Banale Weihnachten oder: Die Wohlstandskirche lehnt sich zurück oder: Ich habe genug

„Wir beten für alle, die heute einsam sind, die nicht mit ihren Lieben feiern können.“ So ähnlich wurde in den Weihnachtsgottesdiensten, die ich dieses Jahr zum Teil als Gläubige, zum Teil berufsmäßig besuchte, in den Fürbitten gebetet. Stillschweigend angenommen wurde dabei, dass diese Einsamen nicht im Gottesdienst sind – denn die Armen, Einsamen, das sind natürlich die anderen. Wir hier, wir sind mit der Familie da, gehen zum Weihnachtsessen oder kommen daher. Dementsprechend ausführlich weist der Jesuitenpater in der Christmette darauf hin, dass wir natürlich vollgestopft und müde sind. Selbst einige Gebete wandelt er entsprechend ab – kann er sich so sicher sein, dass kein Mitglied der Gottesdienstgemeinde gefastet hat an dieser Vigil von Weihnachten? Dass keiner aus finanzieller Not heraus nur wenig auf dem Teller hatte? Oder allein war und für sich allein vielleicht kein großes Festessen bereitet hat?

Ich bin dieses Jahr an Weihnachten vor allem mit einem gesättigt worden: Mit Überdruss gegenüber einer verweltlichten, bürgerlichen, fetten und selbstgenügsamen „Amtskirche“, Menschen, die meinen, Weihnachten bestünde darin, mal großzügig an andere zu denken. Komm, lass uns doch heute mal an die Einsamen denken! Dann müssen wir uns auch nicht umschauen und sehen, ob da vielleicht ein Einsamer ganz in der Nähe ist, den man einladen könnte?! Lass uns doch heute mal Geld nach Afrika oder Lateinamerika spenden; das beruhigt das Gewissen angesichts des neuesten Smartphones und der anderen völlig überdimensionierten Gaben unter dem Weihnachtsbaum. Hier wird deutlich, dass man sich als gutsituiert versteht und den Armen als jemanden, der außerhalb steht, vielleicht wie der Obdachlose, der vor der Kirche bleibt mit seinem Sammelbecher. Wie weit weg ist das von Laurentius, der sagt, dass die Armen der Schatz der Kirche seien? Und ist es nicht auch so, dass auch die, die reich an Gütern sind, jeder ihre eigene Armut haben, die sie nur aufspüren müssten? Armut an Glauben, Hoffnung und Liebe etwa, an Gehorsam, an Standhaftigkeit, Reue, Freude oder an was auch immer? Wer sich an Weihnachten als reich versteht, versteht nichts.

Ich war verblüfft, wie wenig weihnachtliche Substanz ich in den Gottesdiensten dieses Weihnachtsfestes bisher erleben durfte. Wir fühlen uns wohl, es geht uns gut. Wir wünschen uns Frieden (klar). Eine seltsame Botschaft für den Tag, an dem Gott aus Liebe zu uns geboren wurde. Um uns zu erlösen. Um für uns zu sterben. Hingerichtet am Kreuz. Für uns. Kann eine so gewaltige Nachricht wirklich in die heutige Zeit übersetzt werden mit „Seid nett zueinander“? Ich glaube nicht.

Mir ist aber auch klar geworden, dass und warum dieser Krebs der Belanglosigkeit in der evangelischen „Kirche“ noch so viel ärger wütet als in der katholischen – und das meine ich nicht hämisch. Es tut mir aufrichtig leid, dass dem so ist. Zumal die katholische Christmette von der Predigt her kein bisschen weihnachtlicher war als die feierliche Christvesper in der evangelischen Hauptkirche! Dennoch: Was dem evangelischen Bekenntnis fehlt, ist die „Realpräsenz“ des göttlichen Wirkens. Hier haben wir Kultur, keinen Kult. Hier hören wir eine Geschichte, die sich vor 2000 Jahren ereignet hat. Sie berührt uns, wir hören sie gern, weil wir sie mit unserer Kindheit verbinden und den schönen Erinnerungen daran. Aber wie alle alten Geschichten verblasst ihre Wirkmacht mit den Jahren. 2018 Jahre ist das jetzt her. Hui. Lange Zeit. Wie viel Glanz ist da noch zu sehen in den Augen der Hirten, wie viel Klarheit des Herrn leuchtet da noch, was strahlt da auf von der Krippe? Wer nur erinnert, der tut zu wenig, um wirklich von der Weihnacht ergriffen zu werden. Für die katholische Kirche dagegen entfaltet das Weihnachtsfest bis heute Wirklichkeit. Es ist mehr als ein historisches Geschehen, es wird in der Messfeier mit-vergegenwärtigt wie alles, was mit Menschwerdung, Tod und Auferstehung unseres Herrn zu tun hat. Es ist schmerzlich, dass viele Katholiken und viele katholische Priester sich nicht bewusst sind, was für einen Schatz diese Kraft und dieser Auftrag zur Vergegenwärtigung bergen; dass sie lieber dem evangelischen Mainstream darin folgen, eine Märchenstunde abzuhalten, in der man sich des eigenen Wohlbefindens versichert und alte Lieder singt.

Dabei ist es überhaupt nicht schwer, sich diesem Geheimnis anzunähern: Man muss nur staunen wollen: Es macht mich schon fast böse, wenn Menschen davon faseln, wie wundervoll doch Weihnachten mit Kinderaugen gesehen sei und wie sehr man sich doch danach zurücksehne. Dieser Ansatz ist schlicht eine billige Ausrede um zu entschuldigen, dass man Weihnachten zur sentimentalen Erinnerungsstunde degradiert hat (denn sobald es mehr wäre als das, wäre das neue Smartphone so gar nicht mehr zu rechtfertigen, oder zumindest würde es seine Bedeutung deutlich einbüßen gegenüber dem Geschenk der Erlösung) . Jeder ist frei, genau dahin zurückzugehen, zur kindlichen Freude: Mehr Gebet, weniger Geschenke, mehr Tradition, weniger Stress; das ist nicht schwer umzusetzen. Aber die Voraussetzung ist, dass man tatsächlich meint, dass die Menschwerdung und Geburt Gottes ein Geheimnis sei, das man bestaunt, und das relevant für das eigene Leben ist.

Dieser Beitrag erscheint innerhalb der Weihnachtsoktav. Ja, es ist Weihnachten. Immer noch. O du fröhliche!