#IamKonstanz: Rumopfern statt Aufopfern

Neulich war ich unter Modernisten unterwegs und durfte Zeuge eines Phänomens werden, das sich leider nicht so einfach auf den Punkt bringen lässt. Ich nenne es mal behelfsweise „Selbstvictimisierung“. Es gab einige Diskussionen, bei denen ganz selbstverständlich war, dass der Synodale Weg toll sei, Frauen Priesterinnen werden können müssten, die Kirche Homosexuelle segnen müsse, etc. Im Feedback am Schluss wurde dann fast nonstop gelobt, wie „offen“ die Diskussion gewesen sei, dass man so „ehrlich“ hätte sprechen können, „ohne Tabus“.

Ich habe den Diskurs natürlich mitnichten als „offen“ erlebt, denn eines hatte hier ganz deutlich keinen Platz: normale römisch-katholische Positionen.

Der mit erleichtertem Seufzen geäußerte Satz, man habe hier endlich einmal offen sprechen können, suggeriert ja, man könne dies ansonsten in der katholischen Kirche nicht. Er klingt, als hätte der Großinquisitor überall seine Schergen eingeschleust (*hust*… nein…da war kein Spitzel der Inquisition anwesend, ich schwör‘), hätte alles verwanzt, säße eingehüllt in einen Nazgûl-Umhang lachend in einem geheimen Kellerraum der Engelsburg vor abertausenden Monitoren, mit denen er die armen frommen Deutschkatholiken überwacht.

Das ist ungefähr – minimal überspitzt – das Szenario, das diese Leute sich in ihren Köpfen vorstellen. Weshalb sie sich gerieren wie Opferlämmer, die sich für Gewissensfreiheit und Aufklärung aufs Schafott führen lassen.

Natürlich hat das mit der Realität überhaupt nichts zu tun: Eigentlich müsste einem Großteil der Theologen in Deutschland die Lehrerlaubnis entzogen werden, würde man nachforschen, müsste man Millionen von Katholiken exkommunizieren. Anders lässt sich nicht erklären, dass argumentativ bestens aufgeschlüsselte Lehren von herablassenden Theologendarstellern behandelt werden, als seien sie völlig irrationale Spinnereien alter Männer, die eben nicht anders können, aber keinesfalls irgendwie ernst genommen werden müssten. Anders lässt sich nicht erklären, dass Laien selbst einfache Grundlagen des Glaubens innerlich ablehnen. Selbst eklatante Irrlehren werden derzeit in Deutschland praktisch nicht geahndet. Man schaue sich nur an, in welch senil anmutendem Starrsinn ein Küng wirklich enormen Schwachsinn fabrizieren musste, um eine Reaktion zu provozieren (ich muss an dieser Stelle mal wieder die Anekdote bringen, dass, als sein „Weltethos“ rauskam, der lutherische Pfarrer meiner Gemeinde eine gewaltig polternde Predigt dagegen hielt, dass das Glas an den Kronleuchtern zu zittern und zu wackeln begann. Man muss beileibe nicht katholisch sein um das heftig abzulehnen). Wäre dem Papst bewusst, wie schutzlos die deutschen Gläubigen einem Heer von glaubenslosen Theologen ausgeliefert sind, er würde die Einrichtung oben genannten Kellerraums womöglich in Erwägung ziehen.

Wäre es in Deutschland gefährlich, als Katholik eine un- oder antikatholische Äußerung zu tätigen, würde es keine öffentlichen Kommunionspendungen an Andersgläubige geben. Es würden nicht unter kirchlichem Dach Vorträge von Leuten geduldet, die Frauenpriestertum fordern. Und es würde auch nicht ständig allerorten irgendeine Gemeindereferentin oder Pfarrgemeinderätin meinen, in der Messe das Mikro ergreifen und irgendetwas intellektuell unbefriedigendes predigen zu müssen. Dies ist aber trauriger Alltag in Deutschland.

Gern wird dabei auf Heilige hingewiesen, die zu ihren Zeiten an der Kirche gelitten haben, weil sie Gehorsam geübt und sich dem Urteil der Kirche unterworfen haben. Das ist natürlich eine völlige Verdrehung: Diese Heiligen haben nicht „herumgeopfert“, sie haben ihre Leiden und ihr Ringen aufgeopfert, weil sie lieber jahrelang unverstanden und angefochten blieben, als sich von der Kirche zu trennen.

Die heutigen Kritiker zeichnet dagegen ja gerade ihr Ungehorsam aus. Und eine gewisse Schizophrenie – einerseits demonstriert man wo man kann, dass man die Mehrheit hinter sich hat. Deutschkatholizismus hat schließlich schon lange die Hoheit übernommen, einmal im akademischen Bereich, weshalb ja auch deutsche Theologie international niemanden mehr interessiert, aber ebenso bis hinunter ins Gemeindeleben. Diese Überlegenheit wird aber flankiert vom erbarmungswürdigsten Gejammer: Man tut nicht in erster Linie nach außen hin so, als sei man ein Opfer, man hat sich selbst vollends überredet, eines zu sein. Das, was auf allen Kanälen von ZDK bis DBK läuft, was jedes zweite social media-Statement des BDKJ frech agitatorisch verbreitet, und was alle sagen, ist angeblich unglaublich gefährlich, und darf nur unter Raunen im kleinen Kämmerlein gesagt werden. Durch diese Dämonisierung verhindert man, sich wirklich mit der Position der Kirche auseinandersetzen zu müssen. Und zwar „offen“, d.h. mit der Option, die eigenen Position unter Umständen revidieren zu müssen. Der Post-68er möchte nicht aggressiv herüberkommen; menschenfreundlich möchte man sein, nächstenlieb, offen und tolerant. Da Modernisten all dies im Allgemeinen nicht sind, sondern im Gegenteil allzu häufig ignorant, intolerant und überdies unfähig, ihren eigenen Horizont zu erweitern (was sich im konkreten Fall u.a. darin zeigt, dass selbstverständlich davon ausgegangen wird, bei einer Diskussion habe kein Anwesender anderslautende Positionen, obwohl solche ja einfach nur mit dem Lehramt übereinstimmen würden, also nun nicht besonders exotisch wären), muss der Gegner einfach in dem Maße schlecht gemacht werden, in dem man den eigenen Maßstäben nicht gerecht wird: Deshalb wird über die hierarchisch organisierte Kirche gesprochen, als habe sie zu Konstanz bereits hunderte Scheiterhaufen bauen lassen um alle postmodernen Jan-Hus-Adepten in einem gewaltigen Autodafé zu vernichten.