Zeitgemäße Marienfrömmigkeit?
In den sozialen Medien wurde ich auf einen traurigen Twitterthread aufmerksam gemacht. Der Ursprungstweet ist dieser:
Die darauf folgenden Antworten sind zum Teil so toxisch, dass ich auf eine Wiedergabe verzichte.
Interessant ist, dass u.a. von einem Mönch (natürlich Benediktiner) die „Kritik“ insoweit geteilt wird, als dass eine „zeitgemäßere“ Marienfrömmigkeit angemahnt wird, andere stimmen ein, indem sie die Wortspenden „süßlich“ etc. beitragen.
Nun wäre es einmal interessant, zu erfahren, ob die Kritiker überhaupt das, was sie kritisieren, selbst erleben, oder ob es sich nicht wie so oft eher um die Fortschreibung von „Legenden“ handelt: Ja, wir wissen alle, Marienfrömmigkeit, die ist kitschig, süßlich, anti-intellektuell, tendenziell abergläubisch. Wenn man das nur oft genug sagt, wird es wahr, oder so ähnlich. Wer von denen geht in eine Maiandacht um zu überprüfen, ob die Liedauswahl so kitschig ist, wie vermutet?
Ich will nur einmal als Gegenbeispiel auf das „Goldene Buch“ Ludwig Maria Grignion de Montforts verweisen: Definitiv voller Inhalte, die ich als überspannt, süßlich, schwärmerisch bezeichnen würde; allerdings werden alle diese Inhalte ausnahmslos auf den Boden klarer theologischer Wahrheiten zurückgeführt und dort verankert. Der heilige Ludwig Maria spricht in der Sprache seiner Zeit zu Menschen seiner Zeit – das bedeutet nicht, dass er zu doof wäre, sich dieser Zeitgebundenheit bewusst zu sein und als Versicherung dagegen immer wieder die heilige Schrift und die Heiligen zu bemühen. Abgesehen davon ist „Süßlichkeit“ ein kulturell sehr junges „Problem“ und vorm Barock praktisch nicht anzutreffen. Man könnte also aus gut und gern 1700 kitschfreien Jahren schöpfen, statt dessen beißt man sich meistens an einem einzigen Jahrhundert fest, nämlich am 19. Jahrhundert, als habe es davor und danach keine religiösen Äußerungen gegeben.
Mehr noch: Ganz grundsätzlich ist Marienfrömmigkeit ganz konkret bezogen auf die Sorgen und Nöte dieser Welt: „Bitte für uns, jetzt und in der Stunde unseres Todes.“ Marienfrömmigkeit hat immer viel mit Schmerz, Krankheit, Sorge und Tod zu tun. Wir würden uns Maria nicht mit solcher Verve anvertrauen, wenn wir nicht wirklich im Tränental der Verbannten ächzen und stöhnen würden. Dies kann als Kitsch eigentlich nur abtun, wer selbst keine existenziellen Probleme hat. Wobei man sich natürlich von einzelnen Darstellungen und Vollzügen nicht angesprochen fühlen darf und natürlich auch immer nach den theologischen Gehalten fragen kann. Nur liegen die eben immer vor, man muss sie nur zur Kenntnis nehmen (und natürlich auch ins Gedächtnis rufen).
Was mich an dem Thread etwas schockiert, ist die Kaltherzigkeit, mit der man Maria gegenübertritt. „Zeitgemäße“ Marienfrömmigkeit, das bedeutet für viele, gerade für die theologisch „Klugen“, ihre Funktion als Gottesgebärerin zur Kenntnis zu nehmen und es dabei bewenden zu lassen. Mehr sei sozusagen emotionalisierte Volksfrömmigkeit, aka für die einfachen Gemüter oder eben gleich „häretisch“ bzw. unbiblisch. An dieser Stelle muss ich kurz genüsslich darauf hinweisen, dass es sehr spannend ist, wie willkürlich diese Kreise mit der Bibel umgehen: Die man sonst ja nur historisch-soziologisch lesen darf, die für unsere Lebensrealität keine Aussagen trifft und schon gar nicht wörtlich genommen werden darf, plötzlich wird sie zur Richtschnur: Ausgerechnet gegen Marienfrömmigkeit muss die „wörtliche“ Schriftauslegung herhalten. Denn da steht schließlich fast nichts über Maria, also ist alles, was Katholiken (und Orthodoxe) da machen, unbiblisches getarntes Heidentum. Gern wird Maria auch auf den Vorbildcharakter des für Gott offenen, auf Gott hörenden Menschen reduziert, wobei der Begriff Jungfräulichkeit in fröhlicher Sprachspielerei zur Unkenntlichkeit verdreht wird (ja, „jungfräulich“ hat ganz viele symbolische Nebenbedeutungen, aber erst mal vor allem eine ziemlich klar definierte, sorry not sorry, und die alten Griechen hätten für „gehorsam“ und „offen“ auch unmissverständliche Worte gehabt.).
