Der Schatz der Kirche #2: Die Mitwirkung am Heil

Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen und da die Diebe nachgraben und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, da sie weder Motten noch Rost fressen und da die Diebe nicht nachgraben noch stehlen. (Mt 6, 19-20)

Im ersten Artikel ging es um die Rede der Kirche von einem „Gnadenschatz“ (eigentlich „Kirchenschatz“). Kritik daran entzündet sich u.a. daran, dass durch das gewählte Sprachbild der Eindruck von quantifizierbarem Besitz entsteht. Wenn man sich auf diese Sprachebene aber einlässt, so kann man an der konkreten Lehre, wie sie etwa im Katechismus dargelegt ist, unschwer erkennen, dass diese Einwände nicht haltbar sind bei korrektem Verständnis der Begriffe, zumal diese durch Christus und die Schrift bestens legitimiert sind. So ist der eigentliche Knackpunkt ein anderer: Wir verstehen nicht nur Christi Verdienst als Stiftung dieses „Schatzes“, wir glauben auch, dass Maria und die Heiligen selbst „Verdienst“ in diesen Schatz eingebracht haben – und damit, dass auch wir in diesen „Fonds“ einzahlen können. Dies bedeutet, dass wir nicht „nur“ Empfänger der Gnade Christi sind, sondern am Heil in irgendeiner Weise mitwirken. Wen dieser Gedanke nicht gruselt, der ist kein Protestant. Zur Beruhigung schon einmal vorweg: Verdienst abseits von Christus gibt es nicht.

Als ich begann, mich mit diesem Thema eingehender zu beschäftigen, bemerkte ich, dass es für mich als Ex-Lutheranerin eine große Hürde war, überhaupt den Gedanken zuzulassen, der Mensch habe mit seinem Heil etwas zu tun. Ist das nicht spannend? Obwohl ich in dem festen Vertrauen auf die Lehre der katholischen Kirche konvertiert bin, obwohl die Anrufung der Heiligen und der Erwerb von Ablässen seit meiner Konversion zu meinem geistlichen Alltag gehören, ist dieser Gedanke emotional immer noch mit dem Stigma „Werkgerechtigkeit“ oder „Selbsterlösung“ behaftet, so tief sitzt das lutherische Dogma. Schade, dass es innerhalb der evangelischen Gemeinden nicht hinterfragt wird. Denn dabei handelt es sich kaum um ein religiöses als viel mehr um ein psychologisches Dogma. Ihm zugrunde liegt ein Minderwertigkeitskomplex gepaart mit der panischen Angst, Gottes Ehre zu beschneiden. Dies führt zu dem Fehlschluss, dass jeder Anteil des Menschen an irgendetwas das Bekenntnis der Allmacht Gottes gefährden würde. Eine solche Sichtweise widerspricht allerdings der heiligen Schrift: Zwar wird zu Recht immer wieder davor gewarnt, sich selbst zu rühmen, da alles von Gott kommt; dies schließt aber nicht zwangsläufig aus, dass der Mensch das, was von Gott kommt, auch nutzen muss/darf/kann, wie es ja die ganze Schrift durchzieht. Und wenn ein Mensch dies tut, kann er auch gerühmt werden – so lobt Christus durchaus jene, die Verständigkeit in Sachen des Glaubens beweisen und verheißt Lohn für gottgemäße Taten. In letzter Konsequenz mündet die protestantische Lehre in einer Art Puppenspieler-Gott, dessen Spielzeug – wir – keinerlei echte, freie Interaktion mit ihm haben kann.

IV. Die Mitwirkung am Heil

Katholiken gehen davon aus, dass Christen am Heil mitwirken. Wieso meinen wir das? Nun, ehrlich gesagt müssten Protestanten erklären, wie sie darauf kommen, dass es nicht so sei. Wenn Christen Bibeln nach China schmuggeln, in der Fußgängerzone Menschen mit dem Evangelium konfrontieren oder bei Tisch mit ihren Kindern beten, dann wirken sie als Gottes Arbeiter in seinem Weinberg am Heil anderer mit. Das ist so selbstverständlich, dass man sich wundert, darauf hinweisen zu müssen.

