Ultramontan? Was sonst!
„Kultform einer fremd gewordenen Vergangenheit“. So nennt Birgit Aschmann die Verehrung der Herzen Jesu und Mariä bzw. die Weihe des Erzbistums Berlin an jene Herzen am Fest Mariä Himmelfahrt. Und ist „irritiert“. Dass Herz-Jesu-Freitage in vielen Gemeinden auffällig gut besuchte Werktagsmessen sind, die Andacht so fremd also nicht sein kann, hat Frau Aschmann wohl ausgeblendet.
Bloggerkollege Tobias hat zu dem Thema in kultureller Hinsicht schon ausführlich (wie sonst) gebloggt, dabei aber zum Glück genau den Bereich ausgespart, der mir spontan in den Sinn kam, als ich den Artikel las. Er ist vor allem zweierlei: Ahistorisch und Desinformierend. Ich finde es irritierend, dass eine Historikerin die Integrität ihres Fachs verletzt, bloß um der katholischen Kirche an den Karren zu fahren.
Da hat jemand ganz tief in die Trickkiste des Framing gegriffen. Das Problem, das sich Kritikern hier nämlich stellt, ist: Das Herz Jesu ist so ganz und gar nicht kritisierbar. Aus Liebe zu uns von der Lanze durchstoßen: Trost für die Leidenden, Mahnung an die, die hohen Mutes sind, Warnung für die Hochmütigen, Liebe in Reinform, ja, was sollte man da kritisieren können? Man muss es aber versuchen, denn eine Weihe an Gott bedeutet, dass diejenigen, die sich weihen, davon ausgehen, dass es einen Gott gibt, der sich tatsächlich für uns interessiert und tatsächlich in der Welt wirkt. Das kann ein im 18. Jahrhundert steckengebliebener Deist nicht akzeptieren.
Nun kann man nicht davon ausgehen, dass der durchschnittliche Leser von katholisch.uäh weiß, in welchem Ringen der katholische Glaube im 18. und 19. Jahrhundert stand. Was wissen die Leute, die denken, dass die Kirche ein gefährlicher Machtapparat gewesen sei, dessen Inquisitoren jede Frau, die Kräutertee kochte, jeden, der ein Buch besaß, sofort verbrannten, über die brutale Säkularisierung, über die Verbrechen der Revolution? Nichts. Wenn man die Moderne als unumstößlich gut darstellen will, alle ihre negativen Effekte verschweigt, klar, dann ist die katholische Kirche der Buhmann des 19. Jahrhunderts, weil sie viele negative Entwicklungen kassandrisch früh erkannt und bekämpft hat- wo sie noch kämpfen konnte. Deshalb dämonisiert Frau Aschmann den Kult gekonnt: „Es [das Herz Jesu] entwickelte sich zum Zeichen der Ultras unter den Royalisten und Katholiken.“. Ganz fein „geframed“. „Ultra“, das klingt nach Dynamo Dresden, Gewalt, Fanatismus. Korrekt müsste der Satz lauten: Das Herz Jesu entwickelte sich zum Zeichen der Royalisten und Katholiken. Man musste nämlich keinesfalls irgendwie „ultra“ sein, um über die unrechtmäßige Hinrichtung des französischen Königs, den infamen Schauprozess gegen seine Frau und die gegen sie und ihre Kinder begangenen Grausamkeiten mehr als nur „irritiert“ zu sein; man muss nicht extrem sein um gegen die Massakrierung der Bauern in der Vendée und den großen Terror unter dem Wohlfahrtsausschuss zu sein.
Sodann widersetzte man sich Napoleon: Die „Royalisten und Katholiken“ standen damals nicht im Gegensatz zu Demokraten, sondern im Gegensatz zu einem selbsternannten Imperator. In Tirol stand die einfache Bevölkerung unter dem Herzen Jesu mit ihren jahrhundertealten garantierten Freiheiten gegen unrechtmäßige, gewalttätige Entrechtung, Unterwerfung und Fremdherrschaft. Das sagt Frau Historikerin natürlich wohlweislich nicht und nimmt damit in Kauf, dass man die Bewegung falsch einordnet.
Was sie ebenfalls verschweigt: Die Kreise, die sich das Herz Jesu auf die Fahnen schrieben, zeigten damit auch ihren entschiedenen Widerstand gegen die Einmischung des Staates in kirchliche Angelegenheiten, d.h. gegen die Vereinnahmung der Kirche durch weltliche, der Botschaft Jesu nicht entsprechende Belange. Und das ist der traurigste, unehrlichste Teil des Artikels: „Nachdem die katholische Aufklärung mit dem Herz Jesu nichts anfangen konnte, begann die eigentliche Karriere des Kultes unter dem Ultramontanismus. Pius IX. erließ 1864 nicht nur den Syllabus errorum. Im selben Jahr wurde Alacoque seliggesprochen. Nicht nur im Kulturkampf, auch im Ersten Weltkrieg spielte das Herz Jesu eine wichtige Rolle, versprach dessen Verehrung doch Sieg, Unversehrtheit oder zumindest einen würdigen Tod.“
Gelungenes Framing Lektion 1: Wirf Worte in den Raum, die dem Leser nichts sagen, die aber irgendwie bedrohlich klingen. „Unter dem Ultramontanismus“. *Grusel*. Als hätte Ultramontanismus jemals geherrscht, so dass „unter“ seiner Ägide etwas geschehen sei! Eine derart verzerrende, unpräzise Formulierung von einer Historikerin? Lektion 2: Verknüpfe mit etwas, das möglichst negative Assoziationen weckt, egal, ob inhaltlich von Belang. Erster Weltkrieg folgt auf Kulturkampf. Das Gewicht des Krieges zerquetscht den Begriff Kulturkampf derart, dass nur „Kampf“ im Gedächtnis bleibt. Niemand fragt dann noch, welche Rolle denn der Ultramontanismus im Kulturkampf spielte. (Abgesehen davon stimmt auch die Behauptung nicht, der verlorene Krieg habe der Herz-Jesu-Verehrung in Deutschland den Garaus gemacht. Vielmehr hat sie durch die heilige Faustina noch einmal einen gründlichen „Boost“ bekommen, der zwar nicht aus Deutschland kommt, aber in Deutschland durchaus rezipiert wird!)
