Antisemitismus, Laizismus & andere Krankheiten, poetisches Intermezzo und eine Religion, die mit all dem nichts zu tun hat.
Die von ARTE abgelehnte Antisemitismus-Doku ist „umstritten“. Normalerweise bedeutet umstritten auf Neudeutsch, dass etwas der allgemein vorgegebenen Lesart der Dinge nicht entspricht; da man es unter Umständen (etwa wegen allgemein einsichtiger Glaubwürdigkeit oder Stichhaltigkeit) nicht rundweg ablehnen kann, nennt man es „umstritten“ und jeder weiß, was gemeint ist. Hier aber ist der Terminus berechtigt.
Sehenswert ist sie in jedem Fall. Dennoch fällt etwas auf: Es scheint unmöglich, heutzutage eine Reportage zu bekommen, die auch nur den Anschein erweckt, objektiv sein zu wollen oder Sachverhalte in ihren komplexen, vielleicht paradoxen, vielleicht unerträglich verworrenen Zusammenhängen darzustellen. Bei der Einordnung von Fakten wird einfach nicht darauf geachtet, den schlaglichtartigen Charakter eines Interviewpartners, die bei ihm mögliche Voreingenommenheit, die allgemeinen Grenzen der Objektivität etc. zu verdeutlichen. Wir sind nicht auf der Suche nach Wahrheit, wir sind auf der Suche nach dem Skandal.
Ein einfaches Beispiel: Zynische Linke setzen postwendend den Holocaust oder die südafrikanische Apartheid mit israelischer Politik gleich. Ersteres ist an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten, letzteres nicht ganz so infam, aber immer noch starker Tobak und falsch. Dies könnte man problemlos belegen. Statt dessen verfällt die Doku ins gegenteilige Verhalten: Wenn der Vorwurf gegen Israel falsch ist, dann muss die gesamte Umsiedlung und Vertreibung der Araber auf israelischem Gebiet völlig in Ordnung gewesen sein, denn in unserem eindimensionalen Denken ist es uns leider unmöglich, Unrecht einer Partei zu erkennen, die gleichfalls Opfer von Unrecht ist. Lustigerweise zeigt sich so dieselbe ideologische Borniertheit wie bei Israelfeinden: Während man in der Doku durchaus hört, dass „echte“ Israelkritik kein Antisemitismus sei, möchte man doch nicht den Eindruck erwecken, Hass könne unter Umständen auch durch israelisches Verhalten erzeugt worden sein. Anstatt also das historische arabische Leid in einen sinnvollen Kontext zu setzen, wird es einfach für nicht vorhanden erklärt (die Umsiedlung war übrigens richtiggehend nett! Der interviewte Soldat und Mossadagent hat sogar seine eigenen Lastwagen zur Überführung des Eigentums zur Verfügung gestellt. Hei, da verliere ich meine Heimat ja gleich gerne!). Schade, denn das Motiv ist redlich, die Ausführung ungenügend.
Offenbar gilt: Kontext=Relativierung. Ich höre ein großes Rumoren in der Erde, während sich alle großen Denker des Abendlandes in ihren Gräbern umdrehen und nach leiblicher Auferstehung dürsten um über ihre unwürdigen Nachkommen herzufallen.
Folgende Schlaglichter setzt die Dokumentation:
Christentum: „Mutter allen Judenhasses“ – Diffamierung bei Paulus – Diffamierung und Gewaltaufruf Luthers – tiefe Verankerung im christlichen Europa („Das Kreuz als Hinweis auf die Gottesmörder“) – Hitler – Holocaust – Vertreibung der Juden aus Europa, zugleich propagandistischer Export des europäischen Antisemitismus durch das Radio nach Persien und in den arabischen Raum – christliche und europäische NGOs, Brot für die Welt etc. unterstützen die Hamas – Boykottaufrufe in Europa – Hass unter arabischstämmigen Jugendlichen in Problemvierteln.
*** Poetischer Einschub ***
Rätsellied
Mir schwant, ich mein, es fehle was;
doch was kann’s sein, was wäre das?
