Selbstbestimmung – Wo ist das Problem?

„Es nimmt doch niemand jemandem etwas weg, wenn ein Mann, der sich als Frau empfindet, sich als Frau eintragen lässt.“. So oder so ähnlich tweeten („exen?“) und reden Leute, wenn sich jemand als Gegner des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes outet. Es steht der Vorwurf im Raum, dass jemand, der dagegen ist, einfach nur transphob sei. Warum sonst könnte man etwas dagegen haben? Die Leute haben halt auch vorurteilsbehaftete Ängste: Dass Männer sich zu Frauen erklären und dann auf Damentoiletten gehen und so. Was für Spießer. Und überhaupt: Transfrauen haben doch echt besseres zu tun, als auf Damentoiletten Frauen einen Schrecken einzujagen. Also: Wenn „Peter jetzt Bärbel sein möchte“, wie ein Twitternutzer schreibt, schadet das doch niemandem.

Ich kann nur sagen: Wer so denkt, sollte das geplante Gesetz einfach mal genau durchlesen. Nachdem ich mich in das Thema eingearbeitet habe, um hier (Corrigenda) und hier (Tichys Einblick – ich empfehle diesen Text, weil ich sachlich die Problemlage analysiere; unvergütete Eigenwerbung Ende) über das Selbstbestimmungsgesetz zu schreiben, muss ich mir hier doch noch einiges von der Seele bloggen, nachdem ich Tweets wie den obigen gesehen habe.

Mir ist es so was von sch*egal, mit wem ich mir die öffentliche Toilette teile. Kein Thema. Meinetwegen können nach Geschlechtern getrennte Toiletten komplett abgeschafft werden. Männer würden sowieso wahrscheinlich sehr schnell separate Räume zurückverlangen, wenn sie menstruationsblutverschmierte Klotüren gesehen hätten (sorry, aber man muss vielleicht einfach mal sagen, wie es ist). Allerdings nehme ich an, dass ich als Frau mit dieser Ansicht ziemlich allein dastehe, und auch das ist okay: Man sollte ernst nehmen, wenn Frauen hier ein echtes, sie beunruhigendes und verunsicherndes Problem sehen. Das ist nicht lächerlich und nicht spießig.

Nun wird diese Frage nach Frauensauna, Frauenschwimmbad, Frauentoilette aber komplett aufgebauscht. Die Einen schreien auf, die Andern schreien, die Einen seien spießige Transphobe. Und in dem ganzen Geschrei geht unter, dass das Problem an der ganzen Sache wirklich nicht ist, dass ein biologischer Mann meint, eine Frau zu sein. Das heißt: Natürlich ist das „ein Problem“, aber keines, für das ich mich zuständig fühle. Ich habe mir in der konservativen Twitterbubble ein bisschen Prügel geholt, als ich einen Artikel anteaserte mit der Aussage, dass ich gern jeden mit dem Pronomen anspreche, das er sich wünscht. Obwohl ich sehr gut verstehe, wieso andere das nicht wollen, bleibe ich auch dabei. Für mich ist kein Transsexueller zuerst Vertreter einer Interessengruppe, Lobby oder Ideologie. Er oder sie ist ein Mensch. Und wer sich als non-binär empfindet: Jup. Ein Mensch. Diesem Menschen begegne ich individuell. Seine sexuelle Selbstverortung interessiert mich sowieso nur am Rande.

Das Problem am Selbstbestimmungsgesetz ist, dass es hier nicht „nur“ darum geht, dass ein erwachsener Mensch sich wünscht, dass seine Empfindung nicht pathologisiert wird, dass sie gesellschaftlich anerkannt wird. Ein verständlicher Wunsch übrigens – ob ihm entsprochen wird und werden kann, ist eine andere Frage.

Das Selbstbestimmungsgesetz tut lauter Dinge, die mit dem, was es regeln soll, nichts mehr zu tun haben, sondern gefährlich und hirnrissig sind.

Kinder sind der Willkür der Eltern ausgeliefert

Das schlimmste ist, dass Eltern bei Kindern bis 14 Jahren den Geschlechtseintrag ihres Kindes ändern können sollen. Stellt euch das mal bitte vor: Susi wollte doch immer ein Mädchen. Aber dann kam Tim. Na gut. Aber Tim spielt ja lieber mit der Puppe, als mit dem Bagger! Juchu! Tim ist in Wirklichkeit ein Mädchen! Kommt nicht vor? Oh doch. Das kommt vor. Wer es verkraftet, kann sich Jazz Jennings ergoogeln. Der Junge wurde mit drei, vier Jahren mit Genderdysphorie diagnostiziert – lächerlich. Auf Betreiben der Mutter begann er eine Transition und ist nun zum Mädchen umoperiert. Bis in den OP-Saal hinein, bis zu den unappetitlichen Erzählungen der Mutter, dass sie seine Neovagina manuell weiten muss, weil er das nicht tun mag, aber muss; alles dokumentiert als Reality Show. Na gut. Aber es ist eine Ausnahme, oder nicht? Mal ehrlich: Ist das wirklich wichtig, ob das ein Kind, hundert Kinder oder hunderttausend betrifft? Ein zerstörtes Leben ist ein zerstörtes Leben. Warum gibt man Eltern solche Rechte in die Hand? Ich bin übrigens davon überzeugt, dass mit zunehmender Propaganda solche Fälle zunehmen werden. Denn wir erleben gerade die Umkehr der Bemühungen der Emanzipation: Früher wollte man, dass Mädchen auch in Rollen respektiert werden, die Jungen zugeschrieben werden. Mittlerweile heißt es in einer Verlautbarung des Bundesfamilienministeriums (damals unter Schwesig):

