Los von Rom #3 – das Bildungsproblem

Ich hatte zum Thema Synodaler Weg einen Dreiteiler versprochen, den Text geschrieben, und – vergessen. Tja, hier also nachgeschoben der letzte Teil der Trilogie, allerdings mit einem ohnehin zeitlosen Aspekt des Problems: Im ersten Teil habe ich grundsätzlich zu klären versucht, wieso Lammerts Aussagen zu Demokratie in der Kirche ein falsches Bild sowohl von der Kirche als auch von der Demokratie offenbaren. Im zweiten Teil habe ich mal eine kleine historische Auflistung zusammengestellt von den „erfolgreichen“ Versuchen, sich von Rom in irgendeiner Weise zu emanzipieren. Hier möchte ich nun auf Grundproblem der Synodalität hinweisen, das insbesondere umso dramatischer ist, je „demokratischer“ Synodalität verstanden wird: Bildung.

Wer in der Kirche mitsprechen will, der muss wissen, worum es geht. Zuerst ist das eine intellektuelle Frage: Ich muss verstehen, was die Position der Kirche ist. Ich habe noch nie (!) mit einem „Modernisten“ gesprochen, der das leisten konnte. Ich bin mir zwar sicher, dass es diejenigen gibt, also Menschen, die genau wissen, was die Kirche glaubt, und die dagegen agitieren. Ich denke aber, diese sind eine (gemeingefährliche) Minderheit, die die Mehrheit instrumentalisiert. Die Menschen, die ich kenne, die Probleme mit kirchlicher Lehre haben, wissen auf Nachfrage überhaupt nicht, worin die Lehren, die sie kritisieren, überhaupt wirklich bestehen:

Menschen, die den Zusammenhang von Liebe und Gesetz nicht verstehen, Menschen, die einfach nur wollen, „dass es allen gut geht“, aber mit „alle“ immer nur den Teil der Betroffenen meinen, den sie sofort vor Augen haben; Menschen, die selber Verletzungen in ihrem Leben erfahren haben und einfach nur Frieden herbeisehnen und nicht verstehen, wieso ein Wunsch nicht die Realität kreiert, die sie wollen. Menschen, die keine Lehre der Kirche inhaltlich korrekt wiedergeben (ich rede nicht davon, sie auch anzunehmen, sondern rein davon, sie referieren zu können), dafür aber lauter Fehlvorstellungen haben, die sie dann als „Strawman“ als kirchliche Position darstellen.

Nun könnte man mir vorwerfen, ich würde Elitismus verfechten: Nur, wer Spezialwissen hat, darf mitmachen. Diesen Vorwurf möchte ich erst relativieren und dann abweisen. Ja, ich halte schnödes Wissen für einen wichtigen Punkt, jedes Thema betreffend, über das ich sprechen möchte. Niemand würde sich anmaßen, aktiv an einem Fachgespräch über Kernphysik teilzunehmen, wenn er nicht über das nötige Fachwissen verfügt. Fachwissen muss aber nicht in „akademischer“ Form vorliegen: Ich muss nicht wissen, was Pelagianismus ist, ich muss bloß, wenn eine pelagianische Position vertreten wird, erkennen, dass da etwas vertreten wird, das nicht richtig ist. Ich muss nicht wissen, was die Transsubstantiationslehre ist, ich muss wissen, dass da auf dem Altar wahrhaft der Leib des Herrn ist.

Ich z.B. bin keine Theologin, und mir ist schon häufig abgesprochen worden, eine Meinung haben zu dürfen, weil ich es ja nicht „gelernt“ habe. Teil der Strategie ist dann, mir hochtrabende Fachterminologie um die Ohren zu werfen und zu hoffen, dass ich kapituliere. Nun habe ich zum Glück eine ziemlich solide Allgemeinbildung und gutes Herleitungsvermögen. Ich hatte auch gute Lehrer, die mir u.a. beigebracht haben, dass jemand, der einen komplexen Sachverhalt nicht in klaren Worten beschreiben kann, diesen wahrscheinlich selbst nicht begriffen hat. Deshalb lasse ich mich von Worthülsen auch nicht einschüchtern. Spannenderweise würden dieselben Menschen, die mir meine Meinung absprechen, sie jedem BDKJ-Delegierten zugestehen, denn die sind ja mündige Laien, was nichts anderes ist als ein Fachbegriff für „darf eine Meinung haben, solange er mir Vollzeittheologe nicht widerspricht.“ Die Kirche gesteht Glaubenskompetenz nicht exklusiv einer Expertenkaste zu. Ein schönes Zeichen dafür ist, dass ja z.B. Müttern insbesondere und auch Vätern die Erstunterweisung im Glauben nicht nur zusteht, sondern dass diese das auch bei der Taufe eines Kindes versprechen. Die Kirche geht also davon aus, dass ein Laie Experte in Sachen Christus ist. Die Kirche ist aber auch realistisch: Sie erwartet nicht, dass alle Menschen gleich fähig, gleich interessiert sind und gleich viel Zeit und Gelegenheit haben, sich Wissen anzueignen.

