Fasten: Selbstliebe lernen

Als 2013 die USA einen massiven Luftschlag in Syrien in Erwägung zogen, rief der Papst einen allgemeinen Buß- und Fasttag aus. Die Gläubigen taten Buße und fasteten, und der Luftschlag blieb aus. Zufall, wird ein Säkularer sagen, Zufall, meint auch ein Modernissimus. Der Gläubige aber weiß, und die heilige Schrift bezeugt es: Fasten ist eine Form der Hinwendung zu Gott, die er nicht unbeantwortet lässt. Woran das liegt? Keine Ahnung. Oder: Vielleicht eine Ahnung, aber nicht mehr. Fasten ist eine einzigartige Form des Gebets. Nahrungsaufnahme ist einer der grundlegendsten Triebe des Menschen. Wenn wir darauf um Gottes Willen verzichten, dann bezeugen wir, dass wir tatsächlich – nicht nur mit Lippenbekenntnissen – für einen Augenblick unseres Lebens selbst auf das minimal „Notwendige“ verzichten, weil Gott der einzig Notwendige ist. Dabei geht es auch nicht um Gefühle und Befindlichkeiten, sondern um einen tatsächlichen Akt der Hinwendung: Es ist völlig egal, ob wir gern oder ungern essen, ob wir auf unser Lieblingsessen verzichten oder bloß auf Rosenkohl, ob wir ohnehin vegan leben oder nicht – wir müssen Nahrung zu uns nehmen, so oder so, und der Verzicht ist eine wirkmächtige Handlung, so oder so.

Ich möchte ein bisschen über das Fasten schreiben, obwohl das sehr schwierig ist. Ich erlebe, dass viel Häme ausgegossen wird über das leibliche Fasten. Es wird problematisiert als rigoristisch und atavistisch, als gesetzlich, als hochmütig, etc. pp. Meiner Ansicht nach ist die Vehemenz, mit der es abgelehnt wird, nur eines: Der Beleg dafür, wie wichtig es ist.

Zuerst eine Begriffsklärung: Verzichten auf Schokolade, Kaffee (Um Himmelswillen, wer tut so etwas, reiner Masochismus!) oder Fleisch ist nicht fasten. Sorry. Wirklich nicht. Wir haben drei Dinge, die zu unterscheiden sind: Fasten, das ist der Verzicht auf Nahrung, in der römischen Kirche bedeutet das konkret, dass man sich einmal am Tag satt isst. Und bei Bedarf bis zu zwei „Stärkungen“ zu sich nehmen darf. Das ist die Grundstruktur der althergebrachten deutsch-spießigen Ordnung von Frühstück, Mittag- und Abendessen, wer das tut, wird also kaum verhungern. Dann gibt es Abstinenz, das bedeutet, kein Fleisch zu essen. Abstinenz gilt im Prinzip an jedem Freitag des Jahres, man darf allerdings ein „Ersatzopfer“ bringen. Ich habe gerade keine Lust, darüber zu ranten, also lass ich das jetzt einfach mal so stehen. Skapulierträger, die auf das Samstagsprivileg hoffen, halten Abstinenz auch samstags, nach manchen Quellen auch mittwochs, keine Ahnung, was nun gilt, ist auch wurscht, mit dreimal pro Woche Abstinenz befindet man sich mit der Orthodoxie in ökumenischem Einvernehmen und braucht sich auch in Sachen Nachhaltigkeit nicht zu verstecken. Sodann gibt es Bußwerke bzw. Fastenopfer. Das sind individuelle Akte der Askese, des Verzichts etc., die ein jeder darbringt, wie es ihm gut dünkt. In diese Kategorie fallen „Keine Schoki“, „Kein Kaff…“ nein, das fällt unter die Kategorie „Selbstgeißelung“, „kein Fleisch“ da, wo kein Abstinenzgebot besteht. (Nur zur Klarstellung: Ich hab das mit dem Kaffeeverzicht schon ausprobiert, also darf ich auch darüber abhaten.)

