L’Eglise, c’est quoi?- Priesterliche Selbstermächtigung at its best

Wer mich kennt, der weiß, dass ich, obwohl es manchmal anders wirkt, kein wirklich schlimmer „Traddi“ bin. Zuerst einmal liebe ich E-Gitarren. Das ist ein Ausschlusskriterium. Ich habe auch keine dogmatischen Einwände gegen Frauen in Hosen und ich halte NGL für pseudokatholisch weil geschmacklos, nicht für unkatholisch weil neu. Tatsächlich aber habe ich mir den Besuch der heiligen Messe in der ordentlichen Form mehr oder weniger abgewöhnen müssen – ansonsten ist die Gefahr groß, dass man aus Verzweiflung zu einem Traddi-Zombie verkommt, der mit dem 99 3/4-fachen Skapulier geschützt Priester ohne Soutane erst mal vorsorglich mit Weihwasser besprengt. Oder so.

Dabei habe ich keine anderen Vorbehalte als die traumatischen Dinge, die ich in der Praxis erlebt habe. In der Praxis gibt es die ordentliche Form des Römischen Ritus nämlich fast nirgends im deutschsprachigen Raum. Hier herrscht dagegen der NOT (novus ordo teutonicus) vor. Sein Markenzeichen ist ausufernder Klerikalismus, und zwar in orwellscher Manier. D.h. man behauptet, man sei das Gegenteil von klerikal, während eigentlich nichts klerikaler ist als das: Da der Priester bei entsprechender Veranlagung (also, wenn er z.B. Jesuit ist, oder einfach Alt-68er) gerne eine Freestyle-Liturgie aufführt, kann der Gläubige nämlich gar nicht mitmachen. Er ist nur Zuschauer, weil er die frei erfundenen Gebete nicht mitbeten kann und auch formal nicht selten wichtiger Bestandteile der Messe beraubt wird – so darf er etwa häufig nicht einmal seinen Glauben mit der Kirche bekennen, sondern wird mit einem Lied abgespeist à la „Ich glaube an was ganz Tolles, ich weiß nicht, was, ich habe keine Ahnung wieso, aber wenn „ich glaube“ drin vorkommt, ist es ein Glaubensbekenntnis, amen.“ Als Tarnmanöver darf er dann laut das Vaterunser mitbeten (wobei der Priester den Embolismus auslässt, wieso auch nicht), aber das ist es dann auch.

Besonders ärgerlich ist, wenn der Priester seine Macht auch noch anderweitig schamlos missbraucht. So feierte ich letztens eine Messe mit (oder versuchte es), in der der Priester begeistert einige Bibelverse auf Hebräisch vortrug (juchu, ein Hebräer!), was aber leider nichts als billige Camouflage war, und den weiteren Verlauf des Gottesdienstes durch zu Unrecht geweckte Erwartungen nur schmerzhafter machte. Zum Schluss nämlich baute sich der Priester hinter dem Altar auf und regte uns an, doch einen der gelben Zettel mitzunehmen, von denen er dem Augenschein nach mindestens vierhundert hatte drucken und auslegen lassen. Auf diesen war der Brief der Kölnischen Priester abgedruckt, die sich vor einiger Zeit u.a. über Zölibat und Einsamkeit beklagt hatten – und dessen Quintessenz ist, dass sie betrogen worden seien, schließlich war man zum Zeitpunkt ihrer Weihe davon ausgegangen, dass sich das mit dem Zölibat bald erledigt haben würde. Sometimes shit doesn’t happen, möchte man ihnen zurufen, man unterschreibt auch keinen Vertrag in der Hoffnung, der Vertragspartner würde schon bald von sich aus attraktivere Bedingungen hineinnehmen wollen. Wie dem auch sei, der Priester beschied den Rebellen „Unverdächtigkeit“, schließlich hätten sie ihr 50-jähriges Weihejubiläum hinter sich (wer rechnen kann, weiß, dass nichts verdächtiger sein könnte) und sie seien Kölner. Einer der seltenen Augenblicke, in denen ich mich für meine Herkunft schämte und alle Ahnen meiner sonst nicht so dominanten westfälischen Blutslinie um Beistand anflehte, dass sie den Boden unter meinen Füßen auftäten. Dann verlas der Priester Teile des Briefes, und zwar die Unverschämtesten:

Wir brauchen dringend mutige Vorstöße in der Zulassungsfrage zu den Weiheämtern. Es hat für uns keinen Sinn, den Hl. Geist ständig um Berufungen zu bitten und gleichzeitig alle Frauen von diesen Ämtern auszuschließen.

Wir brauchen Furchtlosigkeit und Vertrauen darauf, dass der Herr hoch über unseren konfessionellen Querelen steht. Die Teilnahme an Eucharistie und Abendmahl steht in der Verantwortung der getauften Christenmenschen.

Also, hier geht es nicht um legitimes Klagen wegen zunehmender priesterlicher Vereinsamung. Hier geht es um Frauenpriestertum und Kommunion für alle Getauften, also Dinge, die schon sehr weit vom katholischen Bekenntnis entfernt sind. Diese Passage wird verlesen, am Altar, an dem soeben das Messopfer dargebracht wurde. Geht’s noch? Und zuletzt wird die Gemeinde noch gegen den Weihbischof aufgehetzt: Sollte dieser zur Visitation kommen, solle man ihn doch mit diesen Forderungen konfrontieren.

Was ist das anderes als bodenloser Klerikalismus? Der Priester nutzt seine Macht und seine Autorität, um die Gläubigen der Kirche zu entfremden. Am Ambo predigt er belanglos vor sich hin, vom Altar aus predigt er gegen die Kirche, weil nicht er, sondern Christus im Mittelpunkt steht! Eine Frechheit, die selbst im Bistum — wohl eher Ihresgleichen sucht. Seminare und Vortragsabende mit fragwürdigen Referenten, deutliche Absagen an die Glaubenslehre im privaten Gespräch oder auch vor oder nach der Heiligen Messe, Häresien in der Predigt – business as usual. Aber offene Forderung des Frauenpriestertums vor dem Schlusssegen, das ist ein starkes Stück! Natürlich verließ niemand die Kirche, ohne einen gelben Zettel mitzunehmen. Mein dringliches Verlangen, einfach den ganzen Stapel mitzunehmen und wegzuwerfen, konnte ich aus Menschenfurcht nicht umsetzen. Ich ging stattdessen zur Edith-Stein-Kapelle hinten in der Ecke um in Selbstmitleid zu versinken. Der Sonntag war natürlich gelaufen, und ich beschloss ihn dementsprechend standesgemäß mit dem Musizieren des Mozartschen Requiems.