Catholic Basics #2: Sind katholische Heilige inkulturierte Götzen?

Gerne wird geargwöhnt, dass die katholischen Heiligen Abarten heidnischer Gottheiten seien. Das liegt vor allem daran, dass ihnen Patronate zugewiesen werden, so dass man etwa den heiligen Antonius anruft, wenn man etwas verloren hat oder die heilige Bibiana, wenn man einen Kater hat (kein Witz, neulich erst gelernt).

Diese Sichtweise wird gerne von Protestanten und Säkularen gleichermaßen bemüht, und ich denke, vielen evangelischen Christen ist nicht klar, dass sie sich mit dieser Ansicht selbst ein Bein stellen. Wer dies nämlich behauptet, leugnet die Historizität des christlichen Glaubens, bzw. versucht, den katholischen Glauben zu „mythologisieren“.

Der gesamte Komplex von Behauptungen, das Christentum habe lediglich heidnische Topoi aufgenommen und verarbeitet, leugnet, dass Gott wirklich ist und sich wirklich offenbart hat und behauptet, dass das Christentum lediglich eine Konstruktion von vielen sei, die das religiöse Bedürfnis des Menschen befriedigen solle. Statt also von einem Gott auszugehen, der sich tatsächlich dem Menschen zuwendet, geht man von einem Menschen aus, der Gott erfindet. Das Christentum erkennt durchaus dieses Bedürfnis des Menschen nach Gott an, sieht darin aber ein natürliches Drängen des Geschöpfes zum Schöpfer, auf das Gott in seiner Selbstoffenbarung antwortet.

Im Falle der Heiligen ist diese Auffassung besonders absurd, denn diese sind überwiegend historisch ziemlich genau fassbar. Ganz egal, weshalb man einen heiligen Antonius anruft, es ist ganz deutlich, dass er und seine offenbar beeindruckend heilige Lebensführung zuerst da waren, nicht zuerst das Bedürfnis des Menschen nach jemandem, der ihm übernatürlich hilft, wenn er etwas verloren hat. Die zahlreichen Heiligen des 20. Jahrhunderts sind ebenfalls sehr fassbar. Letztlich gilt das genauso für die Heiligen der ersten Jahrhunderte, die ja vor allem Märtyrer waren: Sie waren zu Lebzeiten bekannt, weshalb man ihr Andenken bewahren konnte. Zwar mögen über die Jahrtausende hinweg die eine und andere Gestalt zu einer verschmolzen sein, mögen manchmal symbolische Namen für den nicht bekannten eigentlichen Namen der Person stehen – der Kontext ihrer Verehrung war aber dezidiert das historische Martyrium, das Sterben für Christus. Dies machte sie verehrungswürdig. Nicht als glorreiche Halb- oder Untergötter, sondern als Menschen, die grauenhafteste Tode auf sich genommen haben im Zeugnis für den ins Fleisch gekommenen Gott.

Als der heilige Maximilian Kolbe kanonisiert wurde, war der Mensch, der durch ihn gerettet wurde, Franciszek Gajowniczek, anwesend auf dem Petersplatz – würde man vermuten, dass er ihn für eine Art Halbgott hielt? Wohl kaum. Als die heilige Perpetua und die heilige Felicitas getötet wurden, waren Bekannte oder Freunde oder Mitchristen dabei oder haben zumindest gesehen, wie sie weggeschleppt wurden und haben sie deshalb als Märtyrinnen geehrt: Zu keinem Zeitpunkt bestand ein Bedürfnis oder Anlass, sie als mythische Figuren zu sehen, im Gegenteil, es ist ihr heroisches MENSCHsein, das zur Verehrung treibt. Spätere legendenhafte Ausschmückung ändert nichts an der historischen Grundlage derselben. 

Das Bedürfnis der Gläubigen stand also nicht nach Göttergestalten, sondern nach der Verehrung historischer Personen gemäß ihres Verdienstes und Vorbildcharakters. Und da ist es dann eben natürlich, dass man als Zimmermann den besonders verehren will, der auch Zimmermann war.

Es ist auch nicht so, wie irrigerweise oft angenommen, dass es sich bei der Zuweisung von Patronaten um Ressorts wie bei den Göttern ginge: Vielmehr sind es Konvention und Praxis, die das bestimmen. D.h., natürlich kann man, wenn man etwas verloren hat, auch den heiligen Abrunculus anrufen, und viele Katholiken haben einen Heiligen oder Patron, den sie besonders verehren und dem sie sich dementsprechend anvertrauen. 

