Bern statt Berlin – Eindrücke vom Marsch für’s Läbe

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„Danke für’s Leben!“ – Die Botschaft des Marsches für das Leben.

Ich liebe es, in der Schweiz mit dem Zug zu fahren. Mit der Überquerung des Rheins habe ich das Gefühl, dass sich dreifach destillierte Ordnung über die Welt senkt, Berge, Bergseen, Kühe, Frieden, alles gut. Als sich Bern zeigt, weiß ich sofort: Die Stadt des Richters und seines Henkers ist eine Stadt nach meinem Herzen. Umrahmt von Grün, hübscher Fluss, schlanke Kirchtürme: Meine Stadt. Allerdings bemerke ich bei der Einfahrt in den Bahnhof auch ein Graffiti –  „Marsch für’s Läbe stoppen“. Antifa? Ernsthaft? Lieber mal Ovomaltine trinken und die Luft anhalten. Antifa in einem Land wie diesem? In dem Ordnung und Bünzlitum, die Relikte der durch den Fleischwolf der Reformation gedrehten Gottesfurcht, immer noch genug alten Geist atmen, um Ruhe und Sicherheit zu gewährleisten? Unfassbar. Aber gut.

 

Natürlich sorgt dieses Bünzlitum auch dafür, dass man vor nichts mehr Sorge hat, als dass die heilige Friedhofsruhe des Spießertums gestört würde, weshalb der Marsch für’s Läbe kein Marsch sein darf, sondern auf dem abgeriegelten Bundesplatz nur als Kundgebung stattfinden darf. Was schade ist. Einen großen Reiz bietet beim Marsch für das Leben nämlich die Beobachtung der Gegendemonstranten. Da gibt es so viel Amüsantes zu sehen, da demontieren sich die angeblichen Kämpfer für die Würde der Frau derart als sexistisches, destruktives, gewalttätiges und verantwortungsloses Pack, dass ich es sehr schade fand, so gänzlich abgeschirmt zu werden, dass es schwierig war, einen Blick auf die Gegendemonstranten zu erhaschen.

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Die Gegendemonstranten hatten auch Luftballons – Kondome. Da sind unsere beiden kleinen Teilnehmer hier deutlich reifer!

Der Blick auf die Demonstranten zeigte aber natürlich wieder einmal deutlich, wer hier wofür steht. „Danke für’s Läbe“, war das Motto der Plakate. Klingt – hm – bedrohlich? Fortschrittsfeindlich? Gemeingefährlich? Gegen Selbstbestimmung und Gleichberechtigung? Keine Ahnung. Auch die Botschaften der Kundgebung – Lebensberichte zweier Frauen und thematisch vor allem die Auseinandersetzung mit Euthanasie – atmeten jetzt nicht gerade den Geist von Fundamentalismus. Die Musik war streckenweise deutlich besser als in Berlin: Ich bin kein Fan von seichtem Gesinge, insofern ist die Hymne des Marsches für mich ein rotes Organzatuch, aber die Blaskapelle spielte wirklich auf einem hohen Niveau einfach gute, fröhliche Musik zum Einstand, und auch die Sacro-Pop-Band tat ihr Bestes. Das Publikum wie immer: Gemischt. Familien, Kinder, jung und alt, gesund und behindert, Protestanten und Katholiken. Anders als beim Berliner Pendant war die christliche Grundlegung der Kundgebung noch viel maßgeblicher, was eigentlich schade ist. Schließlich sollte Achtung vor dem Leben kein christliches Alleinstellungsmerkmal sein, sondern jedem vernunftbegabten Wesen ein Anliegen sein. Die Frage ist, wie man Muslime, Juden, Atheisten und Menschen aller Weltanschauungen dafür gewinnen kann, ein Zeichen für die Unantastbarkeit menschlichen Lebens zu setzen, wenn man so ausschließlich auf christliche Teilnehmer abhebt. Dabei geht es mir nicht darum, das Christentum zu verleugnen: Natürlich sollen die christlichen Gruppen als solche erkennbar sein, und man muss es wohl sagen: Die Menschen Europas können den Christen dankbar sein für die Anfeindungen und die Mühe, die sie auf sich nehmen, um dieses Zeichen zu setzen, den Schwächsten und Hilflosesten beizustehen, und auf ihre Rechte aufmerksam zu machen. Aber man könnte viel deutlicher machen, dass man hier als Menschen einer Gesellschaft alle anspricht und alle einlädt.

 

Der Gegenprotest lässt an Intensität ziemlich schnell nach, außer Pfiffen, Tröten, ziemlich unmotivierten Protestrufen und einfallslosen Transparenten: Kann mir jemand sagen, was an dem Wort „Mösenschleim“ argumentativ gegen den Lebensschutz opponiert? Ist die Degeneration der Linken so weit fortgeschritten, dass ihnen nichts anderes mehr einfällt, als zusammenhanglos Worte zu erwähnen, die sie als irgendwie sittlich unanständig einstufen, um damit zu provozieren? Und glauben sie wirklich, dass angesichts der grausamen Realität, mit der sich Lebensschützer beschäftigen, ein solches Wort zu allgemeinem Entsetzen oder Ohnmacht unter dem anwesenden Klerus führt? Das ist bestenfalls infantil. Und wieder dabei ist auch „Eure Kinder werden so wie wir.“ Total blödsinnig, weil ein großer Teil der Teilnehmer zwischen 15 und 30 ist – alt genug, um nicht von Eltern mitgebracht zu werden, sondern aus eigener Entscheidung und Motivation heraus zu kommen, und deutlich zu jung, um ewiggestrig zu sein. Aber eine der großen Qualitäten der Linken ist ja, eine Realität, die mit dem eigenen Willen nicht zusammenpasst, nicht wahrzunehmen.

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Allerdings nimmt die Aggression an einer bestimmten Stelle signifikant zu: Ausgerechnet in dem Augenblick, in dem alle in einem Bußakt niederknien und gemeinsam um Vergebung für die eigenen Sünden und die Sünden der Schweizer bitten, wird es heftig.

Dieser Augenblick war der Ergreifendste. Während um uns herum Pfiffe und Rufe aufbrandeten, und wohl auch Leute versuchten, die Absperrungen zu überwinden (das habe ich nicht so richtig mitbekommen, war ja mit Beten beschäftigt), herrschte auf dem Platz selbst absolute Stille, während Reue und Gebet zum Allmächtigen hinaufstrebten, um ihn für Land und Volk anzuflehen. Dieser Augenblick hat uns die Wirkmacht des Gebets, seine heilige Kraft, unglaublich deutlich werden lassen, und uns ganz praktisch erfahren lassen, was das Niederfallen vor Gott in uns an Heiligung bewirken kann.

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Gemeinsamer Akt der Buße auf dem Bundesplatz in Bern. Währenddessen werden die Gegendemonstranten aggressiv.

Mein persönliches Highlight waren die christlichen Punks: Zuerst dachte ich natürlich (Pfui, Vorurteile!), das seien Maulwürfe der Gegendemonstranten. Tatsächlich entpuppte sich der Kreis um das Anarchisten-A als Omega, und der Schriftzug „Jesus saves“ beseitigte jeden Zweifel. Für mich ein weiteres Zeichen für die gesamtgesellschaftliche Relevanz des Themas: Egal, ob du den Seitenscheitel oder den Irokesenschnitt bevorzugst, ob du wadenlangen Rock oder High Heels (wieso eigentlich entweder-oder?) bevorzugst: Der Marsch für’s Läbe geht alle an.

 

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