Schneeschippen und Beichte

Auf meinem Weg zur Arbeit sehe ich jeden Morgen die armen Menschen, die schneeschippen müssen, und bin insgeheim froh, dass bei uns meine Nachbarn dafür zuständig sind. Es schneit seit Tagen, und ganz besonders beeindrucken mich die älteren Herren, die unverdrossen den Gehweg freiräumen, obwohl sie doch zusehen müssen, wie die Frucht ihrer Arbeit sofort wieder weiß überstäubt wird. Eine Sisyphosarbeit. Ich empfinde es jedenfalls als frustrierend, weiterzumachen, obwohl man weiß, dass es „nichts“ bringt. Aber bringt es wirklich nichts? Würden die Leute warten wollen, bis wirklich kein Schnee mehr fällt, würden sie das Haus dann gar nicht mehr verlassen können. Während ich über die Disziplin dieser wackeren Schippenschwinger nachdachte, und versuchte, mir vorzunehmen, im Hinblick auf Staub in meiner Wohnung eine ähnliche Voraussicht in meine Verhaltensmuster einfließen zu lassen, fiel mir auf, dass ich in einem Bereich meines Lebens ganz selbstverständlich so handle: In der Beichte.

Obwohl ich ziemlich sicher weiß, dass ich wieder sündigen werde, höchstwahrscheinlich sogar wieder in dem Bereich, den ich gerade erst Jesus anempfohlen hatte, ja, noch höchstwahrscheinlicher sogar exakt die gleiche Sünde wieder begehen werde, gehe ich regelmäßig beichten. Dabei „bringt“ das doch gar nichts, ich fange ja doch wieder an, zu sündigen! Meine Erfahrung ist aber, dass Sünden sind wie Schnee – oder wie Staub. Sie legen sich am Anfang unmerklich über unser Liebesvermögen, mit der Zeit wird die Schicht aber dichter und dichter. Es wird immer schwieriger, in Liebe zu handeln, immer mühsamer, sich an Gott zu wenden, und man wird immer tauber für seine Eingebungen. Häufig ergibt sich Säumigkeit beim Beichten nicht daraus, dass man eine schwere Sünde auf dem Gewissen hat, sondern gerade daraus, dass man sich denkt, dass man unmöglich den Priester mit dieser und jener unwichtigen Kleinigkeit behelligen möchte (deshalb sind regelmäßige Beichtzeiten so wichtig, von denen man weiß, dass der Priester da ohnehin nichts besseres zu tun hat). So kann sich dann eine feine Schicht nach der anderen über unsere Seele legen, mit dem Ergebnis, dass wir erstens wie gesagt untauglicher zum Guten sind und zweitens dann auch die schwere Sünde wahrscheinlicher wird, weil unsere Seelen nicht mehr so sensibel reagieren. Auch unser Zugehörigkeitsgefühl zur Kirche, unser Gemeinschaftssinn leidet darunter, weil wir ja vor der Kirche nicht mehr die Verantwortung für unser Tun übernehmen. Irgendwann sind wir dann „eingeschneit“, und müssen viel mehr Mühe aufwenden, um uns den Weg in den Beichtstuhl freizuschippen.

Darum bin ich persönlich Freund kurzer Intervalle beim Beichten. Nicht, weil ich skrupulös, sondern weil ich sehr vergesslich bin (natürlich ist da für jeden etwas anderes optimal). Oft haben Menschen das Vorurteil, wer häufig beichte, sei eben besonders streng, vielleicht zu streng mit sich. Ich habe das gegenteilige Gefühl: Weil ich mir selbst vieles nachsehe, vergesse ich eben auch sehr schnell, was ich angestellt habe. Und weil ich es hasse, mich aus dem Zustand der Lieblosigkeit heraushieven zu müssen, womöglich noch mit dem Eispickel Verhärtungen aufbrechen zu müssen, möchte ich, dass meine Seele sich tendenziell in einem Zustand befindet, in dem sie schnell „Stop“ rufen kann, wenn etwas schiefläuft. Außerdem kann man unter Umständen so auch Mechanismen finden, die gar nicht unmittelbar Sünde sind, diese aber „strukturell“ begünstigen. Also z.B. eine bestimmte Art von Stresssituation, in der man immer ähnlich falsch reagiert, die sich aber von vornherein vermeiden ließe. Oder in der man dann, weil man es herausgefunden hat, besonders wachsam wird, weil man weiß, dass es gefährlich wird. Liegt das Ganze schon länger zurück, kann man sich an die Umstände oft nicht mehr richtig erinnern. Eine Bloggerkollegin schrieb mir kürzlich, dass sie „aus Faulheit ordentlich“ sei, und so empfinde ich das auch beim Beichten: Regelmäßig ein wenig wegschippen sorgt dafür, dass wir nie hüfthoch im Schnee stehen müssen.