Jesus vs Kirchenrecht: Muss ich mich an kirchliche Gebote immer halten? Teil 1

Update: Meine Fellowbloggerin Crescentia hat angemahnt, dass ich nicht genügend differenziere zwischen Kirchenrecht -das mit der Intention, die Lehre konkret zu gestalten durchaus fehlerhaft sein kann- und Kirchenlehre differenziere. Das stimmt, mir war die Unschärfe auch beim Schreiben bewusst, ich wollte aber das Riesenfass „Gehorsam“ nicht aufmachen und nicht hin-und herdifferenzieren. Trotzdem sehr valide Kritik, und ich möchte sie den Lesern nicht vorenthalten (und auch nicht, dass mir diese Schwäche bewusst ist.)

Anlass für diesen Artikel ist eine unerquickliche Diskussion darüber, dass angeblich nicht schlimm sei, sich an kirchliche Gebote nicht zu halten, wenn man sich innerlich gedrängt fühle, sie zu ignorieren. Zwei Kämpfer werden hier gegen das Kirchenrecht oder sonstige kirchliche Institutionen in Stellung gebracht: Christus (den wir in dem Zusammenhang dann lieber Jesus nennen) und „die Liebe“. Um letztere geht es in Teil zwei, hier die erste Runde des epischen Kampfes zwischen Eigenwillen und Kirchenwillen: Jesus vs Kirchenrecht.

Christus wird gern gegen die Kirche ausgespielt, indem die persönliche Christusbeziehung als Begründung herangezogen wird, um kirchliche Gesetze nicht zu erfüllen. Das ist natürlich ein vom Protestantismus übernommener Mechanismus, denn genau so ist er entstanden: Das, was ich (z.B. Luther) über Jesus fühle ist richtiger als das, was die Kirche über ihn sagt. Da es im Protestantismus keine kirchliche Autorität gibt, sondern nur Regeln, die irgendwer aufstellt, ist es da auch sinnig, die eigene Autorität über die von beliebigen anderen Christen zu stellen. Wieso nicht. Ein Katholik sieht zwischen Christus und Kirche überhaupt keinen Widerspruch. Den sieht nur, wer der Kirche nicht vertraut, sich über die Kirche stellt und dafür eine Rechtfertigung braucht. Dass diese Gegenüberstellung mit katholischem Glauben nichts zu tun hat, sehen wir allein daran, dass die „kopflastigsten“ Theologen, wie z.B. Thomas von Aquin, gleichzeitig akribisch den Glauben auseinander nehmen und auf anrührende Weise hymnisch und tief beseelt Jesus besingen

Das hört sich ungefähr so an: „Die Kirche sagt zwar xy, aber wenn ich es anders spüre, dann wird es schon richtig sein.“, mit den Varianten a) „… weil Jesus wird schon nicht so sein…“ und b) „…weil Jesus dann eben in dieser Situation etwas anderes von mir will.“

Begründet wird diese Haltung mehr oder minder bewusst damit, dass, da der Heilige Geist in uns wohnt und wir als Getaufte Vollmacht haben, unsere inneren Regungen gültiger seien als anscheinend starre, pauschale Regeln der Kirche. Nicht selten schwingt dabei mit, dass man die Regeln der Kirche nicht als von Gott eingegeben oder inspiriert, sondern als Menschenwerk zur Machterhaltung begreift und ihnen schon deshalb keine Autorität einräumt. Gerne holt man auch noch die Bibel ins Boot, in der mehrfach darauf hingewiesen wird, dass wir nicht gesetzlich sein sollen. In diesem Zusammenhang nennt man den Christus dann auch besonders gern Jesus, weil man damit die von der Kirche verkündete göttliche, hierarchisch-patriarchale Autorität „Christus“ abhebt von dem netten semitischen Wanderprediger-Hippie namens Jesus.

Das Ganze hat mehrere Haken. Es funktioniert grundsätzlich nicht, Jesus gegen die Kirche in Stellung zu bringen, ohne dabei eine Privatreligion zu begründen: Denn der Jesus, von dem ich behaupte, dass er bzw. sein heiliger Geist in mir wohnt, wurde mir durch die Kirche vermittelt. Ohne sie, deren Regeln angeblich so bööööse sind, wüsste ich gar nichts von diesem Jesus, geschweige denn wäre ich in den Genuss der Taufe gekommen. Ich kann schlecht behaupten, x habe mir zwar y gegeben und verkünde y, sei aber im Grunde gegen y. Auch hat dieser Jesus, der angeblich alle meine Regungen bestimmt, sehr eindeutig die Kirche eingesetzt, und zwar in hierarchischer Form. Wenn Jesus Gott ist, ist es unwahrscheinlich bis unmöglich, dass dieser Gott sich selbst widerspräche. Ich kann die Autorität der Kirche also nur leugnen, indem ich auch den Jesus der Kirche leugne und stattdessen meinen eigenen Jesus erfinde (s. oben, der nette semitische Hippie).