Ein Geist geht um in Dokuland,
zwar ungenannt, gleichwohl bekannt,
wird indirekt erwähnet zwar,
doch reicht das in dem Kontext gar?
Wir sagen lieber sozial schwach,
ansonsten gäb es großen Krach,
wir sagen, es liegt am Banlieue,
so was gäb’s niemals auf der Kö!
Passt nicht in unser Bild fürwahr,
entfesselt wär ein groß‘ Trara,
man wäre Nazi auch, ganz klar,
drum passt es uns nicht in den Kram,
nennt man ihn deutlich, den –
*** Poetischer Einschub Ende ***
Verbinden wir die Punkte, ergibt sich das folgende Bild: Schuld am Antisemitismus ist der christliche Judenhass. Dieser hat sich in Europa über Luther bis zu Hitler zum Nazi-Antisemitismus ausgewachsen, der in die islamische Welt exportiert wurde (diese Verbindung wird, ich gebe es zu, nicht explizit hergestellt, aber die Nebeneinanderstellung von Paulus, Luther und Streicher legt es einfach nahe). Der Nahostkonflikt wird nun genutzt, um diesen Judenhass weiterzutragen. Die Palästinenser haben daran relativ wenig Schuld, Hamas und Fatah bekommen ihr Geld schließlich von christlichen und anderen europäischen NGOs und Initiativen, und wie wir zu Anfang gelernt haben, ist auch die Grundidee europäisch-christlich. Wenn man sich anschaut, welche Palästinenser interviewt werden, gewinnt man den Eindruck, niemand habe im Gazastreifen jemals Hamas oder Fatah unterstützt (das ist jetzt überspitzt und sarkastisch ausgedrückt, ich finde es sehr gut, dass die Interviewpartner nicht die stereotypen Hasspalis sind, sondern denkende Menschen, und ich zolle ihnen Respekt für ihre Haltung, aber ich möchte hier ja nicht deren Haltung untersuchen, sondern die Voreingenommenheit der Autoren). Was Jugendliche in Banlieues betrifft: Sie hassen Juden, weil es ihnen schlecht geht. Es sind eigentlich alles einfach Jugendliche, und wenn man ihnen mit liebender Laicité begegnet, machen sie keinen schlimmen Blödsinn, sondern nur Blödsinn.
Während der ganzen Doku wird eines nicht thematisiert: Muslimischer Judenhass. Erst einmal verständlich – es ist ja bereits ARTES Kritikpunkt gewesen, dass die Doku sich am Ende mehr dem Nahen Osten denn Europa widmet. Aber es wird doch auch deutlich, dass der Judenhass bei uns nur zu einem geringen Teil der „traditionelle“ nationalsozialistische rassistische Antisemitismus ist! Ganz klar wird hier Antisemitismus als politisches Mittel im Nahostkonflikt benannt, Israelkritik als Vorwand dafür. Dieser Zusammenhang ist auch glaubwürdig dargelegt. An einer Stelle sagt ein Mann sinngemäß: Wenn es sich um Israelkritik handelt, wieso gehen sie während der Demo hin und zünden eine Synagoge an? Wenn dies aber der Grund ist, muslimischen Judenhass außen vor zu lassen, warum dann die eingehende (und dabei hochgradig idiotische, dümmliche und boshaft-lügnerische) Würdigung angeblichen christlichen Antisemitismus‘? Und wieso entsteht der Eindruck, die jüdischen Einwanderer seien von den Arabern nur deshalb abgelehnt worden, weil sie zuvor zuviel Nazi-Propaganda im Radio angehört hätten? Am Ende der Dokumentation wird die französische Laicité als Garant friedlicher Koexistenz angesehen (fragen wir mal die Katholiken in Frankreich ab 1902, wie friedlich koexistent die laizistischen Gesetze sind). Das passt zum Christenbashing am Anfang: Offenbar ist Religion ein Problem – bloß bitte nur nicht die, deren Name nicht genannt werden darf.
Ich möchte hier kein Islambashing betreiben. Mit Sicherheit ist muslimischer Judenhass eher eine Angelegenheit der Politik denn der Religion. Dennoch verwundert es, dass, während das Christentum sehr fantasievoll als „Mutter allen Judenhasses“ angeblich von Paulus an das Judentum diffamiert, der dem Islam innewohnenden Judenhass nicht der Rede wert ist.
