Gedanken zu Fiducia Supplicans*

Disclaimer: Winterblues-induzierend, traurig, lang.

Es haben weitaus klügere Menschen etwas über Fiducia Supplicans (im Folgenden: FS) geschrieben und gesagt. Wenn ich mich nun erdreiste, meine Gedanken dazu zu „Papier“ zu bringen, dann vor allem, weil ich Anschuldigungen gegen mich, die im Zuge der Diskussion darüber erhoben wurden, nicht auf mir sitzen lassen möchte. Vielleicht ein bisschen egoistisch, dies meinen Lesern zuzumuten, aber es ist ja niemand dazu gezwungen, diesen Blogeintrag zu lesen.

Unterschiedliche Interpretationen sind legitim

Zum Teil waren die Anschuldigungen gegen mich direkt gerichtet – insbesondere, ich verstünde den Text nicht, würde „Segnen mit Absegnen“ verwechseln und ähnliches. Dies übrigens, obwohl ich an dieser Stelle noch schrieb, dass meiner Ansicht nach nichts Problematisches im Text selbst stünde, sondern dass die Folgen (also: Was man daraus macht) problematisch seien. Man kann nun meinen, dass diese Überzeugung falsch sei – sie zeigt aber nicht an, dass man den Text nicht verstanden habe, denn seine Folgen ergeben sich ja nicht aus dem Text, sondern aus seiner Rezeption, und diese kann niemand sicher vorhersehen. Wie dem auch sei, nach gründlicherer Lektüre kann ich diese Haltung ohnehin nicht aufrechterhalten; aber eins nach dem andern.

Andere Vorwürfe waren allgemeiner gegen alle gerichtet, die sich einer gewissen Lesart nicht anschließen. Diese Lesart ist in Kürze: Durch FS würden Homosexuelle und andere Menschen in irregulären Beziehungen angemessen pastoral begleitet; zudem sei hier den deutschen (und benelux-ischen?) Anliegen einer liturgischen Segnung ein Riegel vorgeschoben, dies sei also eine klare Absage an die „Deutsch-Synodalen“; und wer hier irgendein Problem sehe, sei papstfeindlich, engherzig, unbarmherzig, homophob usw.

Starker Tobak: Es ist eine Sache, eine Interpretation zu vertreten – auch leidenschaftlich und kämpferisch. Eine andere ist es, jeden, der es wagt, eine andere Haltung einzunehmen, mit derartigen Begriffen delegitimieren zu wollen.

Allein über den Drang, jegliche Kritik am Papst als papstfeindlich zu charakterisieren, könnte man einige Artikel schreiben. Dieser Drang ist meiner Ansicht nach ein großes Übel. Kein Papst, auch der heiligste nicht, war perfekt. Wo kämen wir hin, was für eine gehirngewaschene Sekte wären wir, wenn man einem Oberhaupt nicht widersprechen dürfte; was für ein krankes Verständnis von Autorität läge dahinter. Wir sollen kindlichen, nicht sklavischen Gehorsam üben.

Jemandem überdies die Sorge und Liebe absprechen zu wollen, weil man in einer Sache zu einem anderen Ergebnis kommt, ist derart unangemessen, unlauter und übergriffig, dass mir ehrlich gesagt die Spucke wegbleibt.** Ich gebe freimütig zu, dass mich das persönlich trifft. Aber ich denke, ich verteidige hier nicht nur mich selbst, sondern viele andere Wohlmeinende, und das ist auch ein Grund, diesen Post zu schreiben.

Paar ≠ Beziehung: Ein semantisches Husarenstück

Will FS die Absichten des Synodalen Weges in der Frage nach Segnungen homosexueller Paare stoppen? Das weiß ich nicht. Wird die Erklärung das tun? Auch das weiß ich nicht, und es ist leider auch sekundär. Wichtig ist, dass FS ausdrücklich behauptet, man könne Paare segnen, die in einer „irregulären“ Situation leben. Fernández hat mittlerweile in einem Interview mit The pillar einen Unterschied zwischen Paar und Beziehung (union) geltend gemacht. Man segne das Paar, nicht die Beziehung. Ein semantisches Husarenstück, denn ein Paar bestimmt sich aus der Beziehung. Gemeinhin impliziert der Begriff „Paar“, dass sexuelle Anziehung konstitutiver Teil der Beziehung ist; ansonsten sprechen wir gewöhnlich von „Freundschaft“ und „Freunden“.