Die heilige Schrift weist immer wieder eindringlich darauf hin, wie wichtig unsere Werke sind. Zuerst einmal ist es Christus, der z.B. im Gleichnis vom Feigenbaum oder in dem von den Böcken und Schafen deutlich macht, dass unser Tun Einfluss auf unsere Erlösung hat. Da Protestantismus aber generell dazu neigt, zu verabsolutieren, stellt er die katholische Sichtweise, dass wir mitwirken an der Erlösung, als Selbsterlösung dar – was natürlich auch aus katholischer Sicht schlicht eine Häresie ist. Auch der Jakobusbrief (den Luther diffamiert, weil er seiner eigenen Lehre widerspricht – wie war das noch, mit sola scriptura?) erläutert die Bedeutung der Werke zum Heil. Ein Protestant jeglicher Konfession müsste also erläutern, wie er Jesu eigene Worte weginterpretieren kann um daran festhalten zu können, dass die Werke unerheblich seien.

Dabei lässt sich ein Missverständnis schnell ausräumen: Auch Katholiken bekennen, dass die erste „wirksame“ Zuwendung immer die Gottes zum Menschen ist. Sie verabsolutieren diese einfache Erkenntnis aber nicht, indem sie in das Extrem verfielen, dass deshalb die Hinwendung des Menschen zu Gott gar nichts sei. Da nun aber der Protestantismus dieses Extrem vertritt, wird automatisch vermutet, Katholiken verträten die gegenteilige Ansicht. Das tun sie aber nicht. Nun glauben Protestanten dieses Extrem, weil, reflektiert oder nicht, protestantische Lehre den freien Willen ablehnt – das ist natürlich vielen Protestanten heute nicht mehr explizit bewusst, hat aber großen Einfluss auf implizite Glaubenseinstellungen.

Daraus, dass der Mensch einen freien Willen hat, ergibt sich auch eine Mitwirkungsfähigkeit des Menschen an Gottes Werk: Er kann sich dem Wirken Gottes öffnen und sich instrumentalisieren lassen, oder sich von der Gnade abwenden.

Nimmt er sie tatsächlich an, müssen daraus „gute Früchte“ folgen, denn wer das Gute ganz annimmt, kann nicht Schlechtes tun (wollen). Daraus folgern nun Protestanten eine Art Zwang zum Guten: Hast du Christus angenommen, folgen die (guten) Werke automatisch; da man Gott nur annehmen kann, wenn dieser einem die Gnade dazu schenkt, bleibt am Ende kein Verdienst.

Das ist nicht komplett falsch, oder sagen wir, es ist gefühlt richtig: Die Gnade Gottes kann so überwältigend sein, dass man tatsächlich das Gefühl hat, zum Guten „gezwungen“ zu sein. Man „kann gar nicht anders“. Da der Mensch aber nun einmal einen freien Willen hat, kann er sehr wohl gegen diese Gnade handeln – und tut es auch ständig. Wenn wir aber so, wie wir ablehnen können, auch annehmen können, dann steckt in dieser Annahme auch ein Verdienst. Niemand würde behaupten, einer Mutter, die für ihre Familie sorgt, oder einem Feuerwehrmann, der ein Menschenleben rettet, gebühre kein Dank, schließlich täten diese Menschen ja nur, was ohnehin ihre Aufgabe sei, die sie willentlich und wissentlich angenommen hätten und sie könnten ja gar nicht anders als diese zu erfüllen.

