Statuen stürzen?
Nach der Tötung des Afro-Amerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten wurde in den USA und und schließlich auch in Europa eine „Diskussion“ über Rassismus angestoßen. Ich schreibe dieses Wort in Anführungszeichen, weil es eigentlich keine wirkliche Diskussion ist, vielmehr versuchen wütende Menschen lautstark, ihre Perspektive hörbar zu machen, ohne ihrerseits zuhören zu wollen. Man beachte bitte, dass diese Feststellung noch keine Wertung ist! Dieser Kampf hat nun ganz verschiedene Auswüchse; ein besonders beunruhigender ist, dass Antirassisten angefangen haben, Statuen von Menschen zu stürzen, die ihrer Ansicht nach irgendwie mit Rassismus zu tun haben. Darunter fallen laut ihrer Definition Columbus, verschiedene Protagonisten der amerikanischen Geschichte, aber auch der heilige Franziskaner Junípero Serra, der als Gründer San Franciscos gilt, und der allein dadurch, dass er Missionar war, Verleumdungen ausgesetzt ist.
Man könnte jetzt ganz viel zu den Motiven von #blm, den Protesten, ihren Auswüchsen, ihrem Verständnis von Rassismus und ihrem hanebüchenen Geschichts(un)verständnis und mangelnden Wissen sagen, ich will aber hier nur auf den Vorgang des Stürzens von Statuen eingehen, man könnte es auch noch auf ähnliche Phänomene, wie etwa das Ändern von Straßennamen, beziehen.
Natürlich wurde von „konservativer“ Seite (ich bin mal so pauschal) scharfe Kritik an diesen Vorgängen laut. Der Vorwurf geht vor allem in die Richtung, dass hier kulturelles Bewusstsein getilgt wird, und das ist tatsächlich das auch meiner Ansicht nach größte Problem. Dennoch sollte man vorsichtig sein, mit diesem Argument in Bausch und Bogen einfach bloß Ikonoklasmus zu verdammen und nicht weiter über den Sachverhalt nachzudenken.
Denn würde man nicht als „Konservativer“ sehr wohl dafür sein, Stalin-Statuen oder Mao-Statuen zu stürzen, oder zumindest zu entfernen? Als ich in Russland war, habe ich zum ersten Mal wirklich „verstanden“, wie schwierig Gedenken und historisches Bewusstsein sind, wenn gut und böse nicht so klar und befriedigend verteilt sind, wie es – oberflächlich betrachtet – die deutsche Rezeption der eigenen jüngeren Geschichte festlegt. Wenn man in St. Petersburg am Ufer der Newa entlangspaziert, dann trifft man gegenüber dem Kresty-Gefängnis auf das Denkmal zu Ehren der Opfer politischer Repression, gleich dahinter das Anna-Achmatowa-Denkmal. Nur ein Viertelstündchen spaziert man, um von dort aus zum Dzerschinski-Denkmal zu gelangen – Leiter der Tscheka, die nicht nur Vorläufer des KGB war, sondern vor allem eine revolutionäre Mörderbande, die maßgeblicher Teil des Roten Terrors war. Opfer und Täter, direkt nebeneinander, das ist mehr als irritierend. In Russland sind die Linien so verwischt, dass es schwer fällt, eine wirklich kohärente Haltung zur eigenen Geschichte einzunehmen: Man ist stolz auf eine Dichterin wie die unvergleichliche Anna Achmatowa, und behält doch die Denkmäler, die ein verbrecherisches Regime ehren, das ihren ersten Ehemann erschossen, einen anderen im Arbeitslager hat umkommen und ihren Sohn ebenfalls in Lagern hat leiden lassen. Schizophren.
Das führt zur Frage, ob es nicht legitim sein kann, Statuen zu entfernen, und wenn ja, wie man dies begründen kann, wenn doch kein christlicher Konsens über das Weltbild besteht. Ich denke, dass es definitiv legitim ist. Denn Denkmäler sind eben nicht lediglich historisches Dokument einer Haltung, sondern sollen die zugrunde liegende Haltung weitergeben und verfestigen. Niemand, aber auch niemand, würde in Deutschland auf die Idee kommen, ein Denkmal für Hitler oder Göring stehen zu lassen, weil es eben Ausdruck einer historischen Haltung sei und zu unserer Geschichte gehöre.
