Momoa, Mittelalter und toxic Masculinity

Bis vor kurzem hatte ich keine Ahnung, wer Jason Momoa ist. Seit einiger Zeit jedoch flackert er öfter über meine Timeline. Der Machart der Bilder und Videos zufolge scheint man davon auszugehen, dass die Zielgruppe dieses Stars vor allem aus Frauen jungen bis mittleren Alters besteht. Spannend ist die schamlose Sexualisierung und die Fixierung auf seinen Körper. Da ich Mehrheitskultur nur sparsam konsumiere, ist an mir vorübergegangen, dass man mittlerweile nicht Frauen weniger, sondern Männer mehr sexualisiert. Dabei ist es ja nicht so, dass es nicht auch früher männliche Sexsymbole gegeben hätte. Im Gegensatz zu den Frauen, bei denen Nacktheit immer ein irgendwie wichtiger Faktor war, waren es bei Männern aber (von Ausnahmen abgesehen) der gut sitzende Smoking, die übermütige Haarlocke, die lässige Haltung oder irgendwelche anderen Attribute, die die Frauenherzen erobern sollten. Offensichtlich setzte man bei Frauen neben einfachen Trieben durchaus Geschmack und Eleganz voraus (oder war sich vielleicht auch gar nicht bewusst, dass auch Frauen solche einfachen Triebe haben). Nun, ist es nicht ein Zeichen von Gleichberechtigung, wenn man auch Frauen zugesteht, einen wohlgeformten unbedeckten Oberkörper  zu schätzen zu wissen? Ich würde es eher als Gleichentrechtung bezeichnen. Mittlerweile wird die Degradierung des Menschen zum Objekt eben auf Männer ausgeweitet. So weit so gut, das würde mich nicht weiter stören, kann doch die Mehrheitskultur machen, was sie will, mich zwingt ja keiner, mitzutun.

Allerdings finde ich doch eines höchst erstaunlich: In einer Zeit, in der der Mann als Sündenbock für alles herhalten muss, in der „toxic masculinity“ als wissenschaftlicher Fachbegriff geführt wird, anstatt als Erfindung neurotischer Frauen, wird hier ausgerechnet ein Mann gefeiert, dessen erfolgreichste Filmfigur der IN-BE-GRIFF toxischer Männlichkeit ist, wie man sie definiert. Archaisch, gewalttätig, gefühllos. Klar, er wird von dem armen Mädel, das durch Vergewaltigung traumatisiert ein Stockholmsyndrom entwickelt, „gezähmt“, so ungefähr auf dem Niveau eines Groschenromans; aber so wirklich konform mit dem „Männlichkeits“ideal der Postmoderne ist der Typ trotzdem nicht. (By the way: Ich habe in meinem Leben nur einen Groschenroman gelesen, und das, weil die Aufmachung seriös war und einen echten Historienroman vorgaukelte…der einzige Unterschied ist, dass GoT noch mehr Gewalt noch expliziter beschreibt). Bände sprechen auch Youtube-Zusammenschnitte von Szenen mit Khal Drogo und seiner Khaleesi, die mit kitschiger Musik unterlegt worden sind und deutlich machen, dass Game of Thrones- Enthusiasten auf Gleichberechtigung und Menschenwürde im Film nicht viel geben und eine seltsame Vorstellung von „Liebe“ haben. Wenn man bedenkt, dass in anderen Filmen (Star Wars, Herr der Ringe…) oftmals Story und Qualität darunter leiden, dass auch ja genügend schlagkräftige Frauen rumturnen müssen, die sich auch ganz bestimmt nicht binden sollen oder wollen, und die sowieso jeden Mann immer und ständig übertrumpfen, ist das doch… seltsam. Oder vielleicht auch nicht:

Zweierlei kann man aus diesem Phänomen lesen. Zum einen: Antimännliche Indoktrination gerät an ihre Grenzen, sobald Hormone ins Spiel kommen. Wenn wir uns von der Soja-Latte-Elite ab- und der einfachen Plebs zuwenden, dann spielt Hyperemanzipation keine Rolle. Basta. Leider spielt aber auch die Veredelung der menschlichen Natur keine, weshalb aus der Indifferenz gegenüber Entmännlichungsforderungen keinesfalls eine dem christlichen Menschenbild entsprechende, auf Liebe abzielende Beziehungskultur entspringt, sondern reine Triebbefriedigung gelebt wird, und zwar geschlechterübergreifend.

Natürlich kommt man in einer vom Diabolus regierten Epoche nicht mit einem Irrtum aus. Die Sache mit muskelbepackten Barbaren hat nämlich noch einen Twist (herzlichen Glückwunsch, Screwtape). Wie klügere Menschen (s.u.) bereits festgestellt haben, handelt es sich bei GoT um eine imaginierte mittelalterliche Welt ohne die mittelalterliche (katholische) Ethik*. Es wäre eine klassische Projektion des sinnsuchenden Menschen, der sich in die „bessere“ Welt träumt – die nicht besser ist, weil es dort friedlich ist, sondern, weil man weiß, wofür man kämpft und dass man für das Richtige streitet, leidet und stirbt. Bloß: Der postmoderne Mensch wagt nicht einmal mehr, diese legitime und höchst menschliche Sehnsucht auch nur in einer Fantasiewelt ungebrochen aufscheinen zu lassen, zu sehr schämt er sich dessen, was er als „Idealisierung“ bezeichnen würde. Es ist auch nicht so, als würde GoT eine Welt spiegeln, die noch unerlöst ist, wie es ja in den Jahrtausenden vor Christi Geburt der Fall war. Das Gute, geschweige denn der Gute, existiert schlicht nicht, darum muss auch die Welt der Ritter und Drachen nun ohne das rechtschaffene Element klarkommen, bzw. das rechtschaffene Element ist in relativistischer Manier ggf. frei gewählt, freigegeben zum Abschuss und tendenziell kurzlebig. Das heißt aber nicht, dass man nicht dennoch meinen würde, tatsächlich so eine Art Mittelalter mit Drachenupgrade darzustellen. Was sich also in die Gehirne einbrennt, ist die Idee, das Mittelalter sei so gewesen: Archaisch, brutal, gewissenlos, gefühllos, frauenverachtend, die Menschenwürde mit den Füßen tretend. Natürlich sind das vor allem Attribute unserer Zeit (Denk mal drüber nach…). Aber Projektion und Reflexion schließen einander leider normalerweise aus. Der postmoderne Mensch lehnt sich zurück und schaut auf das mittelalterliche Europa durch eine Momoa-isierte GoT-Brille. Andernfalls müsste er das oftmals ziemlich wohlgeordnete Mittelalter für zivilisiert und sich selbst für einen Barbaren halten. Und gegen diese virtuelle Realität dürfen wir nun antreten, bewaffnet nur mit Vernunft und gesundem Menschenverstand. Na, herzlichen Glückwunsch. Da kämpfe ich lieber mit bloßen Händen gegen die Weißen Wanderer.

*Dringende Leseempfehlung für den fantastischen Artikel von Harley J. Sims auf catholicexchange.com sowie für den ebenso wunderbaren, detaillierten Dreiteiler „Tolkiens Werk, Martins Beitrag und der machiavellistische Zeitgeist“ beim Löwen – deutlich ausgeglichener und wohlwollender als meine Einschätzung Martins übrigens.