Darf Kleopatra schwarz sein?

Es geht mal wieder um diversity. In einer neuen Netflix-„Doku“ wird Kleopatra von einer dunkelhäutigen Schauspielerin dargestellt. In diesem Fall trifft es aber keine exkolonialistischen Weißen, die vor Schuldkompklex nicht mehr laufen können, sondern stolze Araber (die, um ganz ehrlich zu sein, Ägypten ja selbst kolonisiert haben gewissermaßen, aber egal, zumindest identifizieren sie sich mit der Vorgängerkultur), die das echt nicht witzig finden und sich über das blackwashing der griechischstämmigen Cleopatra beschweren. Es gibt eine zeitgenössische Büste, die ihr ziemlich griechische Züge verleiht. Natürlich ist es möglich, dass die Bildhauer sie hellenisiert dargestellt haben, aber eklatantes Whitewashing wird es damals nicht gegeben haben.

Ich komme ja ursprünglich aus dem Bühnenbiz und habe daher eine differenzierte Haltung zu diesem Vorgang. Es gibt tatsächlich Bereiche, in denen die Hautfarbe egal ist. Das gilt insbesondere für die Bühne, da Theater über den Großteil der Theatergeschichte hinweg nie den Anspruch hatte, naturalistisch zu sein, und selbst da, wo es versucht wird, schnell an den Gegebenheiten der Kunstform scheitert. Generell kann man sagen, dass Bühne keine visuelle, sondern emotionale Akkuratesse verlangt. Aida etwa muss nicht schwarz sein, sie muss die mörderische Partie singen können, und die Emotionen vermitteln .Allerdings gilt dies mit der Einschränkung, dass manche Werke so dezidiert um die Andersheit des Protagonisten kreisen, dass ein Regisseur, der auf das Feature der Hautfarbe verzichtet, sich schon ein sehr sehr gutes anderes Konzept überlegen muss. Das gilt für Othello, aber auch (da werden mir einige Musikwissenschaftler widersprechen) für z.B. einen Monostatos. Dessen Außenseiterstatus kann man anders als durch die Hautfarbe deutlich machen, es ist aber gar nicht so übel, es durch die Hautfarbe zu tun: Sein Psychogramm als herabgewürdigter Sklave zu untersuchen, ist also sogar sehr spannend, wenn man sich traut, ihn als Mohr darzustellen.

Wenn Filme keine Historie abbilden wollen, sondern diese nur als Folie wählen und verfremden, kann Hautfarbe ebenfalls gleichgültig sein. Bei „echten“ Historienfilmen, die Authentizität ausstrahlen sollen, und bei Dokumentationen, die korrektes Faktenwissen vermitteln wollen, geht das nicht. Unsere Geschichte ist kein luftleerer Raum, und keine Frage der Imagination. Menschen leben in konkret ausgeformten ethnischen und kulturellen Gemeinschaften. Manche sind traditionell diverser als andere, manche besonders einheitlich. Knotenpunkte großer Handelswege werden immer schon mehr Diversität aufgewiesen haben als abgelegene Inseln. Rom war womöglich anno 65 sogar diverser als 1865. Es schmälert die Authentizität eines Filmes dramatisch, wenn man sich nicht wenigstens bemüht, phänotypisch plausibel zu erscheinen. Es gibt dazu übrigens ein fantastisches Videoessay im Hinblick auf das diversity-Problem von Rings of Power: Wir werden in ein relativistisches, konstruktivistisches Universum versetzt, in dem es keine Wurzeln, keine Herkunft, und deshalb eben auch gerade keine Geschichte mehr gibt. Dann gibt es aber auch keinen Grund mehr, einen Historienfilm anzuschauen!

Im konkreten Fall kommt hinzu, dass ein Teil der US-amerikanischen Bevölkerung aufgrund einer solchen „Dokumentation“ natürlich glauben wird, dass Kleopatra Schwarzafrikanerin gewesen sei. Wer den Nerv hat, sich We-wuz-kingz-Accounts auf Facebook anzutun, wird dort auf abstruseste Fantasien treffen. Gegen diesen Einwand wird angeführt, das sei doch nur ein Film, und Liz Taylor habe ja nun auch Kleopatra spielen dürfen. Das war allerdings 1963. Niemand würde etwas gegen einen Film von 1963 sagen, in dem ein schwarzer Cast einen Cleopatra-Film bestückt. Das wäre im Hinblick auf eigenständige kulturelle Formate während der Segregation und im Hinblick auf Emanzipation spannend. Man könnte nun auch anmerken, dass Griechen gemeinhin sehr hell sein können, Ägypter übrigens auch. Dass man sich aber überhaupt über graduelle Schattierungen unterhalten soll, empfinde ich als komplett daneben. Wieso lässt man sich überhaupt auf diese rassistische Hautfarbenfixierung ein? Es geht hier nicht um eine Farbskala, und schon gar nicht darum, dass nur Schauspielerinnen aus der Ethnie der Dargestellten eine Rolle spielen dürften (meine Lieben: Es heißt *Schauspiel* ) sondern um eine irreführende Intention. Und die hatten die Produzenten damals nicht: Das Ziel war nicht, Kleopatra als Europäerin darzustellen, sondern das Sexsymbol von 43 v.Ch. durch das Sexsymbol von 1963 darstellen zu lassen.

Und zum Trost für alle Afroamerikaner, die sich ihrer Geschichte und Wurzeln beraubt sehen (und das zum Teil ja auch zu Recht!): Es gab im Sudan und in Äthiopien große mächtige Reiche mit großen mächtigen Königinnen. Wie wäre es, wenn ihr einfach ordentliche Forschung betreibt und Geschichten über diese Frauen entwickelt? Das wäre für alle, hell, dunkel und gestreift, spannend, und ein echter Mehrwert.