Trump und Twitter

Zugegeben, es ist ein harter Jahreseinstieg für Konservative. Oder sagen wir besser: Für diejenigen Konservativen, die sich an Trump anlehnen wollten. Trumps Auftreten, sein Vokabular, seine Agitation – nichts davon ist konservativ. Von Konservatismus von europäischem Zuschnitt gar nicht zu reden. Adenauer und Trump sind weiter voneinander entfernt als Valinor und Mordor. Nun gibt es meiner Wahrnehmung nach zwei Formen des Schönredens der Katastrophe namens Trump: Die einen verteidigen ihn unmittelbar, weil er Lebensschutz proklamiert (wär ja auch doof, das nicht zu tun, da offenbar genügend Menschen alles hinnehmen, solange in dieser Sache das Richtige gesagt wird), oder, weil es unter seiner Präsidentschaft sachpolitisch einige positive Entwicklungen gab, sowohl außen- als auch innenpolitisch. Die anderen verteidigen ihn indirekt, indem auf die Verderbtheit oder auf die schädlichen Ziele seiner politischen Kontrahenten oder anderer politischer Akteure hingewiesen wird, und darauf, dass diese ja auch böse seien, und dass man zumindest sagen müsse, dass Trump unproportional stark dämonisiert wird. Ich will letztere Doppelmoral gar nicht bestreiten. Definitiv ist der Umgang der Medien mit Trump inakzeptabel, und dies tritt umso krasser hervor, wenn man sieht, was sich Nicht-Trumps so alles verbal und getwittert leisten können, ohne auch nur annähernd äquivalenten Gegenwind zu bekommen. Allerdings will mir nicht in den Kopf, wieso ich, weil Medien, die ich nicht mag, über Trump herfallen, den ich nicht mag, nun Trump besser finden sollte. Ich werde ja auch nicht zum Verfechter der Cholera, weil Pest existiert Genau das scheinen aber einige Konservative zu denken: Wenn Pest existiert, muss ich Cholera loben. Oder wenigstens nicht ganz so schlimm finden.

Nun muss ich allerdings zugeben, dass ich an so etwas wie einen Angriff auf das US-Kapitol niemals geglaubt hätte. Erstens ist mein Vertrauen in die republikanische DNA der USA hoch (und das ist es auch immer noch, eine stabile Demokratie überlebt eben auch Übergriffe durch Chaoten), zweitens bin ich als Deutsche ja nun agitatorisch verwöhnt: Die Reden Wilhelms II. zu Boxeraufstand und Erstem Weltkrieg sind (leider) mitreißend, Goebbels widerliche Propaganda hatte es in sich. Entsprechend hoch sind meine Erwartungen an einen Demagogen. Ich erkenne in Trumps Effusionen absolut nichts, was einen normalbegabten Menschen in bedingungslose Treue oder eine derart idiotische Aktion zwingen könnte. Aber meine Meinung ist da auch nicht maßgeblich, ich überschätze Menschen regelmäßig. Nach diesem Vorfall hatte ich allerdings gedacht, dass nun kein „Konservativer“ mehr seine Stimme für Trump würde erheben können, ganz egal, wie unangenehm es ist, damit eben auch anzuerkennen, dass man zwischen allen Stühlen sitzt. Ich hätte sogar gedacht, dass auch jene Konservativen, die verzweifelt versucht haben, an Trump irgendein gutes (echtes) Haar zu lassen, nun ja geradezu erleichtert würden aufatmen können: Wer sich derart eklatant aus dem politischen Konsens des Westens verabschiedet, dem muss man ja nun keine Träne hinterherweinen. Was für eine wunderbare Gelegenheit, deutlich zu machen, was Konservatismus ist, und was nicht. Was für eine Gelegenheit, mit bell, book & candle die politische Exkommunikation festzustellen, und befreit von solcherlei Ballast loszulegen mit einem unwiderstehlichen, attraktiven, echten Konservatismus. Tja. Weit gefehlt.

Statt dessen Empörung über die Twittersperre für Trump, und ich muss sagen: Ich bin verblüfft, dass sich Menschen, die sich als konservativ empfinden, darüber aufregen. Sie sollten sich nicht darüber aufregen, dass ein Unternehmen selbst entscheidet, wem es unter welchen Bedingungen eine Dienstleistung erbringt. Sie sollten sich darüber aufregen, dass Twitter Teil unseres politischen Lebens ist. Dass es so sehr Teil unseres politischen Lebens ist, dass eine Sperre dort als wirksames Instrument betrachtet werden kann, um die Verbreitung dessen, was der Politiker zu sagen hat, zu beschränken. Das ist nämlich das Problem. In einer zivilisierten Welt wäre es Ehrensache, dass ein Politiker nicht twittert (Lasst uns träumen!). Die Zersetzung unserer politischen Kultur ist doch unter anderem darauf zurückzuführen, dass kurze, daher selten der Komplexität unserer Welt entsprechende Sentenzen den echten Diskurs ersetzen. Twitter kann dem Absetzen der genialen und pseudogenialen Aphorismen dienen, die man während des ersten Kaffees am Morgen ersonnen hat. Dass Twitter durch die Art der Handhabung überhaupt in die Position versetzt wurde, politisch von Bedeutung zu sein, ist das eigentlich Beunruhigende.

Ich bin durchaus nicht naiv. Mir ist klar, dass das, was bei Trump nun ganz klar gemacht wird, schon lange in den sozialen Medien auch normale Leute trifft, die normale Positionen vertreten, die unserer marxistischen Elite nicht genehm sind. Wer heute in den sozialen Medien die Bibel oder den Katechismus zitiert, kann bereits Probleme mit der Zensur bekommen. Ich halte auch das für extrem beunruhigend und ich denke, dass viele, die jetzt Twitter für Trump fordern, genau das im Hinterkopf haben. Mir ist auch klar, dass nun in Erscheinung tritt, was ich schon seit Jahren als größte Gefahr der digitalen Welt betrachte: Dass virtuelle Realitäten geschaffen werden, die dann in die analoge Realität einbrechen und beginnen, diese zu formen, obwohl sie keine echte reale Grundlage haben. Nur: Die eigentlich konservative Position wäre hier, den Primat der realen Welt zu verdeutlichen, gerade auch in Coronazeiten gegen sozialmediale Bubbles den Wert echter Auseinandersetzung, ganzheitlicher, echter Kommunikation hochzuhalten etc. etc. und sozialen Medien in ihrem Wert und in ihren Grenzen zu würdigen. Keine angenehme Aufgabe, vielleicht auch auf verlorenem Posten, mag sein. Aber man hört doch nicht auf, das Richtige zu tun, weil es nicht en vogue ist. Jedenfalls nicht als Konservativer.