Das Problem liegt in der großen (mindestens) Zweideutigkeit, die in dieser Formulierung liegt. Vor FS war die Sache glasklar: Ich kann Personen segnen, egal, in welcher Lebenssituation, und damit Gottes Gnade und Hilfe für sie erflehen. Wer von euch hat schon einmal erlebt, dass er zu einem Priester ging, Segen erbeten hat, und der Priester hat erstmal gefragt: „Sie sind aber nicht etwa schwul, oder wiederverheiratet oder ein nicht reuiger Mörder???“? Genau. Niemand. Das gibt es nämlich (so gut wie) nicht***. Insofern ist es einigermaßen erstaunlich, wenn FS sagt: „Wenn also Menschen einen Segen erbitten, sollte eine umfassende moralische Analyse keine Vorbedingung für die Erteilung des Segens sein. Und auch darf von ihnen keine vorherige moralische Vollkommenheit verlangt werden.“ (FS 25). Ich habe noch nie eine solche Analyse erlebt. Es wäre auch einigermaßen schwer durchführbar, wenn der Priester etwa am Ende der Messe zuerst von jedem Teilnehmer einen Fragebogen ausfüllen lassen und auswerten müsste. Mit dem Ausdruck „Paare“ wird indes nahegelegt, dass Beziehungen gesegnet würden, die in ihrer Ausgestaltung nicht dem Willen Gottes entsprechen. Kein einziges Wort in FS beugt diesem Verständnis vor, im Gegenteil, es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es keine Vorbedingung geben darf (was ja auch an sich richtig ist, wenn es sich um Segen für Personen handelt). Ich kann einen Mörder segnen, aber keinen Mord. Ich kann auch sein Messer nicht segnen, wenn ich weiß, dass er vorhat, damit zu morden. Ich kann einen Menschen segnen, aber keine Unzucht, und auch nicht eine Beziehung, die zur Unzucht dient (bzw. ein Paar, dessen Paarsein der Unzucht dient – sorry). Das ist eigentlich nicht schwer zu verstehen, und es ist auch nicht unpastoral. Man segnet den Mörder, damit er die Kraft bekommt, zu bereuen. Man segnet den Menschen, damit er Kraft bekommt, das Kreuz seiner Einsamkeit zu tragen, und nicht in Sünde eine Erfüllung zu suchen, die sie ihm nicht oder nur oberflächlich bereiten kann.

Diese Zweideutigkeit bleibt in FS bestehen, selbst wenn Fernández damit die Segnungsfeiern, die der Synodale Weg plant, abräumen sollte. Nehmen wir an, er täte es: Würden die afrikanischen Bischöfe damit leben können, dass er eine Hintertür kreiert hat, um Polygamie und Promiskuität, zwei Geißeln Afrikas, im Bewusstsein der Menschen dort als segenskompatibel zu betrachten? Mit Sicherheit nicht. Können wir damit zufrieden sein, weil ja Unzucht bloß nichtliturgisch potentiell gesegnet wird? Ähm.

Verwirrung statt Klarheit

Es gibt keine wohlwollende einleuchtende Erklärung dafür, wieso man im Glaubensdikasterium eine derart schlampige Wortwahl benutzt, wenn man keine Zweideutigkeit, sondern Klarheit schaffen wollte. Mit diesem schmerzlichen Fragezeichen müssten eigentlich alle leben, ganz egal, wie sie ansonsten zu der Erklärung stehen. Sie weg-gaslighten zu wollen, indem jeder, der diese Unklarheit benennt, als Papstfeind und Pharisäer betitelt wird, ist unzulässig.

