Braut Christi – Virgo consecrata: Eine Rezension

Gott selbst hat uns aus Liebe und zur Liebe berufen. Liebe ist mehr, Liebe ist mehr als die seelische Kraft, das Gefühl des Verliebtseins und leibliche Ganzhingabe, Liebe schließt immer auch die schöpferische Kraft in sich ein, die ein Abglanz der Liebe Gottes ist. (…) Das Glück des Menschen steht in engem Zusammenhang mit seinem Maß des Gebens und des Liebens.

Judith Belz, „Braut Christi – Gedanken zur Brautschaft und der Berufung der Geweihten Jungfrau

Schon vor geraumer Zeit habe ich Judith Belz‘ „Braut Christi – Gedanken zur Brautschaft und der Berufung der Geweihten Jungfrau“ gelesen, und komme nun endlich einmal dazu, es vorzustellen – und zu empfehlen. Ich wollte ohnehin auch schon seit längerer Zeit einmal einen Beitrag zum Thema Jungfräulichkeit schreiben, vielleicht bietet mir diese Rezension ja auch den Einstieg dazu.

Ehrlich gesagt hat mir erst die Lektüre deutlich gemacht, wie notwendig ein solches Buch ist. Das haben Themen, die wie „Nischen“ aussehen, oft an sich. Wir nehmen viele Phänomene hin, haben am Rand von ihnen gehört. Ihre Dramatik und Bedeutung sind uns aber oftmals nicht klar. Judith Belz weist durch ihr Buch auf eine Lücke hin und füllt sie zugleich aus, oder sagen wir besser, bietet einen Einstieg, denn man kann natürlich noch viel umfangreicher über dieses Thema schreiben.

Die Autorin gibt dabei auch sehr persönlich Einblick, so dass man das Buch durchaus als Zeugnis betrachten kann. Ich finde das nicht selbstverständlich und sehr hilfreich.

Das Buch ist in seiner Anlage nicht geschlossen, sondern vereint verschiedene Bereiche, was auch sinnvoll ist: Schließlich handelt es sich hier um ein Thema, das auf ganz verschiedene Weise betrachtet werden kann. Man kann sich die Historie dieser sehr alten Form des Geweihten Lebens anschauen, man kann über die spirituellen Aussagen und über das Charisma dieses Standes nachdenken, man kann ganz persönlich nach der eigenen Berufung fragen und / oder biographisch an das Thema herangehen. Judith Belz‘ Buch nimmt tatsächlich alle diese Perspektiven ein, was es zu einem guten „Allrounder“ macht: Man bekommt grundlegenden Einblick in die historische Entwicklung, sie bietet eine schöne Auswahl an Textauszügen der Kirchenväter, der Ritus der Consecratio wird vorgestellt und erläutert, und natürlich kommt die biblische Grundlage nicht zu kurz. All das lädt dazu ein, nach Spuren Geweihter Jungfrauen in der Kirchengeschichte zu suchen. Mir war z.B. überhaupt nicht klar, dass eine Reihe von Verwandten bedeutender Theologen Geweihte Jungfrauen waren, und wie hochgeschätzt dieser Stand bei den Kirchenvätern war. Das ist auch ein historisches Munitionslager gegen Maria 2.0er.

Auf der anderen Seite nehmen persönliche Überlegungen und Erläuterungen ebenfalls viel Raum ein, die auch den Leser selbst ansprechen und auffordern, im Licht dieser spezifischen Berufung auch einmal das eigene Leben zu betrachten. Hier liegt eine geistliche Dimension, die ich als gewöhnungsbedürftig aber gut bezeichnen würde. Gewöhnungsbedürftig, weil das Buch nicht als geistliches Buch in diesem Sinne gekennzeichnet ist, die Ansprache an das eigene Leben kommt also ziemlich plötzlich und hat mich jedenfalls irritiert; aber eben in einem guten Sinne. Judith Belz stellt nämlich heraus, dass der Kern der Berufung die Liebe ist. Und während manche spezifische Formen dieses Standes naturgemäß nur und ausschließlich der Geweihten Jungfrau vorbehalten sind, sind viele Punkte direkt oder in übertragener Weise durchaus jedem Christenmenschen gleich welcher Chromosomenzusammensetzung angemessen. Nun kann ich z.B. auch ohne dieses Buch darüber nachdenken, ob ich in meiner Christusbeziehung vorbehaltlose Hingabe walten lasse. An dem Beispiel der Geweihten Jungfrau bekomme ich aber konkrete Parameter an die Hand, um mein Leben dahingehend zu überprüfen (ich klinge schon wieder sehr geschäftsmäßig preußisch, also, man kann natürlich auch sagen „zu reflektieren“ oder „zu untersuchen“ oder „zu meditieren“, wenn „überprüfen“ zu leistungsmäßig klingt.). Damit tut Judith Belz im Buch das, was sie auch als den bedeutsamen Aspekt dieses Standes beschreibt: Sie stellt seine Zeichenhaftigkeit heraus und bietet ihr eigenes Leben als Zeichen an. Ein zeichenhaftes in der Welt Sein um hinzudeuten auf Christus und seine Verheißung, auf unser Ziel der bräutlichen Vereinigung mit Christus.