Zur Frage der Vollmacht: Ja, als getauftes Glied des Leibes Christi habe ich tatsächlich eine gewisse Vollmacht. Diese ist allerdings mit Vorsicht zu genießen: Wir sind Jesus noch nicht völlig gleichgestaltet. Immer noch haben wir neben den Regungen und Eingebungen des Heiligen Geistes unseren eigenen Willen und ggf. die Einflüsterungen des Feindes Jesu. Wir müssen also unterscheiden. Und hier kommt der Clou: Indem unsere Vollmacht unmittelbar aus der Vollmacht der Kirche fließt und ohne diese gar nicht existent wäre (wir haben uns ja nicht selbst getauft, gelt?), haben wir auch in der Lehre der Kirche einen sicheren Prüfstein für unser eigenes Ansinnen. Der Geist, der in uns wohnt und der Geist, der die Kirche treibt, sind derselbe Geist: Wenn unsere Regung dem widerspricht, was die Kirche lehrt, kann sie nicht vom Heiligen Geist kommen. Im Normalfall ist das nicht weiter tragisch: Dann handelt es sich um den eigenen Willen, der sich Jesus noch nicht ganz ergeben hat.

Und hier finden wir auch die erste Stolperfalle, die uns der Stolz ganz gerne stellt – und zwar umso fieser, je demütiger und geisterfüllter wir uns fühlen: Wie, mein doch so ganz dem Herrn ergebener Sinn, der soll irren? Der soll gar nicht die Anliegen des Herrn verfolgen?

Ein häufig auftretendes Problem ist, dass man die Regeln der Kirche gar nicht genau kennt, etwas, das sie gar nicht lehrt, als kirchlich einstuft und dann zu dem Schluss kommt, die Kirche müsse irren. Ein Schlager schlechthin in dieser Sache ist z.B.: „Kein Heil außerhalb der Kirche? Wie grausam! Die Kirche kann doch nicht jeden verdammen, der nicht katholisch ist!!“ Jesus würde so etwas nie tun!“ Lesen bildet. Vielleicht erst einmal nachlesen, was die Kirche wirklich lehrt, dann können wir uns noch einmal unterhalten.

Und sodann kommt noch ein Missverständnis hinzu, was die Natur kirchlicher Gesetze und Gebote betrifft. Natürlich sind viele Regeln veränderlich und veränderbar und unterscheiden sich sogar ganz transparent von Bistum zu Bistum. Das geht, weil sie in sich nicht „gesetzlich“ im negativ besetzten biblischen Sinne sind: Sie sind nicht rituell, sie setzen den Menschen nie unter einen absoluten Zwang oder unter einen Verdammungsmechanismus, wie vorchristliche Mythen es so oft schildern. Wie oft habe ich als Kind beim Lesen heidnischer Mythen innerlich schmerzerfüllt aufgeschrien: „Das ist unfair!“, weil die tragisch dem Schicksal ausgelieferten Gestalten ja „nichts dafür konnten“! Kirchliche Gesetze sind nie blind gegenüber dem Individuum: Sie bedenken den Notfall, die Ausnahme, die Verhältnismäßigkeit. Auch das wiederum ist für manche Menschen „undenkbar“, mindestens aber schwer verständlich: Wenn ich in dem einen Bistum an Epiphanias in die Kirche muss, im Nachbarbistum nicht – ist es dann nicht egal? Offensichtlich nimmt sie es selbst nicht so genau? Nein: Sie rechnet nur selbst die äußeren Umstände (gesetzlicher Feiertag? Haben die Menschen unter zumutbaren Bedingungen die Möglichkeit? Etc.) ein und gestaltet das Gebot, den Feiertag zu ehren, dementsprechend aus, um Menschen nicht in Gewissensnöte oder Schwierigkeiten zu bringen, dem Glauben aber doch seinen Platz zu verschaffen. Gerade weil die Kirche unsere Lebensumstände so fürsorglich und umsichtig bedenkt, ist jede Anmaßung, es als Individuum besser zu wissen, völlig unangemessen.

Kirchliche Regeln bilden auch kein Korsett: Sie legen das Minimum fest, während wir eingeladen sind, in Freiheit und Liebe mehr zu tun. Ihre Flexibilität ergibt sich also daraus, dass sie in Richtung Liebe offen sind, nicht dadurch, dass sie aus Liebe umgangen werden könnten. Womit wir beim zweiten Kämpfer gegen die Kirche wären: Die Liebe (Teil2).

Übrigens: In meinem Blog-Altbestand finden sich zwei sehr schöne (hähö, Eigenlob…) Artikel zum Thema „Das Gesetz lieben“ aus einer eher geistlichen Perspektive. Hier Teil 1 und hier Teil 2.