Dies bedeutet aber nicht, dass man alles und jeden entfernen darf, der in das eigene Weltbild gerade nicht passt. Vielmehr sollte als Richtschnur gelten, ob der Grund für das Errichten der Statue einer ist, den man aus ethischer Sicht nicht unterstützen kann. Denn niemand ist perfekt, und die Säue, die durchs Dorf getrieben werden, sind zahlreich: Heute ist böse, wer Rassist war, ganz gleich, was er an Gutem für die Menschheit entwickelt hat. Morgen ist es vielleicht der Frauenfeind, übermorgen der Autoliebhaber, dann der Fleischesser, etc. Noch perfider: Mittlerweile sind wir intellektuell auf einem Tiefseeniveau angekommen, das schon verurteilt, wenn jemand sich nicht explizit für das eingesetzt hat, was man gerade wichtig findet: Also, wer nicht aktiv gegen Sklaverei war – weg. Demnächst fallen dann auch Statuen von Martin Luther King, weil er sich nicht genügend für den Klimaschutz engagiert hat?
Niemand hat je Columbus eine Statue errichtet, weil nach ihm blutrünstige Conquistadores die Ureinwohner der USA terrorisiert haben. Man hat ihm Statuen errichtet, weil seine Ankunft auch für die Nachfahren dieser Ureinwohner ein Tor geöffnet hat zu vielen positiven Entwicklungen: Sie wurden durch die Europäer mit kulturellen Techniken und wissenschaftlichen Errungenschaften konfrontiert, die ihr Leben in vielen Bereichen zum positiven verändert haben – nicht zuletzt durch die Berührung mit der Schriftkultur, die ja auch die Weitergabe des eigenen kulturellen Erbes und des eigenen kulturellen Vermögens ungemein erleichtert. Sie wurden durch das Christentum auch mit ethischen Überzeugungen vertraut, die es überhaupt erst ermöglichen, Unrecht als Unrecht zu bezeichnen: Es ist ein Unterschied, ob man als Atzteke von Conquistadores hinterhältig ermordet wird – wofür der Conquistador von seinem eigenen geistlichen Oberhaupt exkommuniziert wird, d.h. sein eigenes Wertesystem verurteilt ihn und steht auf der Seite des Ermordeten – oder ob man als Menschenopfer dem Sonnengott dargebracht wird: Der Todesschmerz ist derselbe, nur dass in letzterem Fall niemand auf die Idee kommt, dies sei irgendwie zu verurteilen.
Und mehr noch: Columbus verkörpert auch eine Idee, die ganz eigentümlich christlich-abendländische Idee von Freiheit, verwirklicht hier in der Auffindung eines neuen, freien Landes. Frische, Offenheit, Weite, verbunden mit dem Bewusstsein, dass diese Neue Welt nicht einem Menschen gehört, sondern Gott, und für Gott gefunden ist. Das hat mit historischen Vorgängen natürlich wenig zu tun, aber jedes Volk hat seine Gründungsmythen und Ideen, die weit über die eigentliche Historie hinausweisen und sich dazu eben unzureichender Menschen bedienen, die dann nicht so sehr tatsächlich als symbolisch für etwas stehen. Wer Columbus fällt, könnte daher genauso gut sagen „Lasst uns wieder dem Sonnengott Menschenopfer darbringen.“ Ich halte das für nicht intendiert.
Wurde dagegen eine Statue errichtet, um einen Völkermörder als Völkermörder zu ehren, einen Geheimdienstchef für die von ihm verantworteten Mordtaten, dann sollte das Entfernen des Denkmals natürlich vorgenommen werden, jedenfalls wenn wir als kleinsten gemeinsamen Nenner für unsere Gedenkkultur ein Grundmaß an Humanität veranschlagen.
Ignorieren wir die Intention derjenigen, die ein Denkmal errichten, wird Denkmalsturz zu einer heuchlerischen Farce, stumpfe, dumme, gewalttätige Geschichtsklitterei. Was Heine über Bücherverbrennung sagt, gilt dann umso mehr auch für Bilderstürmer, denn wo ein Buch erst einmal nur eine gedankliche Welt repräsentiert, repräsentiert ein Bild ja ganz konkret die Person selbst. Es zu zerstören, senkt die Hemmschwelle zur Zerstörung des leibhaftigen Menschen signifikant.