Ich gebe gern zu, dass dieses Ziel im Klein-klein des Alltags gern mal… ähm… aus dem Blick gerät. Und mehr noch: Häufig ist es gar nicht angenehm, darüber nachzudenken. Denn wenn wir auf Christus schauen, kommen wir nicht umhin, das Kreuz zu sehen. Wir können uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir über diese Brücke ins Himmelreich eingehen werden, und über keine andere. Ich bin mir sicher, wenn wir Christen so intensiv auf das Kreuz schauen würden, wie es angemessen wäre, würde die Welt nicht so trostlos aussehen. Mir ist mit der Lektüre des Buches noch einmal klarer vor Augen getreten, wie wichtig es darum einerseits für Christen ist, im Geweihten Leben einen freundlichen, aber unnachgiebigen Hinweis auf Christus, Kreuz, Erlösung etc. zu finden, dem wir nicht ausweichen können; Menschen, deren Sein uns beständig bestätigt, dass Jesus wirklich da ist, dass seine Erlösung wirklich real ist, dass seine Anforderungen an uns auch wirklich sind, und nicht etwas, das sich materialisiert, wenn wir gut drauf sind und verschwindet, sobald wir die Lust verlieren. Und andererseits sind wir eben auch, jeder in seinem Stand, berufen, ebenfalls Zeichen zu sein.

Gerade die Ausführungen zu diesem Sachverhalt sind sehr interessant. Es ist ja so, dass unsere Gesellschaft im Allgemeinen recht duldsam gegenüber Religion ist, solange sie sich sozial betätigt. Im weitesten Sinne betrifft das auch „psychische Gesundheit“. Soll heißen: Solange jemand „das braucht“ um nicht zum Massenmörder zu werden, um sich wohl zu fühlen oder um zu funktionieren, solange sie ein Ventil für Kreativität ist, also, solange Religion bloß Opium fürs Volk ist, ist sie okay, auch, wenn man natürlich andere Wege zur Lebensbewältigung praktischer und ungefährlicher einstufen würde. Will sich die böse Religion damit nicht begnügen, will sie tatsächlich und wirklich sein, auf etwas Übergeordnetes hinweisen, will sie gar Wahrheit verkünden, autsch, also, wo kommen wir denn dahin. Jungfräulichkeit, was übersetzt in heutiges Postmodernistisch in etwa „Kein bisschen Spaß im Leben“, bedeutet, ist okay, wenn man psychisch gestört ist, oder hässlich, oder asexuell. Aber Jungfräulichkeit, weil man mit Jesus gleichsam verheiratet ist, weil man auf die Realität des Himmelreiches hinweisen will, das geht gar nicht. Interessant in diesem Hinblick auch Belz‘ Kritik an innerkirchlichen Perspektiven, die ebenfalls, wie sie sagt, den Zölibat „verzwecken“, indem seine Bedeutung allein auf eine größtmögliche Verfügbarkeit für konkreten Dienst reduziert, die eschatologische Dimension aber ignoriert wird.

Ein ebenfalls sehr wertvoller Gedanke ist meiner Ansicht nach der, dass mit dem Stand der Geweihten Jungfrau auch ganz spezifisch auf die Not unserer Zeit eine Antwort gegeben wird: Auf einfacherer Ebene wird die Übersexualisierung angesprochen, aber, tiefergehend, allerdings mit der Sexualisierung auch innig verknüpft, auch die Verzweckung von allem bis hin zum Menschsein (denn auch immer verfügbare sexuelle Betätigung bedeutet Verzweckung: Die des Nächsten, die des eigenen Körpers etc.).