Dies widerspräche auch dem inneren Ringen des Menschen um das Gute: Wer kennt nicht Versuchungen? Und ist es gleichgültig, ob ich ihnen nachgehe oder nicht? Das würde wohl kaum dem Ernst der Sünde gerecht: Wenn es egal wäre, wäre es ein Hohn, dass Christus sich dafür hingegeben hat. Was zum zweiten Aspekt führt: Wir sehen unseren Verdienst als Mitverdienst „in, mit und durch“ Christus: Er ist nicht wirksam aus uns heraus, sondern, weil wir als Getaufte im Gnadenstand Teil des Leibes Christi sind. Es gibt sozusagen zwischen Christus und den Seelen, die ihn angenommen haben, keine Gütertrennung, wir sind ein Leib.

Als ich noch evangelisch war, war mir die diesbezüglich unangenehmste Bibelstelle ein Vers aus dem Kolosserbrief: Nun freue ich mich in den Leiden, die ich für euch leide, und erfülle durch mein Fleisch, was an den Leiden Christi noch fehlt, für seinen Leib, das ist die Gemeinde. (Kol 1,24).

Ich habe nie erlebt, dass ein Prediger sie schlüssig hätte erklären können. Es wurde stets nur gesagt, dass dies keinesfalls bedeuten könne, dass an den Verdiensten Christi noch etwas fehle – aber nun, was bedeutet es dann? Es kann natürlich nicht im Sinne einer Selbsterlösung bedeuten, dass das i-Tüpfelchen des Erlösungswirkens in unseren eigenen Werken bestünde. Etwas komplizierter, aber wie ich finde verständlicher übersetzt die Elberfelder: Jetzt freue ich mich in den Leiden für euch und ergänze in meinem Fleisch, was noch aussteht von den Bedrängnissen des Christus für seinen Leib, das ist die Gemeinde.

Es ist also nicht so, dass die Erlösung noch unvollkommen sei, sondern es ist vielmehr so, dass sie, solange die Welt besteht, „im Sein begriffen ist“ – ein jeder, der getauft wird, ist ja nicht schon vor der Taufe gerettet, sondern durch die Taufe. Und da wir nun Teil des Leibes Christi sind, haben wir auch Anteil an dem Leiden, die dieser Leib um der Erlösung willen erträgt.

Dass Christus uns so sehr liebt, dass er uns ganz praktisch Anteil geben will, als Mitarbeiter, ja, Miterlöser, sagen wir es ruhig ganz mutig, dass er uns für würdig befindet, mit ihm und in ihm zu leiden, das entspricht der Würde der Gottesebenbildlichkeit und der Logik der Gotteskindschaft als Christi Brüder und Miterben. Wäre unser Leiden, das ja faktisch da ist und nicht wegdiskutiert werden kann, nicht wirksam, müsste man sich fragen, ob Gott sadistisch ist, dass er den Menschen wahrhaft umsonst leiden ließe. Ist es aber wirksam, ist es auch verdienstvoll.

Kommen wir zurück zum Ausgangspunkt dieser Überlegungen: Wenn wir davon ausgehen, dass Gott die Liebe ist und daher den Menschen mit einem freien Willen geschaffen hat (der, selbst wenn er durch die Erbsünde vollkommen zerstört worden wäre, durch die Taufe wiederhergestellt sein müsste!), der zu Gottes Erlösungswirken Ja oder Nein sagen kann (nachdem sich dieser in Form der Gnade Christi dem Menschen zuerst zugewandt hat um ihn wirksam zu erlösen), und wir also daher meinen, dass der Mensch einen Anteil am Guten habe, dass er darüber hinaus als Getaufter in Christus ist und so auch an dessen Verdiensten teil hat, dann ergibt sich daraus, dass ein Mensch in, durch und mit Christus wirksam „Verdienst“ erwerben kann. Dieser Verdienst steht Gottes Gnade nicht gegenüber oder bewirkt sie, sondern geht aus ihr hervor. Christen empfangen aus diesem gemeinsamen Gut kraft der Gemeinschaft der Heiligen, die ja Gemeinschaft in Christus ist.

Disclaimer: Dieser Artikel erscheint innerhalb der Weihnachtsoktav. Es ist Weihnachten. Immer noch.  Jawohl. O du fröhliche!