Patriotismus vs Nationalstolz – (m)eine sinnvolle Unterscheidung?
Disclaimer – dies ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Blogeintrag; lose Gedankengänge, die woanders landen als sie starten…vielleicht mag ja jemand die Gedanken mitschweifen lassen.
Während der Krönung Charles‘ III. fiel mir auf, wie aggressiv bei manchen Leuten die Ablehnung dieses historischen Ereignisses ausfällt. Spott, Häme, dümmliche Bemerkungen über die angebliche Rückwärtsgewandtheit der Institution Monarchie (dass Europa eine beträchtliche Anzahl von Monarchien aufweist, zugleich aber doch als recht moderner Kontinent gelten kann – nun ja). Der Hass schien mir ziemlich unverhältnismäßig hoch und Ausdruck einer gewissen Form von Freudschem … Neid … zu sein. Schließlich hat Deutschland mit einer zerrissenen Gesellschaft zu kämpfen, die im Grunde keinerlei Kitt mehr bieten kann: Was vereint denn noch den Kölschen Deutschtürken, den mecklenburgischen Bauern und den Berliner Hipster, außer dass sie Steuern an dasselbe Staatsgebilde zahlen? Da kann man schon unbewusst spüren, dass etwas faul ist im Staate Deutschland, dass man sich eigentlich Sorgen machen müsste, um die Wohlfahrt in unserem Land, um Zusammenleben und Zusammenhalt.
Leute aus rechtsnationalen/nationalkonservativen Kreisen sind naturgemäß der Ansicht, dass der Mangel an Zusammenhalt auf mangelndem Nationalbewusstsein beruhe. Diese Diagnose scheint mir inhaltlich einerseits zutreffend, weil tatsächlich das fehlt, was etwa der König für England bedeutet: Ein Kulminationspunkt nationaler Identität. Dennoch haben sie Unrecht, denn das, was Rechtsnationale unter Patriotismus verstehen, ist in erster Linie Stolz. Nationalstolz. Und Stolz ist nicht umsonst eine Hauptsünde. Interessanterweise treffen sich Rechte hier wieder einmal mit Linken, deren neue zentrale Maxime ebenfalls der Stolz ist, sie nennen es bloß Pride, und beziehen diesen Stolz auf individuelle Eigenschaften: Auf der einen Seite also ein Kollektivstolz, auf der anderen ein individualistischer Stolz (der letztlich auch wieder in Kollektivismus abgleitet, aber das ist ein anderes Thema). Beides ist indes gleichermaßen falsch.
Meine Überlegungen dazu, warum die Krönung so starke Emotionen hervorgerufen hat, führten zu einem Blick über meine eigene Twitterbubble hinaus. Dieser zeigte mir, dass noch aus einer anderen Richtung ähnlich krude Abgrenzungserscheinungen kamen, und zwar aus den USA. Die Ex-Kolonie sollte eigentlich darüber hinweg sein, dass sie sich damals vom mad king George losgelöst hat, um wenig später mad president Trump huldigen zu müssen, aber weit gefehlt. Besonders spannend fand ich die Einwände amerikanischer Ultra-Katholiken, die sich darüber aufregten, dass der König ja nun nicht katholisch sei. Ziemlich seltsam, sich über die mangelnde Katholizität einer Nation zu beklagen, wenn man selbst glühender Patriot einer Nation ist, deren Grundlagen atemberaubend antikatholisch sind: Mit einer aufklärerischen Verfassung und Wurzeln im puritanischen Protestantismus – wie die USA diese Quadratur des Kreises hinbekommen, ist ohnehin ein Kuriosum.
Bei mir hat dieses Phänomen dazu angeregt, über aus katholischer Sicht sinnvollen Patriotismus nachzudenken. Denn ganz offensichtlich ist keine Nation „perfekt“: Wir alle haben unser Päckchen zu tragen. Verbrechen, historische Altlasten oder ideologische Handicaps, die unsere Identifikation mit unserer Heimat immer auch mit ausreichender Distanz versehen sollten. Die USA mit ihrem freimaurerischen und illiberalen puritanischen Erbe taugen ebenso wenig zur Glorifizierung, wie die Engländer, die mit ihren unglücklichen Intrigen ganze Erdteile in jahrhundertelange Instabilität getrieben haben, oder die Deutschen, die mit dem Holocaust ein Verbrechen vorgelegt haben, für das uns die Worte fehlen, um sein Grauen zu beschreiben.
