Kulturkampf, nein danke (aber Brecht)

Politische Los Wochos auf „Katholisch ohne Furcht und Tadel.“

Lustigerweise trage ich den Impuls zu diesem Blogeintrag schon eine ganze Weile mit mir herum. Nun traf mich der Vorwurf eines Mittwitternden, ich würde Positionen vom „Kulturkampf in den USA“ borgen. Interessanterweise stieß ich dann nochmal auf den Begriff Kulturkampf, und zwar bei dem ARD-Moderator Georg Restle: Kulturkampf von rechts, hieß es da.

Ich muss sagen, ich finde den Begriff schwierig, weil es einen historischen Kulturkampf gab, in dem es vor allem darum ging, die katholische Kirche dem Staat, in dem Fall dem Deutschen Reich, zu unterwerfen.

Abgesehen davon bin ich auch gegen das, was derzeit unter dem Begriff verstanden wird. Auf Englisch heißt es culture war. Das bezeichnet besser, was es ist, und erklärt besser, warum ich den Vorgang für extrem gefährlich halte. Ich möchte nämlich keinen Krieg mit meinen Mitmenschen. Ich betrachte Menschen nicht zuerst als Exponenten oder gar Manifestationen einer Idee, Ideologie, Theorie oder eines Kollektivs. Ich bin davon überzeugt, dass es Dinge gibt, die allen Menschen gemein sind: Die Sehnsucht nach Liebe, Glück, oder auch weniger romantisch: nach Sicherheit, auskömmlichem Leben etc. Dissens in der Frage, wie all dies (näherungsweise) zu erreichen ist, darf Anlass für heftigen Streit sein, aber nicht für Kampf oder Krieg.

Außerdem trifft das Diktum, dass das erste Opfer des Krieges die Wahrheit sei, auch hier zu: Wir fassen derzeit verschiedene Haltungen, Meinungen und Meinungen zu Weltanschauungen zusammen, die wir dann en bloc einem Lager zuweisen. In diesem Meinungscluster können sich sehr unterschiedliche Haltungen befinden, wahre, weniger wahre und falsche. Sie müssen aber als Paket angenommen oder abgelehnt werden. Mir scheint übrigens (vielleicht ist das Blödsinn), dass wir im Augenblick in der Anlage der Auseinandersetzung andersherum vorgehen als in der Moderne: Damals gab es große Ideologien, Denkströmungen, denen man sich anschloss, und von denen aus die große Idee bis in die kleinen Vollzüge des Lebens hineingetragen wurde. Sozialismus fing nicht damit an, dass ein Bauer so viele Kühe wie der andere haben wollte, und die Dienstmagd dem Pelz ihrer Herrin nachschielte, sondern in Hinterzimmern, in denen adlige Studenten sich überlegten, wie sie eine bessere Welt schaffen könnten. Daraus ergab sich dann, dass diese Ideologie bis in das Leben der Bauern „hinabregierte“. Heute sehe ich keine große Idee, sondern ein Sammelsurium aus kleinen Meinungen, die sich zu einem Flickenteppich zusammenschustern, der dann die Ideologie ergibt. Das kann zum Beispiel die „woke“ Ideologie sein: Da treffen dann Antirassismus, Antikolonialismus, critical race theory, Feminismus, Transgenderismus, und so weiter und so fort aufeinander und bilden von unten eine neue Ideologie, in der bei Licht betrachtet vieles überhaupt nicht zusammenpasst. Genauso im konservativen Spektrum, naturgemäß vor allem in den USA: Da gehören dann plötzlich das Recht auf Waffen, panische Angst vor einer allgemeinen Krankenversicherung und Abtreibungsgegnerschaft zusammen. WARUM? Die Unfähigkeit, diese Flicken einzeln zu betrachten, zu kontextualisieren, zu relativieren und zu bewerten, ist unerträglich.