Die Unklarheit ist auch deshalb bitter, weil sie schwache Seelen im Glauben erschüttert. Das ist keine Übertreibung, ich habe schon entsprechende Nachrichten bekommen, die mir – der engherzig Unbarmherzigen – im Herzen wehtun: Wenn ein frischer Konvertit den Glauben verliert, weil er im Heiligen Vater einen Schwindler zu sehen glaubt, ist dieser Mensch nicht wert, dass man sich um ihn sorgt und ihn liebt? Oder untersteht man sich, diese Sorgen arrogant-paternalistisch wegzuwischen, nicht ernst zu nehmen, weil ein Neukatholik nicht Zielgruppe der päpstlichen Barmherzigkeit ist?

Zum andern ist sie gegenüber jenen, die nun „innovativ“ (Fernández) gesegnet werden sollen, verantwortungslos. Nicht nur homosexuelle Neigungen, auch ungewollte Ehelosigkeit ist ein schweres Kreuz. Beides kann zu einer abgrundtiefen, erschütternden und existenziellen Einsamkeit und Verlorenheit führen. Es ist völlig nachvollziehbar und verständlich, dass sich jene, die nicht über ein Gewissen verfügen, das ihnen ein Unterlaufen dieses Kreuzes kategorisch verbietet, danach sehnen, dass man ihre Versuche, zu erlangen, was gut ist (denn sie streben ja nicht nach Unzucht, sondern nach Liebe!) gutheißt. Hinzu kommt derzeit ein individualistischer Trend in der Glaubensverkündigung, in einer grenzenlosen Überdehnung des Forum Internum dem Einzelnen als erlaubt darzustellen, was seiner Ansicht nach in Ordnung ist (mir wurde mal von einem Priester erklärt, Sünde sei nur, was ich als Sünde empfände). Man suggeriert also, man sei selbst eben in einer solch exzeptionellen Situation, dass diese oder jene sündhafte Tat nicht nur weniger schuldhaft, sondern nachgerade erlaubt sei. All dies und mehr zusammengenommen ist also die Gefahr, durch Segnung von Paaren, die nicht aufrichtig nach Enthaltsamkeit streben, auch bei den Betroffenen für Verwirrung zu sorgen, wahnsinnig groß.

Niedertreten statt Aufrichten

Noch ein Wort übrigens zu diesem Streben nach Enthaltsamkeit: Keinen Sex zu haben, wenn er nicht erlaubt ist, ist sicher verdienstvoll. Aber es ist nun wirklich auch keine heilsame Situation, wenn man dennoch innerlich die ganze Zeit letztlich danach strebt und sich bloß davon abhält, es auszuführen. Mir scheint es nicht besonders nett, Menschen, die nicht miteinander verkehren dürfen, vorzugaukeln, es sei gut, in einer Situation zu verbleiben, die ja wohl mitunter die Nerven zum Zerreißen bringen muss. Die Kirche würde wohl hoffentlich einem Alkoholiker nicht suggerieren, es sei heilsam für ihn, sich mit einer Flasche Wodka in einem Zimmerchen einzuschließen. Wieso ermuntert man solche Paare also nicht, im Falle von Homosexualität die Partnerschaft aufzulösen, und sich, wo möglich, in eine Freundschaft hineinzuentwickeln; im Falle von sonstigen Partnerschaften, diese sakramental zu besiegeln oder ebenfalls freundschaftlich aufzulösen? Überhaupt scheint mir Anleitung zu Freundschaft dringlich, nichts scheint in unserem Zeitalter so selten geworden zu sein wie echte, intime Freundschaften. Und sie erschienen mir besser geeignet, um die große Traurigkeit zu ertragen, die entsteht, wenn die Erfüllung von Sehnsucht und Trieb versagt bleiben. Aber da müsste man ja selbst ran: Es ist freilich bequemer, den Menschen der Sünde und Verzweiflung zu überlassen, als sich um ihn zu kümmern. Natürlich mag es Paare geben, die ein gemeinsames Ringen um Keuschheit gut hinbekommen. In diesen Fällen kann immer noch jeder der Partner einen Segen erbitten und erhalten.

