Christliches Abendland und Verblökung

Ich bin aufgewachsen in einer Stadt am Rhein, in der sich eine große japanische Gemeinde angesiedelt hat, genaugenommen die größte in Europa. Die Japaner sind gut integriert aber wenig bis nicht „assimiliert“. Sie bereichern die Stadt um ein jährliches Kirschblütenfest, Japanisch als Wahlfach in der Schule und natürlich um Restaurants, die ihresgleichen suchen. Dennoch werden diese Japaner eines nicht: Europäer. Das liegt nicht daran, dass die deutsche Kultur für sie unzugänglich wäre, sondern daran, dass die japanische Kultur eine in sich weitgehend geschlossene ist, die sich durch ihre Einzigartigkeit auch nach Jahrzehnten in fremdem Gebiet soweit hält, dass man sie unterscheiden und abgrenzen kann. Das bedeutet nicht, dass man einander nicht mag, einander misstraut oder sich nicht gegenseitig beeinflusst. Es bedeutet nur und ausschließlich, dass eine bestimmte Anzahl von Menschen eine ausreichend große Schnittmenge kultureller Prägung teilt und dass diese sich von der anderer Menschen mit einer jeweils anderen Schnittmenge unterscheidet.

Und so, wie wir die japanische Kultur faszinierend und bewundernswert finden, bestaunen wohl auch viele Japaner die unsere – oder wie sonst kann man sich die Touristenströme erklären, die sich jedes Jahr aus Fernost über Europa ergießen? Diese Menschen kommen nicht hierher, um in Düsseldorf japanisch essen zu gehen oder das Kirschblütenfest dort zu feiern. Sie kommen auch nicht, um unsere Kultur auszulöschen. Sie kommen, um in den Kunstgalerien das zu erfahren, was sich hier und nur hier bilden konnte: Die auf Christentum, römischem Recht und griechischer Philosophie beruhende Kultur Europas, die sich in Kunst manifestiert, die man nur hier sehen kann (Nebenbei bemerkt: An diesen drei Säulen sieht man ja bereits, dass ein bestimmendes Merkmal Europas immer schon war, verschiedene Einflüsse zur Synthese zu bringen. Dieser kulturellen Flexibilität verdanken wir von Menschenrecht bis Weinanbau so ziemlich alles und diese Flexibilität macht Pluralität erst möglich). Japaner, die uns besuchen, scheinen nichts ausgrenzendes daran zu finden, dass sie in eine andere Kultur hineingeboren wurden. Sie haben auch kein Interesse daran, ihre Prägung aufzugeben – und wenn sie es tun wollten, dann wäre das in Europa deutlich einfacher zu bewerkstelligen, als wenn ein Deutscher beschlösse, Japaner zu werden.

Wenn Kardinal Marx behauptet, der Begriff „christliches Abendland“ sei ausgrenzend, dann müsste er die Japaner ja erst recht für entsetzlich halten, schließlich ist ihre Kultur anders als die europäische sozusagen „monoethnisch“; und nicht nur kulturelle Prägung, sondern auch ethnische Zugehörigkeit sind ein sehr viel entscheidenderer Faktor als bei uns. Wie furchtbar intolerant!

Perfide ist an der Aussage, dass sie im Zusammenhang damit steht, dass in Europa verschiedene Religionen friedlich zusammenleben sollen und müssen. Wenn man bedenkt, dass es einmal ein christliches Nordafrika und einen christlichen Nahen/Mittleren Osten gab, von dem heute keiner mehr auch nur weiß, oder dass das Christentum in Japan jahrhundertelang im Geheimen weitergegeben und bewahrt werden musste, oder dass die Bibel in vielen Ländern der Erde verboten ist, scheint es irgendwie zynisch, davon auszugehen, dass ausgerechnet christliche Prägung ein Handicap für Koexistenz sei.

Kardinal Marx kennt offensichtlich den Unterschied zwischen abgrenzen und ausgrenzen nicht. Abgrenzung liegt keine qualitative Komponente im Sinne von besser/schlechter zugrunde, sondern die wertfreie Beobachtung unterscheidender Merkmale:  Zu behaupten, man grenze aus, indem man den Unterschied zwischen Sushi und Weißwurst benenne, ist schlicht Synapsenharakiri.

Übrigens ist das eigentlich Traurige nicht nur, dass hier jemand seine eigene Sprache nicht versteht: Offensichtlich ist hier jemand selbst davon überzeugt, dass „anders“ gleichbedeutend mit „schlechter“ sei. Wer nämlich Andersartigkeit schätzt, braucht sie auch nicht zu nivellieren. Als ausgrenzend kann man die Benennung eines Unterschieds nur empfinden, wenn man ihn eigentlich fürchtet oder ablehnt, wenn man nicht lernen oder lehren, sondern dumpf dahinbrüten will. Das gestehe ich einem texanischen Hinterwäldler zu, einem südostanatolischen Ziegenhirten und einem Eifeler Bauern. Aber nicht einem katholischen Kardinal, der kraft seines Amtes Hirte einer welt- und kulturumspannenden Einheit ist.

Ehrlich gesagt fällt es mir schwer, einen Menschen als Hirten zu akzeptieren, der jedes Schaf an Klarheit im Denken unterbietet in seinem Versuch, den relativistischen Mainstream zu überrunden (und weil eine gute Beleidigung ohne „ad hominem“ nur unvollständig wäre: Beeindruckend, zu welch sportlicher Hochleistung sich der Kardinal hier aufschwingt!). Diese opportunistische, widerchristliche, schleimige Buckelei vor dem Mammon wäre deutlich erträglicher, wenn sie wenigstens intelligent wäre. Bloggt Seine Eminenz eigentlich?