Weniger Moral?!
Ich hatte es mir schon fast gedacht. Nach dem von der Bildzeitung ausgeschlachteten Porno-Skandälchen in Köln (weil Sex und Köln – das füllt das Sommerloch, und wenn man es dann noch mit einem kontextfreien Bild vom Kardinal bestücken kann, Jackpot), war die nächste Sonntagsmesse nicht davor gefeit, entsprechend genutzt zu werden, um über die Moral zu predigen.
Zurecht würden die Gläubigen, nachdem ihnen jahrzehntelang von oben herab gepredigt worden sei, nun danach fragen, was denn mit dem Verhalten jener sei, die ihnen gepredigt hätten (dazu muss man sagen, die unerlaubten Zugriffe kamen dem Vernehmen nach auch von Laien, allerdings habe ich die Sache nicht weiter verfolgt). So weit so gut. Als jemand, der Lumen Gentium leidenschaftlich liebt, werde ich wahrscheinlich bis an mein Lebensende gegen die Einstellung kämpfen, „die Kirche“, das seien die da oben, und die Gläubigen, das sei jemand anders. Wir sind Kirche. Das ist nicht nur Theorie. Nicht nur Prediger haben die Gläubigen moralisch belehrt. Laien belehren einander ständig gegenseitig, und das nicht erst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil: Es sind Mütter, Väter, Freunde, ja, immer wieder sind es auch kleine Mädchen, einfache Leute, die Priester und Bischöfe belehren. Ich finde es wirklich spannend, dass das Zweite Vatikanische Konzil gerade unter reformbewegten Gläubigen und Priestern so wenig verinnerlicht ist, dass ein Priester unironisch impliziert, die Kirche, das seien primär die Priester.
Wir dürfen Vorbildhaftigkeit einfordern
Abgesehen von dieser falschen Gegenüberstellung hat der Priester natürlich Recht! Wir dürfen und müssen in der Kirche fragen, ob diejenigen, die das Wort Gottes verkünden, es auch leben. Dies natürlich immer unter den Prämissen, die uns Christus eingeprägt hat: Erst der eigene Balken, dann der Splitter des Nächsten, erst die eigene Sünde, dann die des Andern, die gefallene Natur des Menschen in die Bewertung einbeziehen, und generell zwar unterscheiden zwischen akzeptablem und nicht akzeptablem Verhalten, aber lieber nicht richten.
Nun kam unvermeidlich der Twist: Die Kirche müsse von ihrem moralischen Ross herunter, und, O-Ton: Moralisch abrüsten.
Interessant. Stellen wir uns vor, ein Mensch predigt, dass man niemanden umbringen dürfe. Dann bringt er jemanden um. Ist der Schluss daraus ernsthaft, dass der Mensch, da er seiner eigenen Anweisung zuwider gehandelt hat, nun nicht mehr sagen dürfe, dass man niemanden umbringen dürfe? Ist es durch seine Tat akzeptabel geworden, jemanden umzubringen, und sind seine Worte nun unwahr, da er das Gegenteil dessen getan hat, was er gesagt hat? Eine absurde Idee. Es kann sein, dass der Totschläger bloß schwach war; oder dass er ein übler Heuchler ist. An der Tatsache, dass Töten falsch ist, ändert aber beides nichts.
Moral ist keine kirchliche Erfindung
Dieser Sachverhalt zeigt uns, dass den Aussagen des Priesters eine ganz grundlegende Einsicht fehlt: Die Moral der Kirche ist nicht ihre eigene Erfindung. Es geht hier um den Anspruch Christi. Und den hat er nicht formuliert, weil er Athleten der Tugend als Nachfolger trainieren wollte (das biblische Bild des Wettkampfes ist mit Rücksicht auf menschliche Erfahrungen gewählt). Er hat ihn formuliert, damit wir in Einklang mit der Wahrheit und in Einheit mit Gott leben können. Ist Jesu Anspruch unerreichbar, bist du zu schwach, nicht sein Anspruch zu hoch. Die Kirche kann moralisch gar nicht abrüsten, weil sie dann nicht mehr den Anspruch Jesu verkünden würde. Als Disclaimer sei hier angebracht, dass die Moral natürlich nur ein kleiner Teil ihrer Verkündigung ist, aber er gehört eben integral dazu. Ein Moralisieren ist hier ausdrücklich nicht gemeint.