Wie aber ist es möglich, dass Heilige etwas bewirken? Nun, in und durch Gott natürlich: Wir gehen davon aus, dass Gott die Liebe ist. Dementsprechend ist am meisten in Gott, wer am meisten liebt. Ist Liebe aber nicht ein tätiges Wohlwollen? Darum glauben wir, dass, wer bei Gott ist, nicht aufhört, zu lieben und tätig das Wohl der Menschen im Blick zu behalten. Im Gegenteil. Wir denken, dass dies umso mehr das Verlangen eines Heiligen sein muss. Die Kirche befindet sich in stetem, engem Austausch, sie ist ein Organismus, und die Heiligen gehören dazu ebenso wie jeder Mensch, der noch auf Erden lebt.

Irritation in diesem Punkt entsteht oft dadurch, dass Nichtkatholiken in diese Form des kirchlichen Lebens, des Lebens in der Gemeinschaft der Heiligen, keinen Einblick haben und sich deshalb seltsam verzerrte Vorstellungen davon machen. Z.B. herrscht oft die Vorstellung, als Katholik getraue man sich nicht, Gott direkt anzurufen und meine, einen Mittler zu benötigen. Wer aber kirchliche Gebete betrachtet, stellt fest, dass das nicht sein kann, angesichts der Menge an Gebet, die an Gott gerichtet wird. Gebete zu Heiligen haben eine Form, die dem evangelikalen Brauch, Mitbrüder zum Gebet für sich aufzufordern, entspricht: Der einzige Unterschied zwischen „Hey, Schwester, bete für mich“ und „Heilige Barbara, bitte für mich“ ist, dass die heilige Barbara schon in der Vollendung bei und in Gott ist, was man bei einer x-beliebigen Mitchristin nicht zweifelsfrei sagen kann.

Protestanten ist generell die katholische Grundeinstellung „sowohl als auch“ fremd, und so verabsolutieren sie gerne etwas, das Katholiken lediglich als Ergänzung betrachten. 

Das Gebet der Kirche muss immer als Ganzes betrachtet werden. Ein einfaches Beispiel: Im Nachtgebet der Kirche bitten wir Gott, dass seine Engel unser Haus beschützen mögen. Zugleich gibt es Gebete, die sich direkt an die Engel richten und um Schutz bitten. Protestanten meinen nun automatisch (warum auch immer!), wenn eine Handlung die Richtige sei, müsse eine andere falsch sein. Diese protestantische Grundannahme wird auch nie hinterfragt: Wieso soll bei drei möglichen Verhaltensweisen (niemanden anrufen, Gott anrufen, Engel anrufen) nur eine richtig sein können? Und kann es nicht auch Hierarchien des Richtigen geben? Und wie kann es sein, dass man zur Bewertung der Heiligenverehrung einen Teil der vorliegenden Fakten (nämlich, dass Katholiken Götzendienst ablehnen und explizit Gott allein als Urheber des Seins anbeten) ignoriert?

Nun könnte man sagen, wieso überhaupt um Engel bitten, Gott kann doch selbst schützen. Klar kann er. Nur: Offensichtlich liebt er es, durch seine Geschöpfe zu wirken, und schon biblisch ist die Schutz- und Kampffunktion der Engel belegt. Und ich hätte auch noch nicht gehört, dass in evangelischen Gemeinschaften Feuerwehrleute abgeschafft würden in der Annahme, Gott würde schon selbst Feuer löschen (kann er schließlich). Ebenso wenig würde wohl ein evangelischer Christ, wenn es bei ihm brennt, ablehnen, die Feuerwehr zu rufen – würde man dadurch aber nicht Gottes Allmacht in Frage stellen? Die protestantische Haltung ist also in sich nicht konsequent: Einerseits will sie nur Gott direkt wirken lassen, andererseits nimmt sie jeden Tag vielfach den Dienst anderer in Anspruch. Die einzige Erklärung wäre, dass sie eben zwischen weltlichen und geistlichen Dingen unterscheidet und in letzteren nur Gott direkt anspricht. Auch dies aber wäre zweifach unlogisch: Dies setzt entweder voraus, dass man Gott als nicht verantwortlich für die Sphäre der Materie betrachtet (Gnosis lässt grüüüßen) oder, dass man zumindest in geistigen Dingen annimmt, dass darin Menschen nicht als Instrument Gottes dienen könnten, was der heiligen Schrift klar widerspricht. Um nur das dramatischste Beispiel zu nennen, das beide Punkte widerlegt: Wenn Gott Fleisch annimmt von Maria und von ihr geboren wird, dann wird sie zum „Kanal „des Heiles, da ja das Heil der Menschen, Gott selbst, durch sie in die Welt kommt (kommen will!). Ein höheres geistliches Gut als die Erlösung kann es kaum geben, eine materiellere Sache als die Fleischwerdung ebenso wenig.

Die katholische Haltung betet nur Gott an, ehrt aber jene, die sich zum Instrument Gottes machen lassen.