Hierzu nur einige wenige Stichpunkte: Gemäß muslimischer Überlieferung ließ Mohammed hunderte Juden Medinas massakrieren, ihre Frauen und Kinder in die Sklaverei verkaufen. Wenn Mangel an historischer awareness schon allgemein üblich ist, nutze ich das jetzt auch mal ganz reißerisch: Am Beginn des Islam steht ein Judenpogrom (sorry, es musste mal raus, ich will auch mal historisch unkorrekte Begriffsverwirrung anwenden, es macht so Spaß!). Man mag dies problematisieren, das Ausmaß anzweifeln, ich bin in dieser Hinsicht alles andere als ein „Experte“, aber die Tatsache, dass es die islamischen Geschichtsschreiber waren, die dies für aufzeichnenswert hielten, zeigt, dass es sich jedenfalls nicht um antimuslimische Propaganda sondern um einen Ausdruck des muslimischen Selbstverständnisses handelt. Es waren die Muslime, die kennzeichnende Kleidungsstücke für Juden (und Christen) erfunden haben, und zwar bereits Jahrhunderte bevor dies in christlichen Gebieten eingeführt wurde (okay, es hat etwas von Adams Verhalten, das jetzt auf den Islam abzuschieben, Christen hätten das nicht übernehmen müssen oder dürfen, aber: Die Christen haben es zumindest nicht erfunden.). Und ich nehme übrigens auch an, dass das Hören von Nazipropaganda nicht alleine Grund für den Hass auf Juden im arabischen Raum sein kann. Tut mir leid, ich bin zwar selbst Deutsche mit Nazikomplex, aber jede Form der Selbstgeißelung hat ihre Grenzen. Auch können Juden nicht in Saudi-Arabien einreisen – richtig, nicht israelische Staatsbürger können nicht einreisen, Juden können nicht einreisen. Dies wird wohl schwerlich von politischen Gründen herrühren (eine Erwähnung in der Doku hätte ich aber natürlich nicht erwartet, da sie ja wie gesagt eigentlich Europa zum Thema hatte).
Auch die Darstellung der christlichen (evangelischen) Organisationen spricht hier für sich: Dadurch, dass das gesamte palästinensische Leid vorher als Chimäre dargestellt wird (wie gesagt, Umsiedlung ein netter Sonntagsspaziergang), kann man deren Engagement kaum kontextuell einordnen. Die grauhaarigen Damen im Interview sind davon überzeugt, den Entrechteten beizustehen. Sie sind genauso naiv befreiungstheologisch verseucht, wie in allen anderen Themen, denen sie sich widmen, von Abtreibung bis wiederverheiratete Geschiedene; und augenscheinlich können sie komplexe Sachverhalte nicht einmal halbwegs ermessen. Damit will ich ihren Anteil nicht relativieren! Regelmäßig resultieren die schlimmsten Übel nicht aus satanischem Antrieb, sondern aus „gut gemeint“. Es passt halt bloß leider zu gut, das naive Dümpeln in der eigenen Nächstenliebe nicht als fehlgeleitetes Mitleid mit Folge von Antisemitismus, sondern als Antisemitismusförderung zu charakterisieren, denn damit haben wir ja sozusagen bestätigt, dass die Mutter allen Judenhasses, einst mit dem Zeugnis – martyria – zuschlagend bei Paulus, nun den Weg der christlichen caritas wählt.
Ich halte das nicht für Taktik, christenfeindliche Strategie, selbsthasserische Reinwaschung des Islam oder bewusstes Einknicken vor der Islamophobiephobie. Ich denke einfach nur, dass sich hier Christenfeindlichkeit, historischer Analphabetismus (aus dem die Christenfeindlichkeit resultiert), säkulare Verblendung und Unwille, Ross und Reiter zu nennen, ausdrücken. Für mich wieder einmal lediglich ein Steinchen im Resignationsmosaik, das die vereinsamte Catholica zeigt, alleine auf dem Berg Ratio Heeren der Dunkelheit standhaltend.