eine der größten Nervensägen für alle außer einen selber man selbst ist. Was ich damit sagen will: Es ist menschlich, dass wir alle ab und zu genervt voneinander sind.

Dennoch kann man sich der Beobachtung nicht erwehren, dass es eine gewisse Anzahl von Extremnervensägen gibt. Warum sage ich nicht Überzahl? Weil leider die Schreihälse immer am Meisten auffallen. Ich kenne eine Gemeinde, in der die meisten Menschen einfach nur nette Katholiken sind – jeder mit seinem Kreuz, seiner Eigenart, seinen liebenswerten und weniger liebenswerten Eigenschaften. Leider gibt es auch drei bis vier Querulanten. Und diese drei bis vier Menschen machen ein harmonisches Gemeindeleben unmöglich. Es wirkt so, als seien es viel mehr, aber bei genauerer Betrachtung reichen diese wenigen Menschen aus, um allen das Leben schwer zu machen.

Expertentum

Ein für mich persönlich großes Ärgernis ist das „Expertentum“. Lustigerweise vergleicht der Artikel die Alte Messe ausgerechnet mit der Oper. Ich finde auch, dass es da viele Parallelen gibt. Mein Beruf ist ein hochkomplexer, der zahllose Dinge enthält, von denen keiner weiß, der ihn nicht ausübt. Musiktheater ist wie ein Eisberg. Und nun gibt es viele Menschen, die, wenn sie einmal mit der Nasenspitze unter die Wasseroberfläche getaucht sind, denken, sie hätten den Eisberg in seinem ganzen Ausmaß erfasst und seien jetzt Eingeweihte. Jeder Sänger kennt diese Menschen, oft sehr liebenswert, die dann ihr Halbwissen vor uns ausbreiten, und man weiß nicht recht, wie man reagieren soll: Soll man das nun auseinandernehmen und berichtigen, und versuchen, die komplexen Zusammenhänge zu erläutern, oder soll man einfach nur nicken und sagen „Ach ja, die Callas…“? Verstärkt wird das Problem dadurch, dass jeder Mensch singen kann (es kann auch jeder laufen, was nicht jeden zu einem Usain Bolt macht…), womit sich tendenziell eben auch jeder berufen fühlen kann, seinen Halbwissensenf beizusteuern. Tatsächlich hält man sich für unwissender (und unfähiger), je mehr man weiß! Die heilige Messe ist auch so ein Eisberg, und zwar einer, der, wie Musik, aber natürlich noch tiefer, in die Ewigkeit ragt. Absolut niemand ist je eingeweiht oder Experte, obwohl es jene gibt, die näher an das Mysterium heranrücken als andere. Das ist auch in Ordnung so, aber die, die das Glück, die Fähigkeit, die Berufung haben, näher dran zu sein, sollten nie eine sokratische Grundhaltung aufgeben.

Wissen und Bildung

Einem konkreten Punkt möchte ich widersprechen: Menschen, die in die alte Messe gehen, sind nicht im Geringsten gebildeter oder wissender, als andere. Das ist erstaunlich, verblüffend, unglaublich und in meinen weniger barmherzigen Momenten auch wahlweise erschreckend, entsetzlich und insufferable, aber es ist so. Man schließt hier vielmehr von sich auf andere: Mir ist es unbegreiflich, wie man in eine Messe gehen kann, die eine der Grundlagen des Abendlandes ist, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, sie zu verstehen. Aber genau das ist oft der Fall. Oft ist es also schlicht Besserwissen.

