Viel Lärm um alles #1: Married Love

1918 hat die Paläobotanikerin Marie Stopes (1880-1958) einen ultimativen Sex-Guide herausgegeben. Titel: Married Love. Stopes war überzeugt davon, dass ein gesundes, erfülltes Sexleben mit Garant einer glücklichen Ehe ist, und dementsprechend wollte sie Ehepaaren Zugang zu den nötigen Informationen geben, die man braucht, um das zu gewährleisten. Natürlich behauptet man heute, sie hätte es nur deshalb married love genannt, weil alles andere inakzeptabel gewesen wäre. Aber ist es so abwegig, dass sie eben einfach wusste, was common sense war: Dass Sexualität einen vornehmen Platz in der Ehe hat?

Was passiert, wenn sie aus der Einheit mit der Ehe herausgebrochen wird, sehen wir jetzt. In der Diskussion um die „Homoehe“ fehlt Sex nämlich völlig (entgegen dem, was man vermuten sollte), und nur durch Streichung dieses essentiellen Aspekts ist es überhaupt möglich, dass man darüber diskutieren kann, ob die Ehe zwischen Mann und Frau dasselbe sein könne wie das Zusammenleben Gleichgeschlechtlicher. Die sonst gerne mal orgiastisch auftretende Homolobby wird da plötzlich ungemein häuslich! Homoehe – wie profan wäre das, wenn sie etwas mit Sex zu tun hätte! Da finden wir nur füreinander sorgen, Verantwortung übernehmen, usw., engelsgleich, keusch, rein. Da wird ein schwules Paar mit Kind abgelichtet, das nicht das fleischgewordene Band zwischen den beiden sein kann, als Apotheose elterlichen Glücks: Absurd, aber offenbar haben wir in Deutschland nicht genügend Aufklärungsunterricht, denn zahlreiche Menschen „liken“ so etwas ohne das leiseste Gefühl, dass da biologisch etwas getürkt sein muss.

Nun sollte die Ehe doch eigentlich ausgedient haben – für sexuelle Erfüllung braucht man sie nicht, für soziale Sicherheit auch nicht. Man müsste mal erheben, wie viele der nicht Homosexuellen, die für „Homoehe“ sind, eigentlich selbst verheiratet sind! Dennoch bleibt eine Sehnsucht nach einer Idee von Ehe, und, das ist der grausame Witz, diese Sehnsucht wird befeuert durch die christliche Definition derselben! Die aus Jane-Austen-Verfilmungen bekannte anglikanische Trauansprache nennt noch eine Trias: Natürliche und soziale Grundlegung der Ehe, gestiftet und durchdrungen von einer göttlichen. Und nach dieser Dimension streben die Menschen, verkennend, dass sie untrennbar mit den beiden anderen zusammengehört!

Das Christentum hat Ehe geadelt. Während Fortpflanzung, wirtschaftliche Aspekte, gesellschaftliche Stabilität etc. immer schon zu einer irgendwie verbindlichen Bindung von Mann und Frau geführt haben, hat das Christentum darin noch einen tiefen inneren heiligen Sinn erkannt. Es hat ihn nicht erfunden, sondern erkennbar gemacht und verbindlich formuliert. Denn es ist Fakt, dass Mann und Frau innig aufeinander bezogen sind. Wie kommt es sonst, dass ein Topos wie der von Romeo und Julia schon in tausenden Varianten in der ganzen Welt existiert hat, als eine Liebesehe nicht denkbar, ungeheuerlich oder extrem selten war? Hier sieht das Christentum also tatsächlich nur etwas, was dem tiefen Sinn der Ehe entspricht, was aber offenbar häufig nicht erkannt wurde/wird.

Durch das Bekenntnis zu diesem Aspekt wurde der Grund gelegt für die Heirat aus Liebe, für das Bekenntnis zur Freiwilligkeit und sogar zur Gleichberechtigung der Partner, auch, wenn dies in den Wirren der Geschichte und durch Verdunklung der Lehre durch unzulängliche Gläubige und ihre anderweitigen Interessen manchmal schwer zu erkennen ist.

Wäre Ehe bei uns wie im Islam nur ein bürgerlicher Vertrag, ginge es, wie in vielen Kulturen, nur um die Vermehrung des Reichtums einer Familie, niemand würde nach Homoehe schreien. Würde man, ohne einander zu kennen, mit zwölf Jahren verheiratet, aus schierer Notwendigkeit, wen würde nach Homoehe dürsten? Nur durch die vom Christentum propagierte Ebene, die Liebe, hat Ehe überhaupt derartige Attraktivität, dass „jeder“ sie will.

Viele scheinen übrigens Hochzeit zu meinen, wenn sie Ehe sagen. Wo Gott nicht existiert, wird der transzendente Aspekt der Liebe zur weichlichen und selbstbezogenen Romantik verkürzt. Die soziale Säule ist irrelevant aufgrund unserer Nach-und-neben-mir-die-Sintflut-Mentalität, und die natürliche ist wie gesagt aus der Ehe herausgedrängt worden. Auf einem faulen Holzbein aber lässt sich schlecht laufen, entsprechend wenig tragfähig sind schon die echten Ehen in diesem Land. Der Glanz, der vom christlichen Ideal aber immer noch abfärbt, ist wichtiger. Und diese Illusion soll eben allen offenstehen. Dabei führt eine nicht nach christlichen Maßstäben geführte Ehe (gleich ob unter Christen oder Nichtchristen) zu seelischer Not und zu einer inhumanen Gesellschaft. Wieso sollte das besser werden, wenn auch noch die letzte Reminiszenz an die natürliche Ordnung, die Exklusivität der Ehe als Bindung von Mann und Frau, zerstört wird?

P.S.: Skurrilerweise sind konservative Christen, die, die jahrhundertelang die Liebe als Basis der Ehe vermitteln mussten, nun dazu gezwungen, ständig darauf hinzuweisen, dass Sex – und zwar entsprechend der Funktionsweise der beteiligten Organe, ich wiederhole mich, anscheinend brauchen wir mehr Aufklärungsunterricht – ein konstituierender Bestandteil der Ehe ist, denn diese Einsicht ist plötzlich revolutionär: Während ich diesen Artikel schrieb, sah ich auf meiner Timeline den Screenshot eines Facebook-Users, der die intellektuelle Inkontinzenz in diesem Bereich auf die Spitze treibt: Irgendeinen Zusammenhang zwischen Ehe und Kindern zu sehen, sei „MAXIMALDUMM“. Nächstes Mal bitte früher, dann kann ich statt Artikel einfach nur einen Screenshot setzen.