Gib dir ’nen Ruck! #1- Fasten im Advent

Der Advent ist heutzutage zur Vorweihnachtszeit oder gar Weihnachtszeit verkommen. Eigentlich ist er aber eine zutiefst eigene liturgische Zeit, mit einem Gepräge, das es sonst im Kirchenjahr nicht gibt. Wir erwarten nicht nur die Geburt des Jesuskindes, wir erwarten Jesu Wiederkunft am Ende der Zeit. In diesem Sehnen vereinen wir uns mit dem Alten Testament und seiner Sehnsucht nach dem Erlöser. So sind es zentrale Worte des Alten Testaments: „Tauet, ihr Himmel, den Gerechten“ (nach Jes, 45,8), um die sich der Advent zentriert. Diese Erwartung, Sehnsucht, das Bewusstsein des eigenen Zustandes im Tränental, der Bußruf Johannes‘ des Täufers, geben dem Advent etwas Hartes, Herbes; was, verbunden mit dem biedermeierlich-bürgerlichen Wonneadvent eine irgendwie absurde aber auch wunderschöne Verbindung eingehen kann.

In der Erwartung des Heilands ist nur eine Haltung angebracht: Die des Wachens und Betens. Das ist im Advent auch ganz besonders stimmungsvoll und schön, weil in der dunklen Jahreszeit nichts so sehr berührt wie z.B. die Kerzen in einer frühmorgendlichen Roratemesse und wie überhaupt das Licht, in dem wir ein Bild für Christus und das Heil erblicken. Eigentlich ist diese Zeit, ihrem Buß- und Vorbereitungscharakter gemäß, Fastenzeit. So wird es in der orthodoxen Kirche immer noch gehandhabt, als 40-tägiges Fasten. Dies erklärt übrigens auch, wieso wir an St. Martin so viele Bräuche um aufwendiges Essen und Süßes haben: Danach beginnt die Fastenzeit, wenn man bis Weihnachten 40 Tage fasten will. Seit 1917 ist den Katholiken das adventliche Fasten nicht mehr vorgeschrieben, aber nirgends steht, dass man Gutes lassen soll, nur, weil es nicht verlangt wird. Wer fastet, der legt die Energie, die er nicht ins Essen und in den Genuss legt, in etwas anderes: In die Umkehr, ins Gebet, in die tätige Nächstenliebe etc. In diesem Fall legt man auch noch ein gar nicht geringes Zeichen ab, denn während alle Welt Weihnachtskekse in sich hineinschaufelt, übt man sich im Warten, in der Geduld, in der Enthaltsamkeit. Und Vorfreude ist tatsächlich die schönste Freude: Wer erlebt, wie gut das erste Plätzchen schmeckt, wenn man es nach der Vesper des Heiligen Abends isst, oder wie man das Fastenbrechen nach der Christvesper so richtig zelebriert, der wird schnell merken, dass Freude und Genuss viel intensiver und bereichernder sind, wenn man sich durch Verzicht ein wenig darauf vorbereitet.

Nun ist es natürlich etwas weltfremd, zu fordern, man solle die Adventszeit so begehen, wie die (große) Fastenzeit – nicht, dass es nicht ginge, es geht sogar sehr gut, aber was soll’s. In der Fasten- und Passionszeit liegt der Akzent ja sehr stark auf der Trauer angesichts der Leiden Christi, hier aber ist es die Umkehr, die wir vor allem freudig antreten, weil wir gewiss sind, dass Christus geboren ist und in unserer Seele geboren werden will. Wir bereiten uns auf diese Geburt vor. Allerdings – unsere ältesten Adventslieder haben durchaus auch das Leiden des Erlösers im Blick, denn er kommt ja, um uns durch sein Leiden und Sterben und durch seine Auferstehung zu erlösen. Meist kommt dieser Zusammenhang aber erst ab Strophe vier oder fünf, und die existieren im Bewusstsein eines guten Katholiken naturgemäß meistens nicht, es sei denn, der Organist der Gemeinde ist derart „pädagogisch“ unterwegs, dass er den Gläubigen auch Liedanweisungen wie „Strophe 1-2 +7“ zumutet, oder so.

Eigentlich plädiere ich ja für die Anpassung der Welt an katholische Verhältnisse: Es ist nämlich so, dass der Winter erst nach Weihnachten so richtig ungemütlich wird. Würde man den Advent als Advent feiern und dann erst mit der Plätzchenoffensive beginnen, könnte man mit der eigentlichen Weihnachtszeit bis Anfang Februar dem Winter ein warmes, lichterfülltes, feierliches Gepränge geben – und dann ist das Schlimmste auch schon ‚rum, Karneval, Fastenzeit und schon winkt das nächste (und eigentliche) liturgische Großereignis des Jahres. Man könnte also die wunderschöne Stimmung viel länger erhalten, und hätte nicht am 24. Dezember schon alles satt (im wahrsten Sinne des Wortes), denn die ganzen Genüsse kämen ja erst. Ich glaube nun nicht, dass man diesem Vorschlag, so vernünftig, klug und richtig er ist, folgen wird, also müssen wir Katholiken damit leben, dass der Rest der Welt eine ganze liturgische Zeit ausfallen lässt. Im evangelischen Bereich gibt es die schöne Aktion „Abwarten und Tee trinken“, die darauf hinweist, dass Advent die Zeit der Erwartung ist, und genau das sollte man tun. Wie aber kann man den Spagat zwischen adventlicher Fastenzeit und Glühweintaumel geistlich erfüllend und sinnvoll bewältigen?