Ich empfinde es als schwierig, weil komplex, einen kirchlichen Stand mit seinen spezifischen Aufgaben in sinnvolle Beziehung zum einfachen Laien zu bringen. Ich denke dabei noch oft an meine lutherische Verirrung. Eine Art „Vulgär“argumentation gegen das Klosterwesen, der ich im Religionsunterricht und später oft begegnete, war in etwa, dass man zu Luthers Zeit davon ausgegangen wäre, nur Geweihte könnten heilig leben, und dass Luther eben die Anforderungen, damit aber auch das Privileg jener auf alle Christen hatte übertragen wollen. Wir wissen natürlich, was daraus geworden ist, nämlich unangemessene Rigidität einer- und unangemessene Laxheit andererseits. Die Kirche liefert hier insofern ein gutes Argument gegen eine „Vermischung“ von Standesaufträgen, als dass sie mit recht klar unterschiedenen Anforderungen auf die spezifische und persönliche Berufung und Fähigkeit des Einzelnen einzugehen vermag. Wer stabilitas loci nicht erträgt, kann Jesuit werden, und wer singen hasst, auch – ähm – also, wer nichts wird, wird … (dieser kleine Jesuitendiss ist gratis und natürlich liebevoll gemeint, es gab und gibt großartige Jesuiten, bitte nicht persönlich nehmen. Es fiel mir nur gerade wirklich immer nur „Jesuit“ ein als Alternative für alle Beispiele, die mir in den Sinn kamen, darum die kleine Fiesigkeit.)

Auf der anderen Seite begegnet mir auf Laienseite doch gerne mal eine gewisse Laxheit, die unterschwellig sagt, man sei ja schließlich nun bloß Laie, bloß nicht zu fromm, Gnadenvergiftung ist schmerzhaft. Es ist aber durchaus nicht verboten, aus dem Charisma und den Formen einer bestimmten Berufung zu schöpfen, und es ist auch nicht verboten, sich zwischendurch ganz klar zu machen, dass alle Berufungen am Ende der Heiligung und Heiligkeit dienen, und dass man davon nicht ausgenommen ist, bloß weil man keinem „besonderen“ Stand angehört.

Diesem Sachverhalt widmet sich das Buch in sehr praxisorientierter Weise: So werden die besonderen Aspekte der Berufung, z.B. Keuschheit, nicht nur im Hinblick auf die Bedeutung für den Stand beleuchtet, sondern auch in ihrer Bedeutung für andere. Gerade in diesem Gebiet kaum zu unterschätzen, denn es ist ja nun ein wirklich sehr weit verbreitetes Vorurteil, Keuschheit sei nur etwas für Geistlichkeit und Geweihtes Leben – was daran liegt, dass man Keuschheit als „Sexlosigkeit“ betrachtet, was natürlich ein fataler Kurzschluss ist und ein Steigbügelhalter für eine ganze Reihe von Fehlschlüssen. Im Buch wird insbesondere die Einsicht herausgestellt, dass Ehe und Jungfräulichkeit aufeinander hinweisen, zueinander in Beziehung stehen und zueinander gehören. Auch hier besteht ein gewisser Kontrast zu überkommenen vulgärkatholischen Ansichten, die die Ehe immer mindestens latent unter den Verdacht stellen, von der Kirche geduldete Übertretung zu sein, eine Art Biotop für kontrollierte Unzucht. Nebenbemerkung: Ich vermute übrigens, dass sich, abgesehen von eingesickertem Gedankengut aus Calvinismus, Puritanismus und Viktorianismus etc. diese Haltung (oder die Ansicht, dies sei kirchliche Haltung) deshalb findet, weil eine signifikante Anzahl der Menschen dies tatsächlich so (ge)lebt (hat). Anders kann ich mir das nicht erklären, echte Heiligung ist halt anstrengend. Zu denken „Ich muss nur bis zur Ehe warten, dann kann ich mich so verhalten, wie ich will“, ist einigermaßen nachvollziehbar, egal, wie falsch es ist. Nebenbemerkung Ende.

Jedenfalls ist es eine wichtige Einsicht, dass Jungfräulichkeit respektive „Brautschaft“ und Ehe innig miteinander verbunden sind, und ebenso wird auch der mütterliche Aspekt des Standes betrachtet.

Im Weihegebet über die Virgines Consecratae betet der Bischof bei der Jungfrauenweihe: „Obwohl sie die Würde des Ehebundes, den du gesegnet hast, erkennen, verzichten sie dennoch auf das Glück einer Ehe; denn sie suchen einzig, was das Sakrament der Ehe bedeutet: Die Verbindung Christi mit seiner Kirche.“ Ehe und gottgeweihte Jungfräulichkeit sind also aufeinander bezogen. Die Ehe wird als Glück bezeichnet, auf das die Geweihten Jungfrauen verzichten um einer größeren Sehnsucht willen (…). Sie verkörpern die irdische Braut, die Kirche, (…).

ebda.