Schließen möchte ich mit einem Hinweis auf eine Gruppe von Menschen, die immer vergessen wird; ich habe sie oben bereits kurz erwähnt. Es sind die Menschen, denen ihr Gewissen verbietet, gegen Gottes Gebot zu handeln, und die dieses Kreuz mal bravouröser, mal weniger bravourös meistern. Diese Menschen werden durch FS gelinde gesagt ungespitzt in den Boden gerammt. Ihnen wird hier suggeriert, dass ihr Kampf, ihre Leiden, ihre hoffnungslose Situation völlig unsinnig und unnötig seien: Geh und vögel dich glücklich, sagt der Jesus aus FS zur Ehebrecherin – nein, freilich darf man das so drastisch nicht sagen, es wird ja nicht zur Sünde aufgefordert! Das Eheverständnis wird doch so oft bestärkt in diesem Schreiben! In der Tat. Aber all diese Worte bringen wenig, wenn zugleich deutlich gemacht wird, dass ein wie auch immer geartetes, noch so laxes Streben nach Keuschheit völlig ausreicht, dass also kein Grund besteht, sich windend vor Schmerzen durchs Leben zu kämpfen, weil sich ja jeder einen oder eine bel/le ami/e zulegen kann, mit dem man „gemeinsam nach Keuschheit streben“ – und menschentypisch freilich oft genug dabei fallen kann. Ich habe mich in diesem Blog schon verschiedentlich darüber aufgeregt, dass man z.B. jene, die verlassen werden, und dem Eheband treu bleiben, im Stich lässt, dass niemand ihr Leiden beachtet, und dass sich die Kirche nicht um sie kümmert. Aber ein derart perfides, hinterhältiges Hintergehen dieser Menschen hätte ich ehrlich gesagt nicht für möglich gehalten.

Heiliger Karl Lwanga und Gefährten, bittet für uns! Heilige Edith Stein, bitte für uns! Heiliger Thomas Morus, bitte für uns!

Fußnoten

* Für den echten klassisches-Latein-Vibe: „Supplicans“ nasal aussprechen. Hach.

** Ich würde z.B. auch Grünen nicht absprechen, dass sie tatsächlich den Planeten retten wollen, oder Kommunisten, dass sie Gerechtigkeit ersehnen: Obwohl ich Prämissen, Mittel, Durchführung, ja, so ziemlich alles daran für falsch halte – die Motive sind gemeinhin lauter (abgesehen von Selbstsucht etc., die sich, wie u.a. Grignion de Montfort feststellt, in nahezu all unser Ansinnen hineinmischen; aber das entspricht unserer gefallenen Menschennatur: Es verdunkelt unsere Motive, macht sie aber nicht völlig ungültig).

*** Der Vollständigkeit halber: Ich gehe davon aus, dass vereinzelt durchaus Priester Segen vorenthalten (haben), insbesondere, wenn die Sünde des Bittenden offensichtlich ist – sprich z.B. bei ledigen Müttern. Solche Verletzungen gehören sicher nicht in den Bereich antikirchlicher Mythen, sondern sind Ausdruck z.B. eines falschen Sünden/Reinheitsverständnisses, von Bigotterie etc. Ich habe mal in einer Dokumentation, in der ein Homosexueller sich in seinem münsterländischen Dorf geoutet hat, mit Schaudern gehört, wie der dazu befragte greise Pfarrer seiner Missbilligung Ausdruck verlieh, und auf die rhetorische Frage, ob Gott denn nicht jeden Menschen liebe, etwas hilflos und sichtlich überfordert antwortete: „Ja, aber er liebt eben nicht jeden Menschen gleich (viel).“ So etwas ist schlimm, egal, wie selten es auftreten mag. Insofern ist es richtig und wichtig, darauf hinzuweisen, dass es so nicht geht. Andererseits ist es auch unfair gegenüber all den menschenfreundlichen, achtsamen Seelsorgern aller Jahrtausende, nicht deutlich zu machen, dass es sich hier um unrühmliche Ausnahmen handelt.