Ein häufiger Einwand gegen das Fasten ist, dass die Befolgung äußerer Riten nicht ausreiche. Dieses offen protestantische Nichtargument nervt einfach nur. Katholiken begreifen Körper, Geist und Seele als Einheit, die ganzheitlich angesprochen werden will. Was ich leiblich erlebe, hat Auswirkungen auf Geist und Seele. Binsenweisheit. Niemand, wirklich niemand behauptet, äußere Riten würden ausreichen. Übrigens habe ich bei meinen freikirchlichen Freunden schon öfter mitbekommen, dass, um eine bestimmte Gnade zu erlangen, individuell, als Familie oder Gemeinde gefastet wurde. Es ist also sogar ökumenisch (Zauberwort der Unangreifbarkeit). Beliebt ist in diesem Zusammenhang auch der Strawman, es sei doch gesetzlich, wenn Leute fasten müssten, für die das gefährlich sei. Eyeroll. Das ist natürlich überhaupt kein Argument, da schon immer jeder, der nicht fasten kann, auch nicht fasten muss, sei er alt, schwanger, Schwerstarbeiter, Reisender, Gast (!), krank, arm usw. Ich könnte nun vielleicht nicht tausend, aber sicher ein Dutzend Gründe nennen, warum leibliches Fasten nötig, heilsam und gut ist, möchte aber mal einen Aspekt hervorheben, der irgendwie nie angesprochen wird, weil er aus gutem Grund nicht im Fokus steht. Das heißt aber nicht, dass man ihn nicht ausnahmsweise mal beleuchten könnte: Fasten ist eine Schule der rechten Selbstliebe.

Äh. Moment. Es geht doch um Hinwendung zu Gott (in Neusprech), um Abtötung (in Altsprech), oder nicht? Hab ich da was missverstanden? Yup, das ist kein Widerspruch!

Fasten lehrt uns Selbstliebe auf verschiedene Arten. Eine ist profan-weltlich, und wir werden gewarnt, sie nicht so überzustrapazieren, dass wir das Fasten zum Akt der Selbstoptimierung verdrehen. Dennoch ist sie da, und sie ist meiner Ansicht nach legitim: Fasten ist gut für unseren Körper. Fast sämtliche meiner säkularen Kollegen schwören aufs Intervallfasten. Sie halten das für neu und innovativ, dabei war (und zum Teil ist) es in Klöstern durchaus üblich, an Fasttagen erst ab 12 Uhr oder ab 15 Uhr überhaupt zu essen. Heil- und Saftfasten trendet seit Jahren, manche verzichten zum „Entgiften“ 24h lang auf feste Nahrung, das ständige Snacken und der übermäßige Fleischkonsum gelten als Ursache vieler gesundheitlicher Schwierigkeiten. Solange man das also für die Gesundheit tut, ist es total okay, sobald man es für Gott tut, ist es rigoristisch und meschugge? Hm, Fakt ist: Gott hat unsere Körper gemacht. Wir sollen sie pflegen und erhalten. Es ist mehr als nur ein Nebeneffekt, dass wir durch das Fasten unserem Körper helfen, dem übermäßigem Konsum zu entgehen, den unser Wille ihm aufbürdet. Dies ist übrigens selbstredend ein hauptsächlich zeit- und ortsgebundener Aspekt. Der gewaltige Überfluss an mühelos zu erlangender Nahrung in unseren Breiten ist ja einzigartig. (Nebenbei: Es ist auf anthropologischer Ebene vertrauenerweckend, dass praktisch jeder Kulturkreis Fastenpraktiken kennt, obwohl das Nahrungsangebot geringer war als heute in Nordwesteuropa.)

Damit wären wir beim deutlich tiefsinnigeren Punkt: Was ist eigentlich „Liebe“? Wenn wir auf die zwischenmenschliche Ebene schauen, dann wird uns sehr schnell klar, dass Liebe nicht bedeutet, alles zu tun, was der andere will. Es ist sicher keine Liebe, dem drogensüchtigen Sohn Heroin zu besorgen. Es ist sicher keine Liebe, ein kleines Kind vors Auto rennen zu lassen, auch wenn es verständnislos krakeelt, wenn man es daran hindert. Wieso assoziieren wir Liebe zu uns selbst dann damit, uns alles zu geben, was wir haben wollen? Mir ist völlig klar, dass das rechte Maß von Verzicht zu finden, ein Prozess ist. Nicht nur, dass man es erst einmal herausfinden muss, man verändert sich ja auch. Es mag auch Zeiten geben, in denen man von seinem Kreuz bereits so erfüllt und belastet ist, dass man für ein weiteres Opfer keine „Kapazität“ mehr hat. Dies bedingt auch die innere Folgerichtigkeit, warum die Kirche Fastenregeln und -tage immer weiter reduziert hat. Nicht, weil diese unmenschlich, atavistisch und rigoristisch gewesen wären, das waren sie nicht. Sie waren an den Bedürfnissen des Menschen ausgerichtet. Aber die Kirche hat über die Jahrhunderte immer wieder die freiwillige Hinwendung fördern wollen und gehofft, durch den Abbau von Regelkorsetts den Aufbau persönlicher Frömmigkeit zu begünstigen (hoffnungslos naiv). Wie dem auch sei: Zur Selbstliebe gehört, Maßhalten zu lernen.