Beispiel aus Tradistan: Mir hat letztens jemand erklärt, der Karfreitag sei unwichtig, früher hätte es das nicht gegeben, dass man da in die Kirche gegangen wäre. Aha. Hintergrund: Der oft kolportierte Vulgärmythos zur Unterscheidung von Protestantismus und Katholizismus. Angeblich sei bei jenen der Karfreitag, bei diesen Ostern der bedeutendste Festtag. Das stimmt natürlich theologisch von vorne bis hinten nicht. Es handelt sich um ein volksfrommes Gefühl (auch Protestanten haben das), das dem Leiden Christi besondere Bedeutung beimisst, that’s it. Und würde ich nun behaupten wollen, Katholiken nähmen selbiges nicht wichtig, würde ich ja wohl gesteinigt. Wäre auch Blödsinn. Der Karfreitag ist bloß als Bestandteil des Triduums nicht abgetrennt, sondern eingebettet in das gesamte Heilsgeschehen. Wenn früher Leute nicht in die Liturgie gegangen sind, weil sie sie nicht verstanden haben, oder weil sie noch putzen mussten für Ostern oder wer weiß warum, dann war das eine schlechte Entwicklung, und es ist gut, den Karfreitag würdig zu begehen. Das nur als kleiner Einblick in den Unterschied zwischen Wissen und Halbwissen. Viele Beschwerden der Gläubigen beziehen sich auf persönliche Erfahrungen oder vage Erinnerungen, Halbsätze von Athanasius Schneider, die man aus dem Kontext reißt oder Eingebungen von Schwester Martyria Scholastika Müller aus dem Sühnekloster Pusemuckel. Es wäre ja schön, wenn Kritik aufkäme, weil entgegen der Rubriken zelebriert wird. Meist wird aber (meiner Erfahrung nach) gemeckert, weil etwas nicht so ist, wie a) man es gerne hätte b) man es kennt; unabhängig davon, wie es laut Kirche sein sollte.

Es ist wahr, dass häufig erstaunlich unbekümmert mit den Rubriken umgegangen wird. Das sehe ich auch so, und das finde ich seltsam. Schließlich ist ein nicht unwichtiges Argument für die Alte Messe, dass dort weniger herumgestümpert wird. Geht man eine Weile hin, bemerkt man schon beim lockeren Mitlesen im Schott, dass häufig Dinge nicht korrekt sind. Das ist ein Kritikpunkt, den ich inhaltlich natürlich teile (wobei jeder, der mir schon einmal beim Bändchen Einlegen ins Diurnale zugesehen hat, weiß, dass ich in Sachen Rubriken ein absolutes Greenhorn bin, das jedes Mal stöhnt, wenn man eine Kommemoration managen muss; ich beanspruche hier also keinesfalls Expertentum). Allerdings denke ich, dass man durch konstruktive Kritik da deutlich mehr erreichen kann, als durch das tradditypische Gekeife. Schließlich sind die Priester genau wie der Großteil der Laien eben nicht mehr in der Tradition aufgewachsen. Es ist ein bisschen Re-Enactment, das man sich ganz und gar zu eigen machen möchte, und das ist schwer. Und bevor ich nun einfach mal pauschal unterstelle, dass es den Priestern egal sei, möchte ich erst einmal vermuten, dass das der Priester erstes Problem ist. Wenn man sich eben mühsam alle Rubriken erarbeiten muss, weil nichts selbstverständlich ist, geschehen eben Fehler. Und würde weniger gehässig, aggressiv und mit weniger Weltuntergangsrhetorik darüber gesprochen, könnte man das vielleicht verbessern. Vielleicht ist das, kurz gesagt, der Punkt, der mich an Traddikritik am meisten stört: Es ist nicht die inhaltliche Ebene, da bin ich selbst extrem kritisch. Aber was mir häufig fehlt, ist die grundsätzliche Bereitschaft, dem Kritisierten gegenüber mit Wohlwollen zu begegnen, die Frage, ob ich wirklich aus Liebe kritisieren möchte, oder ob es nicht doch niedere Beweggründe sind.

