Pachamama – reden wir noch über das tatsächliche Problem?

In der katholischen Bubble rumort es. Mein Unmut gegenüber den Bildern der ominösen amazonischen Figuren, die meine Timeline überfluten, übertrifft selbst den gegenüber Schlagzeilen mit der Buchstabenkombination „greta“ während der Hochphase des Hypes. Es ist ja nun nicht so, dass nicht jeder schon etwas dazu gesagt hätte, von Hinz und Kunz bis zu Bischof Schneider und Kardinal Müller, aber ich möchte natürlich meinen Senf niemandem vorenthalten.

Kurzer Abriss der Geschehnisse: Während eines Rituals in den vatikanischen Gärten werfen sich Menschen vor hölzernen Figuren nieder. Diese stellen nackte schwangere Frauen dar. Dem Papst wird eine Figur geschenkt. Besorgte Katholiken werfen die Frage auf, wer denn dargestellt wird, dass man sich davor niederwerfen könne. Sie bekommen eine Antwort, die keine ist (Ähnlichkeiten mit der üblichen Kommunikationsstrategie des Papstes sind rein zufällig). Die Figuren werden in der Karmelkirche Santa Maria in Traspontina aufbewahrt, eines Abends von selbsternannten Kreuzrittern gestohlen und in den Tiber geworfen, woraufhin der Papst sich für diese Respektlosigkeit entschuldigt. Mittlerweile sind die Figuren wieder da, der Tiber wollte sie nicht bei sich behalten.

Nun gibt es folgende Ansichten:

  • Die Figuren stellen heidnische Götzen dar und haben in der Kirche nichts zu suchen.
  • Extended Version: Die Figuren stellen heidnische Götzen aka Dämonen dar, die während des ominösen Rituals eventuell gar beschworen werden sollten/hätten können (oder so).
  • Die Figuren stellen die Pachamama dar, eine Art vergötzte „Mutter Erde“ aus den Anden (Wie kommt die an den Amazonas?) und haben in der Kirche nichts zu suchen.
  • Der ganze kritisierte Akt des Niederwerfens und die Figuren sind Teil inszenierter „Folklore“, die mit Götzendienst nichts zu tun hat, aber kritisch hinterfragt werden muss.
  • Die Figuren sind Allegorien auf das Leben und Ausdruck amazonischer Spiritualität, es war respektlos und chauvinistisch, sie wegzuwerfen.

Ich denke, das gibt so die wichtigsten Positionen wieder. Nun gibt es meiner Ansicht nach eigentlich nur ein Problem: Die Informationsstrategie des Papstes. Gemäß seiner Doktrin „Informiere vage und herrsche“ wurde aus Vatikankreisen zuerst laut, es handle sich bei den Figuren nicht um „Heidnisches noch Heiliges“. Die Frage, die sich jedem denkenden Menschen hier stellt: Wovor, wenn nicht vor Heidnischem oder Heiligem sollte man sich niederwerfen? Obgleich das eine richtig und das andere falsch ist, ergäbe doch beides Sinn. Sich vor etwas niederzuwerfen, das weder das eine noch das andere ist, ist dagegen völlig sinnlos. Damit ist zwar noch nicht die Frage nach der Entwendung der Figuren geklärt, aber zumindest über das Ritual des Niederwerfens kann man ganz klar sagen, dass es falsch war, denn waren die Figuren nicht heilig, d.h. der Sphäre Gottes zugeordnet, kann man in keiner Weise rechtfertigen, davor niederzufallen.

Ich habe in der Schule Althebräisch gelernt, und bin vor allem dankbar, dadurch Einblicke in die semitische Sprachwelt gewonnen zu haben und so in meinem Glauben überkommene Denkweisen nicht nur nachvollziehen, sondern spüren und mitvollziehen zu dürfen. „Niederwerfen“ ist für den alttestamentlichen Israeliten wie für den neutestamentlichen Evangelisten eine hochernste und hochheilige Angelegenheit und das hat einen Grund. Das Niederwerfen ist Ausdruck der Anbetung. Katholische und Orthodoxe Christen nun erkennen die Innigkeit der Einheit zwischen Gott und seinen Heiligen, so dass das Niederwerfen vor Dingen, die das Heilige darstellen, als Niederwerfen vor dem Gemeinten gerade noch so gerechtfertigt werden kann, dennoch bewegt es sich in einer Grauzone. In der Liturgie, im Beten, Glauben und Denken der Kirche wird die Exklusivität des Niederwerfens sehr sehr ernst genommen.