Abgesehen davon, wie viel Glaubenswissen die Kirche im Einzelnen verlangt oder nicht verlangt: Die Kirche ist, die alttestamentlichen Wurzeln nicht mitgerechnet, 2000 Jahre alt. 2000 Jahre, in denen vorrangig auf Griechisch und Latein ein komplexes Lehrgebäude erschaffen wurde. Bevor ich den Aufbau und die Struktur eines alten Gegenstandes nicht verstanden habe, kann ich mich nicht daran zu schaffen machen. Sonst passiert folgendes:

Verunglückter Restaurierungsversuch 2015 in Spanien

Und dies führt ein wenig indirekt dann auch zum zweiten Punkt: Keinesfalls muss kirchliches Wissen Wissen im engeren Sinne sein. Das Schöne ist, dass wir alle getauft sind und alle den Heiligen Geist empfangen haben. Dies ist ja auch der Ausgangspunkt des Synodalen Weges und ähnlicher Bestrebungen (nicht eine demokratische Verfasstheit der Kirche!): Man sagt, wenn alle mündige Kinder Gottes seien, hätten auch alle ein Anrecht, mitzureden. Durchaus gibt es Gläubige, die sehr mündige Christen sind, ohne kirchliche Lehren wiedergeben zu können. Das sind diejenigen, die als Glieder des Leibes Christi spüren, was der Kirche gemäß ist. Tatsächlich hat dieser Glaubenssinn die Kirche bewahrt, wenn die hohen intellektuellen Herren ganz anderer Ansicht waren als Gott. Man kann also die Struktur der Kirche nicht nur intellektuell, man kann sie auch intuitiv erfassen. Zu dieser Intuition gehört aber, dass man auch weiß, welche Dinge man nicht antastet (s. obige Restaurierung). Und: Ein Kind ist nicht automatisch mündig. Auch ein Gotteskind nicht. Niemand würde behaupten, dass der Heilige Geist in den Menschen fährt und dieser dadurch nun vollkommen wäre. Nur bei Reformen in der Kirche, da ist plötzlich jeder kraft des Geistes geeignet, sich wirkmächtig einzubringen. Das muss einen doch stutzig machen, oder nicht? Man beschwert sich über korrupte, machtbesessene Kirchenleute – zu Recht. Aber die sind doch auch alle getauft. Das kann doch dann gar nicht sein?! Fakt ist: Der heilige Geist will uns formen, aber wir müssen mitmachen. Man kann das „Sentire cum Ecclesia“, das Fühlen mit der Kirche, den Gleichklang mit ihr, erwerben, indem man sich in ihr Glaubensleben einfügt: Indem man die Gebete der Kirche betet, die Beichte ablegt, indem man sich auf die spirituellen Schätze der Kirche einlässt. So kann man auch ohne (oder sagen wir: mit einem Minimum an) Faktenwissen ziemlich genau erkennen, was die Kirche braucht. Bloß: Genau das tun „Modernisten“ eben nicht. Ich erinnere mich noch gut an eine Fahrt mit einer katholischen Hochschulgemeinde, in deren Verlauf herauskam, dass sämtliche angehende Religionslehrer der Gruppe zum letzten Mal vor der Erstkommunion beichten gewesen waren. Diese hatten aber ganz klare Meinungen zu den warmen und heißen Eisen: Sonntagsplicht – Blödsinn. Opfercharakter der Messe – Quatsch. Kein Sex vor der Ehe – ähm, zu spät, und sowieso idiotisch. Frauenpriestertum – aber klar doch! Ich habe noch keinen Menschen getroffen, der regelmäßig Rosenkranz betet, der behautet, Sonntagspflicht wäre Blödsinn. Und noch nie einen, der beichtet, der behauptet hätte, die Eucharistie habe keinen Opfercharakter. Auf solche Ideen kommt man nur, wenn man im inneren Vollzug gar nicht Teil der Kirche ist.

Meiner persönlichen Ansicht nach braucht es übrigens beides. Intellektuelle und spirituelle Einsicht schließen einander ja nicht aus, im Gegenteil. Oft kommt man von einem geistlichen Vollzug zum Verständnis einer Lehre, manchmal hilft Wissen bei der Unterscheidung oder dabei, zu einer geistlichen Gewissheit zu finden. Für mich war z.B. der Rosenkranz der Weg des Gebetes, der mir das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens nahegebracht hat, das ich intellektuell nicht schlüssig fand. Das Beten der Psalmen hat mich gelehrt, die Einheit von Liebe und Gesetz zu erkennen. Andererseits hat das Wissen über die Beschaffenheit kirchlicher Lehren meine Liebe zu Gott und mein Staunen über seine Güte vertieft. Die Lehre über die Eucharistie war so bestechend in ihrer Einsichtigkeit, dass sie mein Vertrauen in die Kirche so gestärkt hat, dass ich katholisch geworden bin.

Ganz gleich aber, ob man dem einen oder anderen oder einer Synthese zuneigt, es bleibt dabei, dass der gegenwärtige katholische Bildungsstand, sowohl die Herzens- als auch die Wissensbildung betreffend, auf einem Stand ist, auf dem eine breite Beteiligung an Entscheidungsfindung schlicht unmöglich ist. Das ist, als würde man einem Analphabeten, der ja ein wunderbarer Mensch sein kann, den Faust hinlegen und sagen, „Bewerte das doch mal.“