Dahinter steckt die tatsächlich weit verbreitete Aluhut-Paranoia, man sei die letzte Bastion der Rechtgläubigkeit, umgeben von Feinden. Da man selbst zu den Guten gehört, liegt man auch immer richtig, und der andere muss folgerichtig zum Feind gehören, wenn er etwas anders sieht als ich. Es reicht also durchaus nicht, von der Heilsnotwendigkeit des exakten 90°-Winkels beim Kreuzschlagen überzeugt zu sein, wenn der Priester es anders macht, steckt eindeutig ein düsteres Motiv dahinter: Vade retro! Übrigens fehlt auch häufig jegliche humorige Distanz zur eigenen Ansicht – man kann sich ja bis aufs Blut darüber prügeln, wie eine formvollendete AOF auszusehen hat, aber am Ende sollte man darüber lachen können, wie schwach und eitel Menschenkinder sind.

Die größte Gefahr ist meiner Ansicht nach das Verwechseln der eigenen Meinung mit der offenbarten Wahrheit. Das bezieht sich vor allem auf Vermutungen. Ich höre in meinem Diskurs über die Messe fast niemals Vermutungen, sondern immer nur Feststellungen. Das muss mich wundern. Woher weiß denn Herr Neunmalfromm, dass Pater Wortreich die Rubriken egal sind, oder dass Pater Lasch unbeteiligt und desinteressiert ist? Vielleicht wirkt es so, aber reicht das? Da unsere Traddiwelt klein ist und man sich kennt, wird es schwierig, Beispiele aus dem echten Leben zu nehmen, bleiben wie also lieber unpersönlich. Nur so viel: Jeder Mensch hat seine Art. Seine Stimme, seine Art, sich zu bewegen, seine Ausdrucksweise etwa für „Hingabe“ oder „Demut“. Und es ist so gut wie sicher, dass dies nicht bei jedem so ankommt, wie es gemeint ist. Damit will ich nicht generelle Diskussionen darüber abwürgen, was „objektiv“ gesehen eine gute oder die beste Ausdrucksform für dieses oder jenes wäre – ich möchte nur für etwas weniger Dogma in Bezug auf die eigene Haltung werben. Wenn der Priester die Art, wie er sich beim orate fratres umdreht, anpasst an sämtliche Ausdruckswünsche, die an ihn im Laufe eines Priesterlebens herangetragen werden, würde er die Drehung vor Angst einfach gänzlich unterlassen, schließlich sitzen im „Publikum“ 100 Leute, von denen 46 eine Meinung dazu haben und einer zwei – womit mir ein Nebenwort erlaubt sei zur Einstellung des Laien zu seiner eigenen Position: Er ist nämlich nicht Publikum, sondern Mitbetender und Mitopfernder. Wer sich also ständig als Laie in Opposition zum Priester setzt, ist erstaunlich NOM-like und erstaunlich post-VatII. Es ist als Laie meine Aufgabe, inbrünstig mitzubeten, und es gibt auch kein Voting. Wer sich also in Dieter-Bohlen-Manier zurücklehnt und sich erlaubt, dem Priester ein „völlig talentfrei“ zu attestieren, hat irgendwie seine Berufung verfehlt – nur am Rande.

Und eigentlich gibt die Liturgie das Meiste ja bereits vor. Selbst die Sprache wird vor allzu viel Individualität bewahrt (theoretisch), da ja fast alles gesungen wird (hust). Wenn mir also der Tonfall eines Paters nicht gefällt, muss ich mich schon fragen, ob sein Tonfall nun unangemessen ist, oder ich ihn nicht bloß für unangemessen halte, und ob ich nicht vielleicht ein klein wenig zu viel auf diesen Tonfall achte, schließlich gehört er zu den wenigen Dingen, in denen der Priester einfach so sein darf, wie er ist.

