Frauen in der Kirche #2: weibliche Spiritualität

Heute ist der Gedenktag der heiligen Teresa von Avila. Sie ist meine Blogpatronin und eine meiner liebsten Heiligen. Nicht nur, dass sie aus einer jüdischstämmigen Familie kommt (als jemand, der sich zuerst über das Alte Testament christlich sozialisiert hat, mag ich das Judentum naturgemäß sehr) und sozusagen einen religiösen Migrationshintergrund hat (den ich als Konvertitin ja auch habe). Das eigentlich Beeindruckende an ihr sind ihr Scharfsinn und ihre Bodenständigkeit. Äh – reden wir von derselben Teresa? Ist das nicht die, die gerne in so pseudo-erotischer Extase dargestellt wird, so mit ihrer Vereinigung mit Christus? Ja. Das eine ist die Person, das andere, was man / Mann draus macht. Wenn man Teresa von Avilas Schriften liest (und das ist dringend zu empfehlen), findet man das, was eigentlich jedem echten Mystiker eigen ist: Eine geradezu stählerne Verwurzelung in der Realität. Es handelt sich bei Mystik nicht um Schwärmerei. Sie ist nicht blutleer, sie ist nicht esoterisch, sie ist nicht schwafelig und diffus. Vielmehr versuchen Mystiker, die überwältigende mystische Erfahrung so gut es geht in Worten zu beschreiben, die auf dem Boden unserer Erfahrungswelt stehen. Anders könnte man ja nicht kommunizieren, was man vermitteln will. Teresa ist so eine echte Mystikerin. Bei ihr gibt es keine kitschige Schwärmerei. Diese Synthese ist wieder einmal ein Beleg für die Ganzheitlichkeit unseres Glaubens: Wir teilen nicht eigentlich Menschen in die „Arten“ Maria (kontemplativ) und Martha (aktiv) ein, sondern in jedem Menschen finden wir beide Anteile, die einander ergänzen und auseinander hervorgehen. Die Ordensreformen Teresas, die die Unbeschuhten Karmelitinnen als beispielhaften kontemplativen Orden konstituierten, konnten nur aus einer rührigen, klugen Aktivität erwachsen, genauso, wie ihre Schriften Ausfluss von Aktivität sind, die aber in der Kontemplation gewonnen wurde, davon ausging, dahin zurückkehrte.

So finden wir in Teresa also nicht „nur“ eine große Mystikerin, sondern auch eine große Kirchenlehrerin. Ihre Ernennung dazu im Jahre 1970 ist meiner Ansicht nach ein wichtiger Schritt raus aus den Fehlkonzepten des 19. Jahrhunderts, die leider in der Kirche natürlich genauso vorzufinden sind, wie überall, wo es nun einmal „menschelt“: Die Frau als emotionales, irrationales Wesen, für das der Intellekt keine oder nur eine kleine Rolle spiele im Gegensatz zur Intuition: Natürlich werden hier lauter Dinge gegeneinander ausgespielt, die überhaupt nicht in zwingendem Gegensatz zueinander stehen: Man kann problemlos sehr emotional und sehr rational zugleich sein, man kann intellektuell sein und zugleich die Intuition nicht geringschätzen. Mit der Ernennung zur Kirchenlehrerin wird evident, dass die katholische Kirche sich diese Verzerrung des Weiblichen nicht zu eigen macht: Teresa ist nicht Kirchenlehrerin, weil sie einen spezifisch weiblichen Genius in die Theologie brächte, sondern, geradezu im Gegenteil, weil sie in einem häufig männlich konnotierten Bereich „unterwegs ist“. Dass das kein „Wildern“ ist in Gefilden, die einer Frau nur ausnahmsweise zugänglich sind, sondern legitimer zum Glauben der Kirche gehört als meditativer Tanz und Töpfern, wird durch ihren Status deutlich.

Und das führt zum für mich etwas schmerzhaften und auch unverständlichen Punkt: Für die aktuelle weibliche Spiritualität in der Kirche spielt sie kaum eine Rolle – und nicht nur sie, keine der großen Frauen, die wir verehren, scheint hier eine bedeutende Rolle zu spielen. Abgesehen von der heiligen Hildegard vielleicht, aber das scheint an nach ihr benannten Keksrezepten (echt gut!) zu liegen und daran, dass sie als mittelalterliche Heilige zeitlich noch ein gutes Stück weiter entfernt von uns ist und sich beliebig mit Projektionen aufladen lässt.