„Liebe Eltern,
Sie haben ein Kind, das mit Sachen spielt, sich kleidet
und verhält, wie es für das andere Geschlecht zu
erwarten wäre. Sie merken: Ihr Kind ist mit seinem
biologischen Geschlecht nicht einverstanden, und
es ist nicht einfach ein Mädchen, das auf Bäume
klettert, oder ein Junge, der Puppen mag. Überlieferte
Geschlechterrollen zu durchbrechen, ist das eine; das
eigene Selbst- und Körperverständnis als Mann oder
Frau grundsätzlich in Frage zu stellen, etwas anderes. (…)“

Manuela Schwesig, Flyer „Ihr transgeschlechtliches Kind“

Richtig. Wenn ein Kind „untypisches“ Verhalten zeigt, Obacht, vielleicht ist das Geschlecht gar nicht echt! Geschlechtsidentitätsstörung ist eine seltene Erkrankung. Sie lauert nicht in den Stöckelschuhen von Mama und wird nicht von Baggern und Puppen übertragen.

Und warum solche völlig verrückten Regelungen? „Peter-Bärbel“ soll das Gefühl haben, dass das, was er da tut, ganz normal ist. Er soll sich nicht als exotische Ausnahme fühlen: Sein Geschlecht selber wählen, das Geschlecht wechseln, das ist doch nichts Außergewöhnliches! Das machen alle so, keine Sorge! Übrigens ist nicht einmal gesagt, dass Peter das für sich wünscht. Es sind vor allem Politiker, die selbst gar nicht betroffen sind, die dieses Gesetz durchsetzen wollen, gegen jeden Menschenverstand.

Ein Gesetz, das Freiheit vernichtet

Selbstbestimmung ist eine Sache. Das Selbstbestimmungsgesetz ist etwas völlig anderes: Also zur Frage, wem hier etwas weggenommen wird: Jazz Jennings wurde seine Selbstbestimmung genommen, bevor er das Wort aussprechen konnte. Ihm wurde eine unbeschwerte Kindheit genommen. Ihm wurde sein Penis genommen, und die Chance auf ein wirklich erfülltes Sexualleben, die Chance, ein Kind zu zeugen. Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht Eltern, das alles ihren Kindern wegzunehmen. Es ermöglicht auch Kindern ab 14 Jahren, sich selbst all dies wegzunehmen, im Zustand der Pubertät, an den sich fast alle von uns mit Grauen zurückerinnern: Ob der Haarschnitt oder die blau gefärbten Haare, die Emo-Phase mit den Nieten allüberall, der Selbsthass, den man empfand, wenn man in den Spiegel schaute und ein Aknemonster sah, überhaupt den hässlichsten Menschen der Welt: Ich habe bisher mit niemandem gesprochen, der sagt „Meine Pubertät war herrlich. Meine Selbstwahrnehmung war nie besser als damals. Alle Entscheidungen, die ich damals getroffen habe, waren genau richtig. Sie sind das Fundament meines Lebens!“. Nun kenne ich nicht alle Menschen. Vielleicht meldet sich ja auf diesen Blogeintrag jemand.

Es gibt noch eine Handvoll anderer Punkte, die extrem beunruhigend sind an diesem Gesetz, und natürlich könnten mir die Philosophen unter meinen Lesern jetzt vorwerfen, ich würde die tiefe Dimension dieses Bruchs mit der Wirklichkeit nicht behandeln. Da verweise ich auf die oben verlinkten Artikel.

Ich verstehe, dass eine Gesellschaft zum Großteil auf Interessenausgleich besteht. Als Staatsbürgerin habe ich ein Interesse daran, dass das Recht objektiven Parametern unterliegt. Als Katholikin habe ich ein Interesse daran, dass der Staat das Naturrecht achtet, und Wirklichkeit nicht subjektiven Empfindungen unterwirft. Aber ich habe auch kein Problem damit zu einem Kompromiss zu kommen mit Menschen, die das anders sehen. Das gehört zu einem Leben in einer Demokratie einfach dazu. Mehr als ein Kompromiss wäre es gewesen, das Transsexuellengesetz zu novellieren, d.h. zu korrigieren. Damit hätte man ein Gesetz gehabt, dass wirklich nur für den seltenen Ausnahmefall einer schwerwiegenden Genderdysphorie das juristische Geschlecht anpassen ließe. Als Erwachsener. Eigenständig und selbstverantwortlich. Das ist Selbstbestimmung. Das Selbstbestimmungsgesetz hingegen treibt Menschen in die Fremdbestimmung. Es schenkt nicht Freiheit, es nimmt Freiheit.

Ich spreche dich mit dem Pronomen an, das du präferierst. Ich teile mir mit dir eine Toilette. Du wirst von mir nie ein spöttisches Wort hören über deine Entscheidung und Empfindung. Aber ich möchte nicht, dass ein Gesetz Kindern ihr Geschlecht wegnimmt, bevor sie überhaupt wissen, dass sie eins haben. Ich möchte kein Gesetz, das mich, wenn jemand vier Finger hochhält, dazu zwingt, zu sagen und zu glauben, es seien fünf.