Notre-Dame – Kulturgut oder Osterbotschaft?

Die Nacht des Karmontag 2019 war eine intensive Nacht. Als ich am Abend den Newsfeed öffnete, konnte ich es nicht glauben. Alles schien mir wahrscheinlicher, möglicher als dies: Notre-Dame de Paris brennt, und zwar lichterloh. Man konnte sich kaum vorstellen, dass sie dieses Inferno irgendwie überstehen würde.

Beinahe alle meiner Freunde, egal welcher Couleur, posteten einen Beitrag zu der Feuersbrunst und einen Kommentar, der sich irgendwo zwischen „Entsetzen“ und „Schock“ bewegte. Und was mich berührte: Während ich oft das Gefühl habe, es würden Betroffenheitsnotizen in den Äther gesandt, weil „man das halt so macht“, hatte ich den Eindruck, dass bei diesem Gebäude die Fassungslosigkeit und Erschütterung ganz und gar echt und authentisch waren. Wir verbannen den Tod so sehr aus unserem Leben, und er bleibt oft weit weg; der drohende Tod dieser jahrhundertealten Steine aber vermochte noch den verstocktesten Atheisten irgendwie zu bewegen. Das hat mich nicht wirklich erstaunt, aber wie gesagt gerührt. „Solidarität“ war hier einmal ein tatsächlich angemessenes Wort für das, was zumindest in meiner „Bubble“ passierte.

Was mich aber nachdenklich stimmte: Gleich ob traditionelle Katholiken, bürgerliche Konservative, Künstler oder Linke, der Tenor ging meist in Richtung „das Herz des Abendlandes ist getroffen“ – nur, dass der Katholik eben von christlichem Abendland sprach, der Konservative von Abendland, der Künstler vom Kulturgut und der Linke vom Kulturgut Europas. Gemeint ist dasselbe: Die Kirche wird begriffen als identitätsstiftendes Kulturgut – ob man nun die Identität in einem Volk, einem Zusammenschluss von Völkern oder der Menschheit verortet, ist dabei relativ wurscht. Diese Auffassung finde ich massiv zu kurz gegriffen, und der liebe Gott, der offensichtlich ein gewisses Faible für ikonische Momente nicht ganz verbergen kann, scheint das irgendwie auch zu meinen – jedenfalls ist das bestimmende Bild seit dem Morgen danach ein Kreuz im Altarraum von Notre-Dame, das, von unwirklichen Lichtstrahlen umflort, glänzend, verherrlicht und leuchtend zwischen Trümmern und verkohltem Dachgebälk prangt. Kulturgut? Ja klar. Aber Kulturgut um den zu verherrlichen, dem wir alle Kultur verdanken. So sehr die Baumeister aller Jahrhunderte zu preisen sind, die offensichtlich etwas von ihrem Handwerk verstanden, diese Kirche ist kein Symbol menschlicher Schaffenskraft sondern von Gottes Größe.

Darum ist meine persönliche Meinung auch, dass dieser Tag nicht in die Geschichte eingehen sollte als der Tag des Brandes von Notre-Dame, sondern als Tag der Rettung von Notre-Dame de Paris. Dieses Ereignis ist nicht nur ein Te Deum, sondern ein schniekes Drittklassfest wert.

Eine atheistische Freundin postete, dass ihr Herz blute, wie beim Anblick der vom IS oder den Taliban zerstörten unwiederbringlichen archäologischen Stätten. Einer meiner ersten Gedanken dagegen war „Kirchen haben schon immer gebrannt und wurden schöner und größer wieder aufgebaut“. Natürlich habe ich mich gehütet, das zu posten – aber ist nicht genau das der Unterschied zwischen der Welt und uns? Dass auch wir entsetzt sein dürfen, aber dass wir keinen Untergang sehen, wenn es nach Untergang aussieht, sondern Hoffnung? Unsere Kulturgüter sind Ausdruck der Lebendigkeit der wahren Kirche und nicht Überreste einer toten Kultur. Ihre Essenz ist unzerstörbar, solange die Welt dauert.