Grippe und Gruppendruck

Wenn man mich fragen würde, was mich an der Messe moderner Prägung (nicht an der ordentlichen Form generell) am meisten nervt, würde ich sagen: Der Hang zur Umwidmung des liturgischen Geschehens zu einem sozialen Treffen. Aktuelles Beispiel: Der leidige Friedensgruß. Ich glaubte ja gar nicht, dass man so einem Schmarrn überhaupt eine Zeile widmen müsse, wir haben wahrhaft größere Probleme, aber nachdem ich jetzt mehrfach diesen Winter durch mein Verhalten ungewollt Anstoß erregt habe, muss ich meinen Frust doch einmal in Worte gießen.

Wenn man nämlich, da krank, aus Rücksicht die ausgestreckte Hand mit einem Lächeln und einer Kopfverneigung beantwortet, wird man vom Gegenüber angeschaut, als habe man sich gerade selbst aus der Gemeinschaft der zivilisierten Welt ausgeschlossen, als habe man den anderen in seinem Mensch- und Abbild-Gottes-Sein herabgewürdigt und verachtet. Man könnte besser ein Häscher unterm Kreuz sein als es zu wagen, eine Friedensgrußhand nicht zu ergreifen.

Vielleicht liegt es daran, dass der moderne Kirchgänger beim kleinsten Schnupfen beschließt, wegen Krankheit dispensiert zu sein, so dass man gemeinhin davon ausgeht, dass, wer in die Kirche geht, gesund ist. Mein Ansatz ist da ein anderer – solange ich noch dazu fähig wäre, allein in die Apotheke zu gehen, bin ich auch noch dazu fähig, in die Kirche zu gehen. Nur nehme ich mir aus Nächstenliebe dann vor, beim Friedensgruß nur zu nicken um nicht statt Frieden Viren zu verbreiten. Resultat sind bedrängende wiederholte Versuche, mir die Hand des anderen aufzunötigen, und Gesichtsausdrücke zwischen unverständig, verletzt und indigniert. Also ging ich dazu über, erklärend zu wispern „Ich bin total krank“ – vielleicht kann man das „infirmus sum“ statt „Friede sei mit dir“ als offiziellen liturgischen Alternativgruß einführen. Das „Danke, gleichfalls!“ am Ende der Messe hat es ja auch schon geschafft. Dumm nur, wenn die ältere Dame vor einem schwerhörig ist.

Und das ist das Problem mit dem üblichen Friedensgruß: Kurz vor der Vereinigung mit Christus wird man aus den Höhen der Liturgie in ein völlig unliturgisches Verhalten gestürzt, weil der Friedensgruß als soziale und nicht als liturgische Interaktion begriffen wird. Die meisten Menschen hierzulande sind sich des Unterschieds zwischen rituellem und alltäglichem Verhalten überhaupt nicht bewusst, und sind dann eben auch persönlich beleidigt, wenn man ihnen nicht die Hand schüttelt. Ich habe jetzt also beschlossen, in Zukunft auf derartige Rücksicht zu pfeifen. Es kann doch nicht sein, dass man während der heiligen Messe irgendwem erklären muss, wieso man was tut oder nicht tut.

Überhaupt scheint ja der Händedruck auch abgesehen vom kirchlichen Kontext ein Parameter zu sein, der für den Deutschen über Achtung oder Missachtung entscheidet. Ich erinnere daran, dass die Weigerung von Muslimen, einem Angehörigen des jeweils anderen Geschlechts die Hand zu geben, bisweilen als höherer Affront aufgefasst und mit mehr Empörungsgebaren bedacht wird, als islamisch motivierter Frauenmord. Das verstehe, wer will. Mein Nächster bekommt jetzt jedenfalls das nächstes Mal Friedensgruß und Grippe.