Wenn ich in Gemeindeprogramme blicke, dann sehe ich für Frauen wie gesagt den unvermeidlichen meditativen Tanz, kunsthandwerkliche Angebote, Besinnung und konkrete Lebenshilfe; außerdem natürlich allerlei Dienste, die mit kochen, backen, putzen etc. zu tun haben, das ist natürlich notwendig und völlig in Ordnung. In unserer Gemeinde wird gerade ein Frauentreffen beworben, indem uns „altes weibliches Wissen“ vermittelt werden soll – ich nehme nicht an, dass es sich da um Teresas Schriften handelt. Was ich noch nie gesehen habe: Theologische Erörterungen. Einen Vortrag dazu, wie wir im Geist der heiligen Katharina von Alexandrien mit unserem Glaubenszeugnis leere Philosophien stürzen können. Einen Abend, in dem erörtert wird, wie uns die großen leidenden Heiligen (zu denen auch Teresa gehört) zu einem konstruktiven Umgang mit der Hilflosigkeit anregen können, der Frauen häufig ausgeliefert sind. Wie geweihtes Leben in früheren Zeiten ein Hort der Selbstbestimmung war. Wie wir heute aus marianischer Spiritualität schöpfen können. Wie wir die Mutterschaft einer Monika, die Heldenhaftigkeit einer Jeanne, die Weisheit einer Teresa in unser Leben integrieren können. Nichts. Weibliche Heilige werden nur als Opfer geführt: Als Beispiele dafür, wie hart es doch immer für eine Frau war, in einer Männerwelt zu bestehen. Dabei wird natürlich ignoriert, dass jeder einzelne Heilige, der sich als Ordensgründer oder charismatische Persönlichkeit eingebracht hat, mit Skepsis und scharfer Prüfung konfrontiert war – und das ist gut so, es gab schließlich auch immer genügend überspannte Spinner und übereifrige Neurotiker, vor denen man die Kirche und die man vor sich selbst schützen musste. Ich habe z.B. als Protestantin mal einen Text gelesen, in dem Ignatius von Loyola und Martin Luther verglichen wurden, mit dem Ergebnis, sie hätten im Grunde ähnliches gesagt, und es sei nicht ganz einzusehen, wieso der eine ein Heiliger und der andere Häretiker sei – nun, der eine wollte sich eben in Gehorsam und Unterordnung durchsetzen (ja, das galt auch für Männer!), der andere nicht. Dass Teresa trotz Anfeindungen und Problemen schon 40 Jahre nach ihrem Tod heiliggesprochen wurde, dass sie im Kampf um Durchsetzung ihrer Vorstellungen und Ziele also ultimativ siegreich war, und dass sie das nicht war, weil sie jeden morgen dreimal „Ich bin Opfer des Patriarchats“ gemurmelt hätte, sondern weil sie sich mit allen Fähigkeiten eingesetzt hat für ihren Glauben: Das könnte ja am bequemen Opferstatus rütteln. Lieber nicht.

Für mich ist das ein ganz konkreter Punkt der kritischen Anfrage an die Protagonisten von Bewegungen wie Maria 2.0. Wenn ich von Männern ernstgenommen werden möchte, dann muss ich mich auch so verhalten, dass sie mich ernst nehmen können. Einer Religion wie der katholischen, die über einen unübersichtlichen Reichtum tiefgründiger Texte verfügt, mangelnde Weiblichkeit vorzuwerfen, wenn ich die Erfüllung meiner Weiblichkeit im Bemalen von Seidenschals zu finden meine, ist nicht überzeugend. Zu fordern, dass man mir zuhöre, wenn ich nichts zu sagen habe, was die Größe, Erhabenheit, Wahrheit, Bodenständigkeit und Relevanz einer Teresa nicht wenigstens zum Ziel hat, ist lächerlich. Statt dessen sollte man sich doch lieber mit Händen und Füßen gegen Zuschreibungen wenden, die weibliche Spiritualität als katholisch gefärbte Hexenkünste oder Esoterik kennzeichnen, die, noch schlimmer, in einer unangemessenen Sexualisierung legitime mystische Erfahrungen in voyeuristischer Manier ausschlachten (Extase sach ich nur) oder gar pornographisch daherkommen („Vulvenmalen“ auf Evangelischen Kirchentagen…).

Ich möchte mit diesen doch scharfen Formulierungen niemanden verletzen, der in Seidenmalen, Kräuter Sammeln und im Kreis Schreiten Erfüllung oder Befriedigung empfindet. Das ist alles völlig in Ordnung. Intellektualität ist nicht notwendig, um guter Christ und gute Christin zu sein (und eigentlich zeigen gerade die so bodenständigen, lebensnahen Schriften Teresas, dass das so ist). Ich denke nur, dass Paulus‘ wichtige Erkenntnis, dass vor Gott nicht Mann noch Frau gilt, sondern dass wir vor seinem Angesicht gleich sind, sich auch darin zeigt, dass christliche Spiritualität nicht in erster Linie männlich oder weiblich, sondern geistdurchwirkt ist. Es besteht eine große Gefahr darin, die überkommene christliche Spiritualität als „männlich“ zu klassifizieren und dann demgegenüber eine „weibliche“ konstruieren zu wollen – die dann flach und nichtssagend sein muss, weil man, wie wir an Teresa von Avila, Katharina von Siena, Thérèse von Lisieux und so vielen anderen Frauen sehen können, zahlreiche Aspekte, die Frauen und Männern in gleicher Weise zugänglich sind, dann schon als „männlich“ haben aussortieren müssen. Wenn ich also Kräuter Sammeln als spirituelle Tätigkeit ausüben will, auf jeden Fall! Aber das sollte dann nicht als „weibliche Spiritualität“ definiert werden, so als wäre dies das weibliche Äquivalent zur Lectio Divina. Das soll nicht heißen, dass man nicht auf unterschiedliche Art und Weise von Gott sprechen und ihn erfahren könnte und dürfte. Nur begründet diese Unterschiedlichkeit nicht zwei allgemeine, voneinander getrennte „Arten“ von Spiritualität. Schon gar nicht in einem Sinne, in dem Ratio und Emotion, Intellekt und Intuition, die in vielen Heiligen zur Synthese finden, als geschlechtsspezifisch auseinandergerissen werden.

Sancta Teresa, ora pro nobis!