Dabei wird eine bedeutsame Bibelstelle ignoriert: Jesus gibt sterbend vom Kreuz aus Maria seinem Jünger zur Mutter. Natürlich ist damit einerseits eine Versorgungssicherheit für sie hergestellt. Aber eine Mutter ist mehr als „jemand, den man vor Rechtlosigkeit und Verelendung bewahrt.“. Zur Mutter hat man eine emotionale Bindung. Jesus, der an anderer Stelle die biologische Verwandtschaft in ihre Grenzen verwiesen hat, greift an dieser Stelle selbst wieder darauf zurück, und sicher nicht ohne Grund. Jesus, der an anderer Stelle mahnt, niemanden auf Erden „Vater“ zu nennen, fordert den Jünger, und damit nach übereinstimmender Auslegung der gesamten Kirche durch alle Zeiten hindurch bis zur Reformation uns alle auf, Maria nicht nur Mutter zu nennen, sondern als Mutter anzunehmen. Natürlich ist diese Aussage in ihrer Größe und Schönheit nur im Zusammenklang der Schrift und der Tradition verständlich: Letztlich ist dies bloß eine konkrete Konsequenz dessen, was wir in der Taufe erhalten: Indem wir Kinder Gottes werden durch Christus, indem wir Teil seines Leibes werden, wird Maria auch unsere Mutter. Ein Ja zu Maria ist ein Ja zur Taufe, zur Realität der Gemeinschaft mit Christus. Diese Gemeinschaft geht über ein Bündnis zwischen Mensch und Gott so weit hinaus, dass wir Maria Mutter nennen können, ohne damit eine Muttergottheit zu installieren: Weil wir eben tatsächlich so sehr Glieder des Leibes Christi sind, dass Maria unsere Mutter ist.
Unsere Haltung zu Maria ist keine technische – naja, irgendwie musste Gott ja in die Welt kommen, hat er sich Maria ausgesucht, na gut, sagen wir mal kurz „danke“… Nein, wir sollen und dürfen ihr gegenüber die Haltung eines Kindes zu seiner Mutter einnehmen. So gut wie jedes Kind malt seiner Mutter hässliche Bilder und schenkt sie ihr voller Freude. Das ist ein Ausdruck seiner Liebe. Wenn jemand keine emotionale Bindung zur Gottesmutter hat, dann ist das nicht einfach so, dass Marienfrömmigkeit „nichts für ihn ist“, sondern dann ist das ein Problem, allerdings keines, das man nicht lösen könnte. Der erste Schritt dazu wäre allerdings natürlich, einzusehen, dass man selbst hier ein Problem hat: Es sind nicht die Lehre der Kirche, konkrete Ausformungen der Volksfrömmigkeit oder die Inbrunst, mit der polnische und philippinische Frauen Marienbilder küssen, die mein Problem ausmachen, sondern es ist meine eigene Haltung, die das Herz für die Mutter des Herrn verschließt und als Ausrede dafür „die Anderen“ mit ihren ach so unzeitgemäßen Liebeserweisen heranzieht. Es hindert einen ja niemand daran, eine eigene, dem eigenen Charakter gemäße konkrete Ausdrucksform dieser Liebe zu finden und zu üben. Auf die Idee scheint aber kaum jemand zu kommen. Statt dessen wird herablassend verachtet, was andere aus Liebe tun.
Nutzen wir doch diesen Mai, um herauszufinden, wie unsere Seele Maria loben und ehren möchte. Neben den Standardandachten (Rosenkranz, Marienandachten, Wallfahrten, marianische Lektüre etc.) wäre möglich:
- Herausfinden, welche Darstellungen oder Mariengebete uns ansprechen: Vielleicht sagen uns mittlerweile Darstellungen etwas, die uns früher nichts bedeutet haben?
- An jedem Tag im Mai das Magnificat oder die Lauretanische Litanei beten.