Zuletzt möchte ich einen Punkt ansprechen, der mich etwas irritiert hat. Der angebliche Narzissmus so vieler Priester. Ich will nicht sagen, dass es nicht durchaus narzisstische Priester gibt. Ich finde bloß die Frontenbildung komisch. Ich empfinde die Quengellaien nicht gerade als selbstlos. Wieso sollten die Hirten narzisstischer Schafe nicht auch selbst unter dieser Krankheit leiden? Daran müssen wir doch fast alle arbeiten! Ein derart überhebliches Urteil über einen ganzen Stand der Kirche zu fällen, nenne ich mal sanft Chuzpe – zumal ich mich fragen muss, woher man die Fähigkeit nimmt, Menschen durch oberflächlichen Kontakt (und kaum jemand von uns ist mit einem Priester befreundet, kennt seine Ängste, Sorgen, Nöte, Freuden) derart einschätzen zu können.

Ich stimme durchaus zu, dass es hier Probleme gibt. Da ist zum einen der Irrglaube, dass ein Mensch, „nur“ weil er geweiht ist, plötzlich Superkräfte entwickeln würde, die ihn zum Experten für alles machen – allerdings gibt es auch Laien, die das glauben und den Priester entsprechend überfordern. Auch der Gedanke, man müsse sich nun nicht mehr fortbilden (z.B. *hust* um *hust* gesangstechnische *Defizite* mal anzugehen *hust*), ist irgendwie nicht hilfreich.

Eine Klage, die ich öfter höre, und die ich auch nachvollziehen kann, ist die, Priester würden sich „bedienen“ lassen. Tatsächlich mache ich allerdings mindestens genauso häufig die Beobachtung, dass sich die Gemeinde bedienen lassen will. Hier scheint mir also schon wieder die Frontenbildung Priester vs. Laien völlig daneben – angebrachter scheint mir, dass generell jeder für sich daran arbeitet, dienen zu wollen. Abgesehen davon tue ich mich – anhängliche Filia Roms, die ich bin – schwer damit, hier zu urteilen. Weiß ich denn, welchen Kämpfen, Aufgaben und Schwierigkeiten Priester ausgesetzt sind, dass ich mich hinstelle, und mich ärgere, wenn er mal in irgendeiner Kleinigkeit eine Bequemlichkeit äußert? Da verzichtet einer auf Familie, um die Herde zu hüten, da muss einer allen alles sein, da blickt einer in der Beichte in die tiefsten und seichtesten Abgründe des Menschenherzens, und ich stell mich hin und behaupte, er sei bequemlich, weil er irgendetwas nicht tun will? Und by the way: Wie hoch ist die Arbeitsbelastung für die wenigen Priester, die sich um die Alte Messe kümmern? Wie viele Stunden sitzen die im Auto, um Gemeinden zu versorgen, Katechese anzubieten und Sakramente zu spenden? Sorry, aber das überlege ich mir zehn Mal, bevor ich dazu etwas sage.

Insbesondere besteht das Problem, dass sich manche Priester keine Gedanken darüber machen, wie das Leben der Laien aussieht (lange Fahrtzeiten, durch die Anfahrt zerstörte Wochenenden und damit wenig Zeit für die Familie, leidvolle Erlebnisse, wenn man mal in die NOM muss etc.). Gerade aktuell erlebe ich wieder, was passiert, wenn Priester sich einfach nicht hineinversetzen können in das Leben der Anderen. Bloß sehe ich eben auch nicht, dass die Empathie andersherum gepflegt würde. Wenn also Laien und Priester gegenseitig aneinander vorbei leben und Dinge voneinander einfordern, ist das einfach nur schade und man vergibt sich eine große Chance. Hier sollte man doch gegenseitig Barmherzigkeit üben, scheint mir, und gerade hier begegnet mir häufig völlig unangemessene Rigidität. Beispiel: Ja, es ist hart, Bindung an eine Gemeinde zu entwickeln, zu der man stundenlang fährt, und die dann noch aus einem Haufen Individualisten besteht, deren einziges Band ist, dass sie sich als Ausdruck ihres Individualismus dieselbe Messform ausgesucht haben. Ja, Priester sollten das verstehen können. Aber sollten nicht auch die Laien verstehen können, dass es sich nicht bloß um ein Naturgesetz, sondern auch schlicht und einfach um ihren Willen handelt? Sie könnten den Sonntag vom Familientag zum Gemeindetag und die Gemeinde zur Familie umfunktionieren. Wenn sie wollten. Sie wollen nicht, aus unterschiedlichen, allesamt legitimen Gründen. Der Priester hat diese Gründe zu akzeptieren, aber die Laien haben sich auch Rechenschaft abzulegen über ihre Gründe, und können ihren Mangel an Engagement nicht den Umständen in die Schuhe schieben. Eine liebenswerte Gemeinde, in der man gerne Zeit verbringt, ist eine gemeinsame Kraftanstrengung, und während ein Priester eine gute Entwicklung nicht blockieren sollte, ist es sicher nicht seine Aufgabe, die Laien ihrer Bequemlichkeit zu entheben!