Ich habe dazu in Teil 2 einige Praxistipps zusammengestellt. Vorher aber noch ein kurzer allgemeiner Exkurs für die, die nach der Lektüre dieser Zeilen immer noch nicht glauben, dass Fasten gut ist:

Ich erlebe immer wieder recht verblüfft, dass in einer Zeit, in der Menschen viel Geld mit ausgebufften Ernährungskonzepten verdienen, das einfachste Ernährungskonzept: „Von allem ein bisschen, von nichts zu viel und ab und zu mal Phasen zur Entschlackung“ kaum Anhänger findet. Gar nicht so selten höre ich auch im katholischen Bereich Ablehnendes zum Fasten. Und zwar sowohl im liberalen Lager („So was muss man doch heute nicht, Gott hat doch nix gegen Genuss“…) als auch aus dem konservativen Lager – dort wird Fasten dann eher als lästige, unangenehme Pflicht betrachtet, der man so minimalistisch wie möglich nachkommt, und angesichts der man nach jedem Schlupfloch („fremder Tisch“) sucht, um doch zu schlemmen (zur Klarstellung: Ich habe nix gegen Ausnahmen, Ich bin Kölner. Das ist ein andauernder Ausnahmezustand. Aber ihr wisst schon, was ich meine…)

Dabei muss man dem Menschen von heute in der westlichen Hemisphäre einfach mal sagen: Man kann gar nicht genug fasten. Wir sind nämlich immer und ständig von und mit allem überfüllt. Bevor wir aber nicht leer werden, kann uns Gott nicht füllen. Ich treffe oft Menschen, die unter Fasten verstehen, eine Sache, die sie sich abgewöhnen wollen, für vier oder sieben Wochen abzulegen. Das ist nicht falsch oder schlecht, aber es ist ausbaufähig. Zum einen ist es eine Verkürzung, Fasten als Verzicht auf Überflüssiges zu sehen. Fasten war zuerst immer auch Verzicht auf Notwendiges! Jesus, unser ultimatives Vorbild, hat nicht von Dattelkuchen oder Wachteln gefastet, sondern vom Essen und Trinken. Aha, da ist er ja, der katholische Masochismus. Aber nein! Auf zweierlei Weise nützt uns der Verzicht auf Notwendiges: Wir erleben wieder unmittelbarer, was eigentlich wirklich notwendig ist. Und wir übertragen das leibliche Empfinden auf unseren Geist: Sollten wir zwischenzeitlich geistlich lau geworden sein (Gott behüte!), dann erfahren wir auf körperlicher Ebene, wie notwendig uns eigentlich der ist, der allein und einzig wirklich und wahrhaftig notwendig ist, Gott nämlich. Man muss übrigens gar keine Angst haben, sich zu Tode zu hungern. Tendenziell neigen wir in der instagramisierten Welt zu einem durchgängigen Zuwenig an Herausforderung, sei es geistig oder körperlich. Wir leiden an zu wenig Aktivität, wir bleiben weit unter unseren Möglichkeiten, was wir evolutiv an Fähigkeiten entwickelt haben. Die Gefahr, dass man sich in seinem Fastenvorsatz übernimmt, ist für einen Normalgläubigen relativ gering. Wenn mich z.B. meine veganen Atheistenfreunde fragen, wie ich faste, und ich sage „kein Fleisch, keine Süßigkeiten, keine Milchprodukte“, dann werde ich groß angeschaut, als hätte ich mich gerade zum Hungertod entschlossen. Dabei ist das deren Normaldiät! Mein Bruder hat das mal zum Anlass genommen, mir ein veganes Kochbuch zu schenken – seit dem esse ich in der Fastenzeit eigentlich verboten gut, weil abwechslungs- und einfallsreicher als den Rest des Jahres.

Auch rein körperlich ist ein ordentliches, umsichtiges Fasten eine Entschlackungskur, die es in sich hat, und innerhalb weniger Tage unser Wohlbefinden signifikant erhöht. Ich möchte also wirklich dazu ermuntern und ermutigen, es einfach mal auszuprobieren. Dabei geht es nicht um Höchstleistung à la „höher, schneller, weiter“, sondern um „weniger ist mehr“. Das Bauchgefühl wird einem schon helfen, das richtige Maß zu finden!