Durch die Entwendung der Figuren wurde nun relativ erfolgreich von dem eigentlich skandalösen Vorgang abgelenkt und man konzentrierte sich auf die Frage, was die Figuren nun darstellen sollten, da angeblich dadurch ein Wegwerfen gerechtfertigt oder eben nicht gerechtfertigt sei, und ob sie in einer Kirche recht platziert seien (ich bin dem übrigens auch auf den Leim gegangen). Dadurch entsteht eine kleine aber bedeutende Verschiebung in der Kontroverse hin zu „was für Bilder dürfen in einer Kirche stehen?“ Diese Frage können wir aber aufgrund der eingangs erwähnten Informationsstrategie im Hinblick auf die Figuren schlicht und einfach nicht beantworten- weil wir ja nicht wissen, was sie darstellen sollen. Geschickt, hm? Angesichts fragwürdiger Kunstinstallationen, bis hinein in Europas Kathedralen, sollte die Frage AUCH diskutiert werden, kein Zweifel, sie ist aber hier zweitrangig und wie gesagt eine Sackgasse, die uns nur den Vorwurf des eurozentrischen Tradditums eintragen kann. So hilft nun mal wieder die traditionalistische Militanz dem Feind. Obwohl zu Beginn noch ziemlich klar kommuniziert wurde, es handle sich nicht um Pachamama, hieß es schnell überall, es seien Figuren der Pachamama. Nun wäre das an sich ja noch nichts Schlimmes, eine allegorische Darstellung der Muttererde wäre schließlich nicht götzendienerisch. Nachdem nun die fakefaktische Behauptung einfach überall stand, nannte der Papst selbst diese Figuren so – ich nehme an, ganz einfach, weil sie eben mittlerweile so genannt wurden. Auffällig still sind die Indigenen, von denen doch zu erfahren sein müsste, worum es sich handelt – es sei denn, es handelt sich nur um eine pseudoindigene Installation, so wie Minidirndl pseudobayrische Tracht sind; Wann hat man den letzten Bayern getroffen, der sich außerhalb eines innerbayrischen Stammtischs lautstark über diese unrechtmäßige Verschandelung der eigenen Kultur aufgeregt hätte?

Auch dann aber wäre der rituelle Umgang mit den Figuren zu verurteilen. Für die eigentlich zu verurteilende Handlung ist völlig unerheblich, wen oder was die Figuren darstellen – selbst vor der Jungfrau Maria würde man sich nicht in liturgischem Rahmen niederwerfen, und die Muttergottes würde sich sicher gegen so etwas verwahren.

Im Kuddelmuddel geht dabei ironischerweise unter, dass, während man versucht, die Entwendung der Figuren als gegen Inkulturation gerichtete Aktion chauvinistischer Europäer zu konstruieren, hier ausgerechnet ein ritueller Ausdruck Thema ist, der in allen Kulturen gleich verstanden wird. Nehmen wir mal eine eurasische Eigenheit, die ein Indigener vielleicht nicht intuitiv verstehen würde: Als Indikator für Heiligkeit malen wir Leuten Kreise um den Kopf. Ooookay. Kann man machen. Jeder in Europa versteht das intuitiv, weshalb eine Karikatur von Greta mit Heiligenschein unmittelbar verstanden wird, und weshalb nicht einmal Atheisten Hitler mit einem Kreis um den Kopf darstellen würden – obwohl es denen ja egal sein könnte. Würde ein Indigener das nun aus Jux tun, oder weil ein Kreis um den Kopf bei den Indigenen „verflucht“ bedeutet, man würde in Diskurs treten können. Das Niederwerfen aber wird von Nordpol bis Südpol und von Mekka bis Mexico von allen Menschen als Akt der Ehrfurcht verstanden und ist ohne Weiteres als die Göttlichkeit bezeichnend vermittelbar. Es kann hier also gar keine Diskussion darüber geben, dass Niederwerfen vor Figuren im liturgischen Rahmen nicht stattfinden kann. Schade, dass nun, nicht ursächlich aber doch auch, durch die alarmistische Militanz irgendwelcher Rechtgläubiger darüber nicht mehr gesprochen wird…