Übrigens ist das doch bloß dieselbe „Expertenhaltung“, die sich bei den Laien findet: Während sich der Laie für den besseren Priester hält, hält sich der Priester eben für den besseren Laien. Fragen wir mal kurz Jesus, was er dazu sagt: „Hey Dude, mach erst mal deinen Balken da weg, bevor du anderen ihren Splitter aus dem Auge ziehst“ (aus dem Gedächtnis zitiert nach Matthäus).

Ich kenne so viele gute, aufopferungsvolle Priester, die mit Leib und Seele Diener Christi sind, dass ich den Rant gegen die Priester als völlig unangemessen empfinde. Rege ich mich auf, wenn ein Priester in der Predigt Quatsch sagt? Aber ja. Nervt es mich, wenn Predigten meine intellektuellen Mindestanforderungen unterschreiten? Aber ja. Finde ich es furchtbar, wenn Priester sich als vorurteilsbehaftete, weltängstliche Neurotiker outen? Mit Sicherheit. Dennoch kann ich zugleich über jeden Priester, bei dem ich irgendein Defizit feststelle oder feststellen könnte, wenn ich denn wollte, sagen, dass er mir in dieser oder jener Predigt die Augen geöffnet, mir im Gespräch dieses oder jenes Interessante gesagt, mir in der Beichte diesen oder jenen unerwarteten guten Ratschlag gegeben hat; ja, dass mich gerade der, bei dem ich intellektuell auf die Barrikaden gehe, in einer Sache mal auf einer ganz anderen Ebene angesprochen hat, die tiefgehender ist als der Intellekt – mal ganz abgesehen davon, dass ich aus seinen Händen Christus empfangen darf. Gott sei Dank ist Gott gnädiger als die Menschen, und Gott sei Dank sind die Priester gute Diener Gottes. Ich will mir nicht vorstellen, was ein Priester als Antwort auf diesen Rant schreiben könnte, aber niemals tun würde, weil er erstens dem Beichtgeheimnis unterliegt und zweitens barmherzig ist. Wenn ich aus freiem Willen anfange, die guten Dinge grundsätzlich zu vernachlässigen, um mich ungestörter den negativen widmen zu können, dann bin ich auf einem guten Wege, der nächste Nervtraddi zu werden. Gott bewahre.

Das Beste, was wir für unsere Priester tun können, ist nicht, sie zu kritisieren. Weil es nämlich nicht um ihre Performance geht. Es geht, das sagt auch Traditio et Fides, um die Liebe zu Christus. Und da ich die bei anderen schwerlich beurteilen kann, ist das Beste, was ich tun kann, für unsere Priester zu beten, und sie durch Freundlichkeit und Dankbarkeit zu stärken. An einer Stelle wird behauptet, Frauen könnten vielleicht besser mit Priestern umgehen, weil sie sie wie Kinder behandelten. Während ich das pauschal aus eigenem Erleben nicht im Geringsten unterschreiben kann, könnte ja vielleicht mal der Gedanke aufkommen, dass verständnisvolle Hinwendung vielleicht der bessere Weg ist als eifrige Zurechtweisung – die übrigens auch Frauen ganz gut können, leider.