- Protipp für Preußen / Selbstoptimierer: Man kann sich etwas vornehmen, das einen dezidiert nicht anspricht, z.B. das kitschigste Lied oder die schwer zugängliche Marienerscheinung, und darüber meditieren, um herauszufinden, welche der konkreten Inhalte einem trotz ihrer Form etwas sagen können (Achtung: Für diese Aufgabe braucht man natürlich Geduld mit sich selbst, Humor und eine gesunde Verfassung, sonst Frustalarm).
- Man kann eine Ikone oder ein anderes Marienbild aufstellen und regelmäßig frische Blumen davorstellen – die Blogbetreiberin tippt dies mit zerknirschtem Blick auf den verwelkten Rosenstrauß in ihrem Herrgottswinkel.
- Man kann in einem mit Maria verbundenen Anliegen besonders beten oder tätig werden: Z.B. für die Priester, das ungeborene Leben, für Frauen, die unter Gewalt leiden oder unterdrückt werden.
- Man kann öfter kurze Stoßgebete an Maria richten, und ihr einfach sagen, dass man sie liebhat. Ich bete z.B. immer, wenn mir im öffentlichen Raum ein Marienbild begegnet: „Maria, mater gratiae, mater misericordiae, tu nos ab hoste protege et mortis hora suscipe“ (Maria, Mutter der Gnaden, Mutter der Barmherzigkeit, schütze uns vor dem Feind und nimm uns an in der Todesstunde).
- Man kann eine private Pilgerfahrt unternehmen, z.B. zu einem marianischen Ort in der Nähe.
Bitte für uns, o heilige Gottesgebärerin, auf dass wir würdig werden der Verheißungen Christi!
Ich bin ja in einer Gegend aufgewachsen, die auch heute noch in D den niedrigsten Anteil an Protestanten in der Bevölkerung hat (in der Regel Nachkommen von Heimatvertriebenen…). Auf dem Dorf waren die Maiandachten Alltag. Meine Mutter hat da immer in gut katholischer Tradition Gift und Galle gespuckt, weil sich die selben Leute, die ihr im Alltag als die größten Verleumder und Giftspritzer zugesetzt haben, in ’süßlichem und scheinheiligen Marienkitsch‘ gesuhlt haben sollen.
Als Jugendlicher in den 90ern war mir das freilich eher wurscht. Aber so banal das klingen mag, ist mir das geläufige Ave Maria in den vergangenen drei, vier Jahren zum wichtigsten Gebet geworden, das ich regelmäßig in allen möglichen Situation spreche (und sei’s nur im Kopf).
Ich kann mir schon denken, warum all die frigiden Linkskatholiken so ausfällig werden: ora pro nobis peccatoribus nunc et in hora mortis nostrae. Es ist doch im Grunde die Weigerung, die eigene Sündhaftigkeit und Sterblichkeit anzuerkennen. Der Kampf gegen Frömmigkeitsformen des 19. Jhs. ist da nur ein Vorwand, um die eigene Hybris zu kaschieren.
(Von dem mangelnden Verständnis für die erotische Dimension von Religion gar nicht zu reden. Übrigens: Lieber ein vorzeitiger Erguss als gar keiner.)
Also gut, es gibt zwei kitschige Marienlieder (in Zahlen 2). Das eine ist natürlich das unvermeidliche von Cordula Wöhler; das andere ist eine relativ neue Dichtung „Mutter Maria nimm mich an die Hand“ auf eine nicht ganz unbekannte Melodie aus einem tschechischen Film mit Armbrust und Winterlandschaft.
Okay.
Und das erstere ist tatsächlich auch entsprechend beliebt.
Aber: Das war’s. Der Sitz im Leben der süßlichen und teilweise kitschigen Lieder ist eher die Herz-Jesu-Verehrung.
Werter Nepomuk,
Na ja über Kitsch lässt sich ja trefflich streiten. „Wunderschön prächtige, hohe und mächtige liebreich(!!) holdselige(!!) himmlische Frau.“ Da ist das „Segne Du Maria“ eher trockene Kost. „Welcher ich ewiglich, kindlich verbinde mich, ja mich mit Leib und mit Seele vertrau!“
Darf in keiner Maiandacht fehlen, besonders als Schlusslied der absolute Renner…und zeitgemäß ist es sowieso.