Zudem würde, was der Priester hier vorschlägt, das Problem verschlimmern. Will die Kirche, dass ihre Kleriker tun, was sie predigen, muss sie moralisch nicht ab-, sondern aufrüsten. Jede kirchliche Reform ging über die konsequentere Einforderung dessen, was Christus lehrt, und zwar zuerst von denen, die ihn in besonderer Weise repräsentieren. Verlotterte Ordensleute und Priester, dagegen hat sich immer wieder Reformeifer geregt. Sie sind eines der gröbsten Ärgernisse, die die Kirche kennt, eben weil die Glaubwürdigkeit Christi unter ihrem Scheitern besonders leidet.
Zum Schluss sei an dieser Stelle auch kurz auf einen Standpunkt bei Katholisch.de verwiesen, in dem Juliane Eckstein unter dem Vorwand, als Frau mit moralischem Kompass die Bloßstellung von Menschen nicht gutzuheißen, das Agieren der Bildzeitung rügt. Machen wir uns doch nichts vor: Der Gewissenskonflikt, dem diese Dame hier unterliegt, ist im Grunde geradezu köstlich: Anders als für normale Katholiken ist für die Gruppe derer, die auf dem Synodalen Weg für eine Änderung der Sexualmoral eintraten, Pornographie halt nicht so wirklich ganz furchtbar schlimm. Daher weiß man nun nicht, ob man toll findet, dass die Bildzeitung Kleriker basht, oder ob man schlecht findet, dass sie es wegen Verstößen gegen das sechste Gebot tut, für die man tendenziell in der Kirche ja gern Akzeptanz erwirken würde (im eigenen weltanschaulichen Rahmen freilich, „gewaltfrei“, einvernehmlich usw.). In diesem Zusammenhang ist vielsagend, dass sie ausgerechnet anklagt, dass hier etwas ans Licht gezerrt wird, was keine Straftat darstellt. Ähem. Würde genau diese Argumentation von Vertretern des Lehramts getätigt, würde dies einen Sturm der Entrüstung auslösen (imho zu Recht, so dies die Tat exkulpieren soll), und zwar selbst dann, wenn man einfach nur erklären will, warum die Einleitung einer Strafverfolgung nicht möglich sei.
Allerdings ist Eckstein hier konsequenter als viele Andere: Es ist doch befremdlich, dass den Leuten hier kein Widerspruch auffällt. Man fordert gleichzeitig, dass Priester den Glauben vorbildhaft leben, will denselben Glauben aber schleifen, um genau die Vorgaben, deren Erfüllung man von Klerikern erwartet, nicht mehr erbringen zu müssen. Ein hämischer Hinweis darauf, dass auch Kleriker an dem, was Jesus fordert, scheitern, ist jedenfalls einigermaßen unpassend: Wahrheit bleibt wahr, auch wenn niemand mehr dazu in der Lage wäre, ihr gemäß zu leben. Wir müssen selber lernen, zu unterscheiden zwischen denen, die Wahrheit sprechen – aber vielleicht nicht tun – und dem, der die Wahrheit ist.
Hl. Pfarrer von Ars, bitte für uns. Heilige Maria Goretti, bitte für uns. Heiliger Dominikus, bitte für uns.
Es sind gerade diese Widersprüchlichkeiten, die den Weg säumen, die ihn geradezu markieren. Die lange Liste beginnt ja bereits mit der Agenda selbst.
Man sollte eigentlich davon ausgehen, dass ein klares Aufzeigen zum Nachdenken, vielleicht sogar zum Umdenken anregen könnte.