Provinzieller Sexismus und unser Umgang damit

Gab es nicht letztens Ärger um Münchner Werbeplakate, die wegen der spärlichen Bekleidung der dargestellten Damen als sexistisch eingestuft wurden?

Die theologische Fachschaft Freiburg hat an die Studentenkirche ein Transparent gehängt, das Maria 2.0 unterstützen soll. Darauf ist eine betende Muttergottes abgebildet, deren Leib eine riesige Vulva bildet. Ja. Eine riesige Vulva. Nein, Sie haben sich nicht verlesen. Eine VULVA. Ja. Genau. Nein, natürlich haben die nicht mehr alle Tassen im Schrank.

Sagen wir mal so: Man könnte auf die Idee kommen, dass ein solcher Schmarrn eher einen Platz unter Abtreibungsaktivisten hätte, die gegen den Marsch für das Leben protestieren. Aber nachdem bereits auf dem evangelischen Kirchentag 2017 unschuldige, von Idioten angeleitete Kinder auf die Idee kamen, die Gottesmutterschaft Mariens ziemlich identisch auszudrücken (man lese hier nach), und auf dem evangelischen Kirchentag letztes Jahr auch ein Vulvenmalkurs zum Programm gehörte, ist es irgendwie folgerichtig: In einer materialistischen Welt ist das Dasein des Menschen eben nur noch seine biologische Existenz, und in einer materialistischen und utilitaristischen Gesellschaft schrumpft biologische Existenz noch einmal zu „Funktion“. Die Absurdität dieser an sich verständlichen Engführung des Menschseins entsteht dadurch, dass die urmenschliche Sehnsucht nach Transzendenz dazu führt, dass dieses völlig aspirituelle Weltbild mit pseudoreligiösen Praktiken eine spirituelle Dimension erhalten soll.

Hier ist mal wieder beispielhaft deutlich gemacht, warum meine Synapsen sich entzünden, wenn ich mit modernistischen Gender-Feminismus-LGTB*_was_auch_immer-etc.-pp.- und-irgendwas-mit-Klima-Leuten zusammentreffe. Das große Fragezeichen, an dem mein Hirn scheitert, kreist um dieses Rätsel:

Wie kann man gleichzeitig für Feminismus, Emanzipation und Gleichberechtigung eintreten, dabei die biologische Realität des Frauseins ablehnen UND das Frausein auf ein primäres Geschlechtsorgan reduzieren? Also, wie kann man leugnen, dass die Vulva irgendeine Bedeutung hat, und gleichzeitig diese zum Symbol für das Frausein an sich machen?

An dieser Fragestellung sieht man, wie abgeklärt (oder schmerzbetäubt) ich bereits bin. Ich betrachte diese Gesellschaft mit dem Poirotschen Blick eines Naturforschers, der nicht mal mehr den Kopf schüttelt, wenn er zusieht, wie Kannibalen einen Menschen kochen. Ich gebe kein moralisches Urteil ab, ich bin weder entsetzt noch verstört, ich will nicht wissen „warum“, ich will nur wissen: Wie??? Und ich nehme an, selbst diese bescheidene Frage wird mir nicht beantwortet werden.

Die Zusammenstellung des Weltbildes dieser Leute ist so unbegreiflich zusammenhanglos, beliebig, inkonsequent und gedankenlos, dass ich mich frage, wo im Genom des Dichter-und-Denker-Volkes der Kurzschluss passiert ist.

Zu Studienzeiten hatte ich einmal eine WG-Mitbewohnerin, die heulend in der Küche stand, weil sie mit ihrem Ex geredet hatte, der sie übel bedroht und als „Loch“ beschimpft hatte (ich kann das kaum tippen, so weh tut das). Ich hatte diese Bezeichnung für „Frau“ bisher noch nie gehört und war – wie sie – nachhaltig entsetzt. Dass asoziale Sexisten auf die Idee kommen, eine Frau so zu bezeichnen, ist aber wenigstens stimmig; sie haben das, was die Frau für sie ausmacht, in einem treffenden Begriff zusammengefasst. Nichts anderes machen die „katholischen“ Theologiestudenten Freiburgs.

