Chartres sonne! – Der Praxisguide für Erstwallfahrer.

Wer sich zum ersten Mal auf den Weg nach Chartres macht, kann einige Fehler machen, die sich unterwegs sehr unangenehm auswirken können. Da man, wenn man öfter dabei war, nicht mehr darüber nachdenkt, kann man sich oft in die Verwirrung eines Erstwallfahrers nicht hineinversetzen und vergisst wichtige Infos. Hier trage ich mal ein bisschen zusammen…Wer nach dem Lesen noch Lust hat, kann sich noch anmelden! Noch knapp vierzig Tage habt ihr Zeit!

Als erstes ist es natürlich sinnvoll, die Infos auf der Homepage gut durchzulesen. Ansonsten versuche ich mal hier ein wenig zusammenzutragen, was eine Rundum-Sorglos-Wohlfühl-Wallfahrt sicherstellen kann.

Zuerst das Wichtigste: Man kommt durch. Auch wenn du nicht das perfekte Schuhwerk oder die perfekte „Ausrüstung“ hast, alles, was du brauchst, sind gesunde Beine, den Umständen entsprechend gesunde Füße und Freude (und Essen. Und eine große Plastiktüte. Und…)

Regel Nr. 1: Keine Panik

Wer das erste mal dabei ist, ist oft zum falschen Zeitpunkt gestresst und zum ebenfalls falschen Zeitpunkt zu langsam. Der Stress entsteht vor allem dadurch, dass man nicht genau weiß, wie Dinge „funktionieren“: Wie soll ich unter tausenden Taschen meine wiederfinden? Wann läuft mein Chapitre los? Ich habe meine Gruppe verloren, oh nein! All das ist kein Grund zur Panik. Man findet seine Leute immer wieder, man muss halt weiterlaufen, das Gepäck findet man lustigerweise ziemlich schnell, und man muss einfach nur wissen, wie das eigene Chapitre heißt, es gibt ständig Lautsprecherdurchsagen, die uns aufrufen. An diesen Stellen hat es also keinen Sinn, panisch herumzurennen und Angst zu haben. Auf der anderen Seite muss man einfach nur schnell und auf Zack sein, wenn man abends im Lager ankommt: SOFORT Platz im Zelt sichern (oder Platz zum Aufbauen des Zeltes), sein Zeug holen. Wenn Anfänger erschöpft ankommen und sich erst einmal eine halbe Stunde ins Gras legen, ist es dunkel, wenn sie sich stöhnend und ächzend auf die Suche nach dem Gepäck machen, und es wird schwierig, die Zicken im Mädchenzelt davon zu überzeugen, noch etwas zu rutschen, um Platz zu machen.

Gepäck und Plastik

Das Gute ist: Für den Tag brauchst du nur einen Tagesrucksack, in den du Essen (viel, viel, viiiiiiiel Esse, s.u.) packst, dein Gebetbuch, deinen Rosenkranz, ne Jacke usw. Der Rest bleibt im großen Gepäckstück, das voraustransportiert wird. Dorthinein kannst du alle Annehmlichkeiten packen, die dir den Abend erwärmen, versüßen, erleichtern, oder was auch immer.

Der Gepäcktransfer funktioniert so: Du kannst ein riesiges Gepäckstück mitnehmen, das in Lastwagen verladen und zum Rastplatz für die Nacht gefahren wird. Dort werfen die fürsorglichen, aufmerksamen Helfer das Gepäck einfach raus. Auf die Wiese. In den Kuhdung. In die Wasserlache. Egal. Wenn das Gepäck am Vormittag ankommt, es zu regnen beginnt und du abends erschöpft und müde deinen angenehm feuchten Schlafsack aus dem Gepäckstück nimmst, tu nicht so, als hätte ich dich nicht gewarnt. Gegen dieses Horrorerlebnis hilft der beste Freund des Menschen: Plastik. Meine persönliche Strategie (aber ich bin auch kein Pfadfinder, sondern ein durchschnittlich dekadenter Weichling) ist, die Inhalte des Gepäckstückes in Plastiktüten zu packen (womit man, klug gepackt, auch sein Zeug schneller findet), und in Paris vor dem Verladen der Gepäckstücke in die Lastwagen einfach das ganze Gepäckstück in eine große Mülltüte zu packen. Man sollte dann nicht vergessen, irgendwas zum Kennzeichnen zu haben, damit man das Stück schnell wiederfindet. Offiziell sollen alle deutschen Gepäckstücke mit einem schwarzen Band gekennzeichnet werden – hab ich noch nie gesehen. Aber man kann irgendeinen Gepäckanhänger nehmen. Oder man packt so unorganisch, dass der große Rucksack eine einmalige Form annimmt, die man unter Hunderten wiedererkennt ;).