Und hier muss sich die gute Frau Historikerin nun wirklich einmal entscheiden: Ist uns egal, wofür jemand steht, Hauptsache, er ist antikatholisch? Ultramontan, das war ein entschiedener Gegenpol zum Nationalismus, noch bevor er zum Nationalsozialismus pervertiert wurde. Ultramontan, schon der Begriff, obwohl ja von Beginn an negativ gemeint, beschwört eine Verbindung der Menschen über Hindernisse hinweg: In einer Zeit ohne Internet und Flugzeug verbunden im gemeinsamen Glauben, obwohl Sprache, Herkunft, Stand, Landesgrenzen trennen. Wer Ultramontanismus als negative Bewegung charakterisiert, der muss ja den Nationalismus als positive Bewegung würdigen, der muss Bismarck, die preußische Politik und die des Deutschen Reiches positiv bewerten, denn gegen diese Phänomene stand der Ultramontanismus. Wer so etwas schreibt, geht billigster Bismarckscher Propaganda auf den Leim (und soll bitte niemals verwundert fragen, wie denn die Leute damals auf nationalistische Propaganda haben hereinfallen können, denn wer so schreibt, tut es ja selbst). Bejaht Frau Aschmann auch die Vereinnahmung des christlichen Glaubens durch die Politik? Bedenkt sie das Schicksal der russischen Orthodoxie, die sich in Ermangelung eines außerhalb Russlands liegenden Felsens an Putin anschmiegen muss? Was sagt sie zur nationalistischen Versuchung der orthodoxen Kirchen, zum Gallikanismus oder zur entsprechenden Haltung, die man heutzutage nicht selten unter Polen antrifft? Aber Hauptsache man hat einen Übeltäter mit Fremdwort.
Und ganz zugespitzt (aber wahr): Hätten die „Royalisten und Katholiken“ unter dem Banner des Herzens Jesu im 18. Jahrhundert triumphiert, dann hätte kein Papst ein Konkordat mit Hitlerdeutschland abschließen müssen – die Eigenständigkeit des katholischen Gewissens, die moralische Überlegenheit gegenüber totalitären Ideologien, all das wäre ein unbestrittenes Faktum gewesen, gegen das erfolglose Postkartenmaler nicht die geringste Chance gehabt hätten. Natürlich spräche es gegen die Berufsehre eines Historikers, sich solchen Spekulationen hinzugeben. Das ist aber auch gar nicht nötig: Es ist ganz eindeutig, dass der Ultramontanismus ein Versuch war, sich gegen die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen zu wehren, die geradewegs in die Katastrophen des 20. Jahrhunderts geführt haben. Aber Modernisten sind eben schlechte Gewinner und gönnen Cassandra Catholica nicht einmal die seherische Gabe, sich früh gegen den Untergang positioniert zu haben.
Ich bin keine Historikerin. Umso trauriger finde ich, wenn jemand, der vom Fach ist, auf derart frappierende Weise jede Integrität im Umgang mit dem, was ihm am Herzen liegen sollte, vermissen lässt. Hätte in der Autorenbio nicht gestanden, dass Birgit Aschmann Historikerin ist, hätte ich beim Durchlesen gedacht, dass da einfach ein uninformierter Mensch kurz Wikipedia überflogen hätte. Wenn Frau Aschmann es doof findet, dass die Kirche trotz Modernismus und Postmodernismus immer noch nicht dazu bereit ist, sich dem Deismus zu verschreiben, ist das in Ordnung. Wenn sie unter dem Deckmantel ihres akademischen Grades Menschen aktiv mit Desinformation füttert, ist das beschämend.
Es ist aber deutlich, warum sie das macht: Auch heute steht die Kirche in Deutschland wieder vor der Versuchung, sich im nationalen Tunnelblick von Gott abzuwenden. ZDK, Maria 2.0, Strukturreformen am Willen der Gläubigen vorbei – entgegen aller Trends der Weltkirche ruht sich hier ein vom Staat gefütterter Apparat aus, der nicht einmal vom Staat ans Gängelband genommen wurde, sondern der sich selbst daran gehängt hat. Da ist eine intensive, durch konkrete Frömmigkeit stabilisierte Hinwendung zu Rom, wie in der Neuevangelisierung praktiziert, gefährlich und hinderlich. Weshalb man das historische Vorbild lieber gleich mal gründlich diskreditiert.
P.S.: Interessant ist, dass Birgit Aschmann die Andacht zum unbefleckten Herzen Mariä mit genau einem (!) Satz würdigt: „Die Verehrung des Herzens Mariä war ein separater Kult, immer verbunden mit der Immaculata.“ Mehr hat sie dazu nicht zu sagen.
Heiliges Unbeflecktes Herz Mariens, bitte für uns! Heiligstes Herz Jesu. erbarme dich unser!
Diese sogenannte Historikerin ist auch der Meinung, dass Abtreibungsgegnerschaft fortgeführter Kulturkampf sei, der sich der Moderne verweigere. Die Kirche habe ja eine lange „dunkle Tradition der „Bestimmung über Frauenkörper“