Nun muss man fairerweise den Freiburger Schwachmaten zugestehen, dass sie keinesfalls intendiert haben, sexistisch zu sein. Sie wollten nur durch das Aufmalen eines Geschlechtsorgans an einem öffentlichen Platz etwas ganz Freches, Neues, Innovatives und Aufmüpfiges tun. Den Hang, Geschlechtsorgane zu malen, kennt man doch auch: Er ist unter pubertierenden Jugendlichen verbreitet. Ich nehme an, dass die Freiburger Studenten der Theologie in ihrem Entwicklungsprozess schlicht und einfach zurückgeblieben sind und ihre pubertäre Phase nicht zum Abschluss gebracht haben.

Deshalb finde ich auch den Aufschrei „Blasphemie“ völlig übertrieben. Nicht falsch verstehen: Das Bild ist ohne Zweifel blasphemisch, ich störe mich am Aufschrei. Ich denke nicht, dass diese Leute gegenüber Gott auch nur im geringsten satisfaktionsfähig sind. Ja, ich muss sogar zugeben, dass ich die Zerstörungskraft und das Blasphemiepotenzial schlauer, zweideutiger Verlautbarungen bestimmter Bischöfe, Theologen, Mönche etc. als deutlich gravierender einschätze.

Damit will ich nicht sagen, dass es in irgendeiner Weise in Ordnung wäre, die Gottesmutter so darzustellen (ich rege mich ja oben darüber auf, dass man die Frau so darstellt, um wie viel schlimmer, „die“ Frau schlechthin so reduzieren). Ich empfinde es auch als traurig und entsetzlich, dass es überhaupt möglich ist, dass ein Mensch, der sich als gläubig begreift, überhaupt auf diese Idee kommen kann. Aber wenn ein geistig behinderter Mensch irgendetwas tut, wofür man einen nicht behinderten Menschen belangen würde, wenn einer mit Tourette-Syndrom herumflucht oder ein Autist sich sozial daneben benimmt, dann würde man immer die Beeinträchtigung dieser Menschen in die Bewertung des Vorfalls einbeziehen. Und ich halte diese Leute für tatsächlich virtuell hirnamputiert, oder sagen wir es netter: praktisch denkunfähig; es wäre also geradezu unsozial, sie ernstzunehmen.

Wenn jetzt also fromme Katholiken „Petitionen“ entfesseln oder in pathetischen Aufrufen Sühnerosenkränze sammeln (letzteres natürlich Cathwalk, wer sonst könnte das  überkandidelte Negativ der Freiburger Theologiestudenten bilden), dann empfinde ich das als übertrieben. Echauffieren geht so leicht und schnell, und fühlt sich ja so toll an. Wenn ich an meine nicht katholischen Facebookfreunde denke, dann fallen mir spontan zwei oder drei unattraktive, daueraggressive Kampfemanzen ein, bei denen ich mir vorstellen könnte, dass sie eventuell der Aktion etwas abgewinnen könnten. Ansonsten hoffe ich, dass keiner meiner atheistischen Freunde dieses Ding je zu Gesicht bekommt, denn die würden daraufhin jeden Respekt vor uns verlieren. Mehr als Kopfschütteln und an die Stirn getippte Zeigefinger werden die Studenten von der Mehrheitsgesellschaft nicht ernten. Dieses Plakat ist kein Spiegel der Gesellschaft, kein Zeichen für die Entkatholisierung des Abendlandes, kein satanischer Schlag gegen die Gottesmutter. Es ist dumm. Es verdient unsere Aufmerksamkeit, weil die Initiatoren in akuter Gefahr stehen, des Reiches Gottes verlustig zu gehen (nicht wegen Blasphemie, sondern wegen schuldhafter Dummheit), aber sicher nicht die Truppen der Ecclesia Militans. Die sollten wir für echte Bedrohungen reservieren. Wer Irrelevanz bombardiert, würdigt sie als doch irgendwie von Belang. Darum halte ich es für besser, einer solche Aktion mit entspannter, ganz selbstverständlicher sozialer Ächtung zu begegnen.