Gerade das halte ganz dezidiert nicht für Kitsch. Es ist Schönheit, die sich ihrer Schönheit nicht schämt, das ja. Aber gerade weil es tatsächlich Kitsch, gibt, weil der Begriff „Kitsch“ eben nicht nur eine Erfindung mißmutiger Moderner ist, die uns das Schöne nicht gönnen wollen, sondern etwas wirklich Vorhandenes beschreibt (das, ja, auch nicht das ultimative Übel ist, sondern in Maßen genossen ganz nett… nur halt, eben, kitschig), gehört dazu „Wunderschön prächtige“, ein herzlich begeistertes Liebeslied für die himmlische Frau in höchsten Tönen, eben gerade nicht dazu.
Und gerade daß es keine kitschigen Elemente *braucht*, um sogar *noch* emotionaler und mitreißender zu sein als das zweifellos kitschige „Segne Du Maria“, macht es zu einem so viel besseren Lied; wobei, wie schon bei anderer Gelegenheit gesagt, auch der Feinschmecker sich gelegentlich gerne mal eine Currywurst reinpfeift und das auch ganz in Ordnung ist.
Im weltlichen Bereich wäre etwa „Aïcha, écoute-moi“ von Jean-Jacques Goldman ein kitschiges Lied (wohlgemerkt: deswegen kann man sich das trotzdem mal anhören; aber „halt dich an meiner Liebe fest“ von Ton Steine Scherben ist das nicht. „Have you ever really loved a woman“ von Bryan Adams ist Kitsch, „Summer of 69“ vom selben Sänger ist das nicht.
Kitsch entsteht, wo versucht wird, das große Gefühl, das man sich wünscht, aber nicht hat, künstlich mit viel Aufwand vorzuspiegeln. Cordula Wöhlers „Segne Du Maria“ ist sehr naive Kunst; aber das Gefühl ist echt, kein Kitsch.
Ich denke man sollte sich nicht viel von der Kommunikation im Internet versprechen (egal zu welchen Themen).
Fun fact: Mir hat mal eine katholische Bloggerin einen schönen Weg zur Hölle gewünscht, das ist für mich immer noch die Nummer 1 an Üblem – man sieht, da nehmen sich alle Lager nichts – Glaube ist halt oft nur Fata Morgana.
Was Kirchenlieder angeht: Ich möchte niemanden kränken, aber ich habe immer die Bilder aus dem Konfirmandenunterricht vor mir,mit klampfenden Sandalen tragenden, ungepflegten Vollbartträgern die immer die Einzigen waren, die dabei in Verzückung gerieten. Ich teile da die Meinung eines Priesters, der mir mal im Gespräch halb scherzhaft gesagt hat, Kirchenlieder wären ein Teil dessen, was es Männern oft so schwer macht, an Gottesdiensten teilzunehmen.
Weiterer Fun fact; Der gleiche Pater hat mir eine kleine Marienfigur geschenkt, die seither auf meinem Nachttisch steht und mich daran erinnert, dass ich weiter „dran bleiben“ sollte.
Vielleicht unterstützt sie mich ja,auf dem Weg zu ihrem Sohn.
Diese Art von Verunglimpfungen
Die Verunglimpfung von Ausdruckformen des Glaubens sind unvermeidlich da, leider. Kennen Sie den „scheelen Blick“? Neid, Mißgunst und Hochmut zeigen sich darin. Sehr passend geschildert in Joh 21, 20-23. Petrus mufft hier gegen den geliebten Jünger, der nach der Tradition der Gottesmutter als Sohn beigesellt wurde. Die verfasste Amtskirche, der Klerus, betrachtet die Mystik mit scheelem Blick, wohl ahnend, wo die große Liebe lebt.
Weitere Herabsetzungen kommen von Leuten, die sich allenfalls eine apersonale „Gottheit“, eine Art Super Es vorstellen können. Für diese ist ein personaler Gott, der mit dem „endlichen“ Menschen in Kontakt tritt, eine Häresie, ein Ding der Unmöglichkeit. Lieber soll alle schön abstrakt und theoretisch bleiben, das ist völlig ungefährlich und dann kann jeder auch machen, was er will, es ist dann ja eh irrelevant. Kann man eigentlich verstehen, oder möchten Sie von Gott angesprochen werden?
So ist es.
Kitsch entsteht, wo versucht wird, das große Gefühl, das man sich wünscht, aber nicht hat, künstlich mit viel Aufwand vorzuspiegeln. Cordula Wöhlers „Segne Du Maria“ ist sehr naive Kunst; aber das Gefühl ist echt, es ist kein Kitsch.