Meiner Ansicht nach bietet hier der katholische Glaube den goldenen und vernünftigen Mittelweg: Da das eigentliche Bürgerrecht im Himmel ist, darf ein Katholik die Nation nicht an erste Stelle setzen, nicht glorifizieren, vergötzen oder zum Anlass nehmen, auf andere Nationen herabzuschauen. Aber zugleich bedeutet die Relativierung der eigenen Volkszugehörigkeit keinesfalls, dass man dieselbe geringschätzen müsste! Wenn ich das Eigene nicht liebe, werde ich letztlich auch für das Fremde keine echte und nachhaltige Sympathie hegen können. Blind zu sein für die Errungenschaften, die meine eigene Nation zur Menschheit beiträgt und beigetragen hat, ist ebenso wenig hilfreich wie Blindheit gegenüber problematischen und auch geradewegs bösen Aspekten der Geschichte. Was mich an christlichem Patriotismus protestantischer Prägung, wie er in den USA weithin üblich ist, und wie ihn Rechtskonservative gern mit dem Katholizismus verknüpfen würden (wie oft habt ihr das schon versucht, hm? Gebt es doch einfach auf. Wir bleiben ultramontan.), irritiert, ist, dass doch ein ganz wesentlicher Bestandteil des Christentums die Buße ist: Das Reflektieren und Bewusstsein über die eigenen Fehler und Sünden, der freie und schonungslose Blick auf die eigene Unzulänglichkeit, echte Reue darüber und Bitte um Vergebung dafür. Es ist mir völlig unverständlich, wie man als Christ Patriot sein kann oder will, dabei aber diese Dimension für die eigene Nation ablehnt. Nie würde ich auf die Idee kommen, dass ich mich selbst nicht genug liebe, wenn ich die eigenen Sünden betrachte. Im Gegenteil. Es gehört zur christlichen self-care, dass ich diese Sünden anschaue, um sie bekennen und Vergebung dafür erlangen zu können. Das gilt auch für Nationen: Wer seine Heimat liebt, wird Gott für die Sünden der Väter beständig um Vergebung bitten, oder nicht? Meiner Ansicht nach gehört daher der Blick auf das Negative und das Bekenntnis der nationalen Verfehlungen integral zur katholischen Liebe zum Heimatland dazu.
Es ist bezeichnend, dass das Bewusstsein der Deutschen für historische Schuld und damit einhergehende Verantwortung von Rechtsnationalen als „Schuldkult“ diffamiert wird. Darin zeigt sich die tiefe Unvereinbarkeit von nationalistischem und katholischem Gedankengut, die nicht zuletzt aus dem tiefen Unverständnis einer nationalistischen Haltung gegenüber der Erlösungs- und Vergebungsbedürftigkeit des Menschen besteht. Das Problem ist hier aber gar nicht das Schuldbewusstsein, sondern, dass es als Vehikel für unerträglichen Moralismus dient, dass kollektive Aufarbeitung als Ersatz für individuelle gesehen wird, und dass die Monstrosität der historischen Verbrechen des Nationalsozialismus als psychologisches Druckmittel eingesetzt wird, das je nachdem, was gerade opportun ist, als Vergleichspunkt für jede Äußerung herangezogen werden kann, um in demselben Atemzug als Vergleichspunkt geächtet zu werden und jeden zu diffamieren, der dieses Mittel gleichfalls einsetzt. Ein einfaches Beispiel für Letzteres: Bilder, die Goebbels und Höcke gleichsetzend nebeneinander präsentieren, sind in Ordnung, obwohl man ebenso gut argumentieren könnte, dass Goebbels und damit der Holocaust hier verharmlost würden; der Vergleich (nicht einmal die Gleichsetzung) des aktuellen Verhaltens der Kirchen gegenüber zeitgeistigen Strömungen mit dem Verhalten in der historischen Situation, als der Zeitgeist eben „Nationalsozialismus“ hieß, ist dagegen pfui und wird mit Empörung bedacht – wann welches Argumentationsmuster legitim ist, ist nicht transparent feststellbar. Dieser willkürliche Umgang mit nationaler Vergangenheit ist natürlich frustrierend für alle, die der Gefahr ausgesetzt sind, damit in Geiselhaft genommen zu werden. Man muss sich trotzdem geduldig in jedem einzelnen Fall dagegen wehren, denn wie gesagt, die Formulierung von Nationalstolz, der Sünde und Schuld leugnet oder verharmlost, ist keine Alternative.
Ich denke, dass daher eine Unterscheidung zwischen Patriotismus und Nationalstolz sinnvoll wäre, um in der gegenwärtigen angespannten gesellschaftlichen Situation von gegenseitigen Verurteilungen wegzukommen, und weniger polarisierend miteinander ins Gespräch zu kommen.
Nachbemerkung: Eigentlich hatte ich mich weniger um Politik kümmern wollen, aber leider ist so viel los. Da diese Woche die Reliquien der kleinen Thérèse bei uns Station machen, schließe ich hier eine Bitte an sie an, dass sie uns dabei helfen möge, unsere eigentliche Heimat und das, was wirklich zählt, nicht aus dem Blick zu verlieren:
Sainte Thérèse de Lisieux, priez pour nous!