Ein dritter Punkt ist etwas indirekter: Wir lernen uns beim Fasten besser kennen. Wir lernen, dass, bzw. wie schwach wir sind und haben recht klare Parameter, an denen wir diese Schwäche festmachen können. Sie bleibt nicht diffus. Und hier liegt ein meiner Ansicht nach überaus fruchtbarer Aspekt der Schule des Fastens: Wir lernen, uns selbst mit liebenden Augen zu betrachten, uns ein bisschen mehr mit den Augen Gottes zu sehen. Es ist nämlich nicht schlimm, wenn wir merken, dass wir unsere eigenen Vorsätze nicht packen: Wir lernen daran, dass wir schwach sind und das zu akzeptieren. Ein Einwand gegen das Fasten ist ja, s.o., man täte sich damit Gewalt an. Tatsächlich aber wird man erst einmal sensibel für die inneren Stimmen, die uns bedrängen und lernt, sie besser zu unterscheiden: Was ist ein genuines körperliches Bedürfnis? Was ist ist bloß Wille? Unsere inneren Regungen sind oft derart dick überlagert von Lust und Gewohnheit, dass wir diese Ebenen erst einmal freilegen müssen. Fasten führt darum auch zur Freiheit: Erst, wenn ich erkenne, dass ein Wunsch nur meinem Willen und nicht meinem Bedürfnis entspricht, kann ich selbstbestimmt entscheiden, ob ich diesem Willen trotzdem nachgeben will, aus welchem Grund auch immer, oder nicht.

An dieser Stelle liegt dann begründet, warum echtes und rechtes Fasten keineswegs eine Form rigoristischen Selbsthasses ist: Es geht niemals darum, uns etwas vorzuenthalten, was wir wirklich brauchen. Strenge Formen der Askese, wie man sie z.B. in Klöstern findet, sehen manchmal so aus, und ich bin mir auch sicher, dass es genügend Gläubige gab und gibt, die das so verstanden haben. Man kann Gutes immer verzerren. Bei strengen Formen geht es vielmehr darum, zu entdecken und weiterzuentwickeln, dass „sólo Dios basta“ (Teresa von Avila bzw. Johannes vom Kreuz), dass einzig Gott genügt, und auszuloten, was diese Einsicht in ihrer praktischen Umsetzung bedeuten kann. Dass diese Freilegung Gottes in unserer Seele je an Stand, Aufgabe und Umfeld angepasst erfolgen muss, ist selbstverständlich, weshalb eben auch niemand Angst haben muss „zu wenig“ zu tun, wenn er eine bestimme Maßgabe nicht erfüllen kann (jetzt darf ich mal ohne Rant daran erinnern, dass DAS der Grund für die Möglichkeit von Ersatzopfern ist, nicht, dass man unbedingt freitags Bratwurst auf dem Teller haben will). Der einzige „selbstquälerische“ Aspekt, der auftreten kann, ist, dass man sich selbst dazu zwingt, sich selbst besser zu erkennen – und mit dem Erkannten muss man dann ja leben, was natürlich nicht unbedingt so toll ist. Wenn ich aber Angst vor der Selbsterkenntnis habe, dann ist das ein Zeichen dafür, dass ich mich selbst eben noch nicht genug liebe – und um Gottes willen sollte man Schritt für Schritt den Mut dazu aufbringen, das zu lieben, was Gott so sehr liebt, dass er seinen einzigen Sohn dafür hingab: Sich selbst.

Disclaimer: Zur Absicherung hier noch einmal der Hinweis, dass ich mit diesem Aspekt die Dimensionen Buße und Sühne nicht diskreditieren möchte. Ich möchte vielmehr eine Nuance anbieten, die vielleicht helfen kann, diese Aspekte in den Rahmen der Liebe Gottes einzuordnen.

Heilige Teresa, bitte für uns; Heilige Thérèse, bitte für uns; alle Ordensheiligen der Karmeliter, bittet für uns, alle heiligen Eremiten, bittet für uns!