Es gibt noch einen völlig anderen Aspekt, der mich beim Begriff „Kulturkampf“ stutzig macht. Wie gesagt hat mich u.a. ein Tweet von Georg Restle motiviert, diesen Text zu schreiben. Anlass des Tweets ist Tilman Kubans „infamous“ Veröffentlichung des Schreibens einer hessischen katholischen KiTa, die das Aussetzen gemeinsamen Bastelns zum Mutter- und Vatertag unter anderem (der Fairness halber: Nicht nur, aber vorrangig) mit kruden Einlassungen zu Diversität begründet: Stein des Anstoßes sind stereotype Geschenke (Mama- Blumen, Papa – Werkzeuge), sowie, dass die Normfamilie nicht mehr aus Vater/Mutter/Kind bestünde. Insbesondere letztere Behauptung ist vielsagend, denn selbstredend ist diese Familie nach wie vor „die Norm“: Wertfrei, quantitativ beschrieben. Nun kann es sein, dass die KiTa im ländlichen Hessen ausgerechnet ein Brennpunkt diverser Familienmodelle ist. Es kann aber auch sein, dass die ständige mediale Beschallung mit Diversitätssprech bei den Kindergärtnern dazu geführt hat, dass sie die Norm, die sie umgibt, nicht mehr als Norm begreifen, weil man ihnen vorgaukelt, ihr Lebensumfeld sei gar nicht mehr normal. Mich würde wirklich interessieren, was hier der Fall ist!

Wie dem auch sei: Dieser Vorfall wird als „rechter Kulturkampf“ geframet, und das finde ich nun schon seltsam. Erstens ist das ja nun eine bodenlose Verharmlosung. Wenn „ausländisch aussehende Menschen mit Zwille beschießen“ (ja, so etwas passiert in Hessen.) in dieselbe Kategorie fällt wie „sich beschweren, wenn Normalität unsichtbar gemacht werden soll.“, dann ist das ganz schön verantwortungslos. Und es legt auch offen, was hier das eigentliche Problem ist: Die neuen Ideologien sind bisher widerstandslos durchmarschiert, weil sie im Fahrwasser des weniger glatten aber erfolgreichen Marsches durch die Institutionen der 68er beste Bedingungen vorfanden. Widerstand gab es praktisch nicht, und wenn, konnte er mit dem Vorwurf „rechts“ schnell mundtot gemacht werden. Erst jetzt beginnt die Mitte überhaupt, sich zu regen, und auch das nur, weil die massive Wand der kryptomarxistischen Front erste Risse zeigt. Es ist vor allem die aggressive Transgenderlobby, die mit der Beseitigung der von Feministinnen erkämpften Schutzräume für Frauen dafür gesorgt hat, dass die Illusion einer geschlossenen Bewegung nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, der Flickenteppich wird als solcher sichtbar. Die Bewegung verliert auch an Rückhalt unter denen, die sie mit ihrer Stimme politisch stützen: Auch der klassische SPD-Wähler ist ja mittlerweile im Grunde „konservativ“, da er mit den links gängigen Ideologien nichts am Hut hat. Abseits der Hipsterviertel der Metropolen ist die Mehrheit der Bevölkerung nicht marxistoid eingestellt, gleich, ob man marxistische Grundsätze auf Klasse, Ethnie, Geschlecht, oder sexuelle Orientierung anzuwenden sucht.

Die hart arbeitende Mitte, die Derartiges gewöhnlich mit „Die Spinner da oben“ quittiert, kann die extremistischen Formen dieser Ideologie nicht mehr ignorieren. Vor einigen Jahren war noch das Ziel, den Begriff der „Norm“ lediglich auszuweiten auf Lebensformen und Haltungen, die nicht der Norm entsprechen. Damit konnten die meisten leben, weil es ihre Normalität ja nicht infrage stellte. Nun aber wird zunehmend aggressiv die Norm als schädlich, falsch, böse, „rechts“ dargestellt. Damit wird das Leben der Mehrheit der Bevölkerung diffamiert und delegitimiert.

Die Elitenbubble hat sich eingebildet, die Meinungshoheit von Rechts und Moral wegen innezuhaben, und muss nun wahrnehmen, dass die Mitte – noch ziemlich vereinzelt und zaghaft! – „Nein“ sagt: Und das ist dann Kulturkampf von rechts?! Solche Verlautbarungen sind das wahre Ausheben von Schützengräben, es ist der gefährlichste, weil unehrlichste Beitrag zur Eskalation. Ich hoffe inständig, dass diese Leute zur Besinnung kommen. Ich wünsche mir eine Bundesrepublik, in der das Streben aller ist, die Realität zu erfassen und zu formen, nicht, sie zu definieren. Wenn das der Boden ist, auf dem alle, oder zumindest fast alle stehen, ertragen wir auch heftigen Dissens, ohne einander die Daseinsberechtigung abzusprechen. Ich will keinen Kulturkampf. Bloß interessieren meine Wünsche ja niemanden. Brecht sagt: „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin – dann kommt der Krieg zu Euch!“

Heiliger Thomas Morus, bitte für uns.