Ein letzter Punkt, den ich als sehr lehrreich und schön empfunden habe, sind die Gedanken über eben jene Brautschaft, bräutliches Leben. Was bedeutet es, ein Leben aus bräutlicher Perspektive zu führen? Auch dieser Aspekt ist nicht exklusiv der Geweihten Jungfrau vorbehalten, sie lebt ihn nur in besonders zeichenhafter, besonders intensiver und besonders unmittelbarer Weise. Im Prinzip würde es uns allen gut tun, unsere Seele als „Braut Christi“ zu begreifen und sehen zu lernen.

Ist dieses Buch geeignet für Frauen, die überlegen, ob sie eine Berufung zur Jungfrauenweihe haben? Auf jeden Fall. Ist es nur für solche Frauen geeignet? Auf gar keinen Fall! Es bietet einen guten Überblick über das Thema Virgo Consecrata, ist, da leicht verständlich und übersichtlich, gut geeignet auch für Leute, die mit theologischen Gedanken sonst nicht so vertraut sind, bietet gerade da aber auch wiederum viele geistliche Anregungen. Ich würde es auch durchaus als geistliches Buch verschenken. Ich würde mir wünschen, dass dieses Buch seinen Weg vor allem in Häuser der „einfachen Normalos“ findet – der Leute, die im Grunde von unserer „deutschen“ Kirche geistlich ausgeblutet wurden, und denen eine Rückbindung an alte kirchliche Formen in ihrer Aktualität gut tut.

Ich denke, dass es auch Singles gut tut, ihre eigene Situation in ein geistliches Licht zu rücken. Allerdings braucht man dazu durchaus auch ein dickes Fell. Generell, so erlebe ich es allgemein in katholischen Kreisen, wird der Berufungsaspekt im Augenblick sehr hoch gehängt, und – das ist nun nicht konkret auf dieses Buch bezogen, sondern allgemein gesprochen – manchmal auf seltsame Weise verabsolutiert: Mit Hinweis darauf, dass jeder Mensch von Gott berufen sei, wird so getan, als sei eine einzige konkrete Berufung quasi mit der Zeugung da, womit man verpflichtet sei, sie zu finden und ihr dann zu folgen. Andererseits ist Geweihtes Leben zunehmend starr in seiner Institutionalisierung und insbesondere für Frauen weniger vielfältig als in früheren Jahrhunderten. Im Zusammenklang bedeutet das im Grunde, dass frau mit allerspätestens Mitte/Ende Zwanzig wissen muss (aber fertig studiert sein muss sie auch! Hopp hopp!), was die eigene Berufung ist, und sie sollte am Besten zu etwas berufen sein, was es heute auch noch gibt. Daraus folgt dann gern ein Bashing der „Übriggebliebenen“ und der nicht selbstgewählten Ehelosigkeit. Dies gleicht ein wenig dem Bashing von Hartz-IV-Empfängern als offensichtlich faul oder von Übergewichtigen als offensichtlich disziplinlos: Die Übriggebliebene ist offensichtlich entweder egoistisch oder träge (bei Männern ist das weniger ausgeprägt). Ich denke, dass diese Haltung in mehrfacher Hinsicht nicht mit der Realität übereinstimmt, und zwar vor allem im Hinblick auf das Kreuz (ich halte es für bereits postmodernistisch gefärbten Glauben, zu meinen, Erwählung decke sich immer mit Selbstbestimmtheit, change my mind!). Allerdings ist das ein anderes Thema – In diesem Buch scheint diese Abwertung der nicht selbst gewählten Ehelosigkeit zumindest auf, allerdings eingebettet in die völlig richtige Einordnung, dass physische Jungfräulichkeit und Ehelosigkeit keinesfalls in sich die Fülle des jeweiligen Standes darstellen, sondern dass im Zuge der Berufung in diesen Stand die geistliche Dimension nicht nur erfasst, sondern ergriffen und bejaht werden muss.

Dass physische und geistliche Jungfräulichkeit zusammengehören, scheint an sich eine katholische Selbstverständlichkeit zu sein: Wir isolieren innen und außen niemals voneinander. Für die postmoderne westliche Welt ist es aber geradezu ein Affront, die physische Realität als voll integriert in die geistige oder geistliche Realität zu leben. Da auch Katholiken von Heute in dieser postmodernen Welt leben, ist es auch für uns eine gar nicht mehr so selbstverständliche Sicht, die uns hier „zugemutet“ wird: Mitunter sind auch gläubige Kreise von gewissen relativistischen Anwandlungen nicht gefeit, die Gottes Gnade wie einen Zauberspruch angewendet sehen wollen. Gerade weil die unbeugsame Annahme, das Umarmen der Realität, des Kreuzes, heute eine überaus anstößige Haltung ist, braucht es das Zeugnis der Geweihten Jungfrauen, die diese Einheit, die viele Menschen suchen und vermissen, zeichenhaft vorleben.