Also, wichtigstes Gepäckstück Nr.1: Eine Rolle große Mülltüten. Diese Mülltüten kann man auch auf dreckigem Untergrund ausbreiten, man kann also einfach immer eine dabei haben…

Wellness

Für die Deutschen ist mit das Unangenehmste, dass wir die Nacht hindurch busfahren und dann am Morgen gerade rechtzeitig zur Messe in Notre-Dame ankommen, und dann geht es auch schon los. D.h. man sollte zusehen, dass man so komfortabel wie möglich reist: Kissen, Decke, Oropax, Schlafmaske, oder was immer man braucht, um halbwegs erholt durch die Nacht zu kommen. Pro-Tipp: Die Predigten sind sehr lang und eignen sich perfekt zum Powernapping.

Gliedmaßen

Chartres ist hart für die Füße. Es ist sinnvoll, für das Lager abends leichte Schuhe mitzunehmen, mit denen man auch in geschundenem Zustand noch herumhumpeln kann. Wirklich schlimm ist aber meistens erst der Morgen danach. Darum: Das große Gepäckstück im Zelt an das Fußende des Lagers legen und Beine hochlegen. Dann schwellen Bein und Füße nicht so schlimm an!

Regenschirm

Man sollte den Regenschirm nicht vergessen – und zwar als Sonnenschutz. Manche Menschen tragen gerne Hüte, aber für Menschen z.B. mit meiner Mulattenwolle auf dem Kopf oder ungünstiger Kopfform kann ein Hut extrem nervig sein. Ein Schal oder eine Mütze schützen oft nicht genug gegen die Sonne. Ein Regenschirm ist dagegen perfekt und macht heiße Nachmittagsstunden erträglich. Als Regenschutz eignen sich am besten ein paar Einwegplastikponchos. Billig und effektiv.

Sanitäranlagen

Die Sanitäranlagen (außer zum Waschen) sind okay. Wirklich. Was man nur jedes Jahr wieder vergisst – es gibt kein Licht auf den Toiletten. Darum ist eine kleine Taschenlampe hilfreich (ist sie sowieso, für abends im Zeltlager).

Pausen – die französischen 10 Minuten

Ein allgemeines Ärgernis auf der Wallfahrt sind die Pausen. Sie sollen theoretisch 10 Minuten dauern. Allerdings ist alles so arg getaktet, dass, wenn die eigene Gruppe nicht auf die Minute genau dann ankommt, wenn sie laut Plan ankommen soll, eben nur drei bis sieben Minuten hat. In dieser Zeit muss man sich hinsetzen, wiederaufstehen, und af Toilette gehen. Natürlich unmöglich. Perfektes Pausentiming gehört also zu den Optimierungsaufgaben des Pro-Pilgers. Z.B. sind viele Rastplätze (z.B. der erste in Paris) ziemlich langgestreckt und haben Sanitäranlagen an beiden Enden. Beispielszenario erste Rast: Du kommst an, siehst als erstes die Toiletten, stellst dich an. Deine Gruppe geht weiter zum ihr angewiesenen Rastplatz weiter vorn. Du stehst 10 Minuten an, kommst raus und deine Gruppe ist schon einen Kilometer weiter, weil ihr schon zum Weiterlaufen aufgerufen wurdet, als du noch weit hinten anstehen musstest. Da du fünf Minuten brauchst, um nur den Rastplatz zu queren, musst du also jetzt rennen, um deine Gruppe wiederzufinden. Der Pro-Pilger überquert den Rastplatz, nimmt unterwegs zwei Äpfel mit, überholt den Platz seiner Gruppe und geht zu den Toiletten am anderen Ende des Rastplatzes. Da sind nicht so viele Leute, weil viele nicht checken, dass es zwei Standpunkte für Sanitäranlagen gibt. Wenn er wieder rauskommt, läuft seine Gruppe dann gerade an ihm vorbei und man hat Stress gespart. Alles klar?

Blasenpflaster

Muss man mitbringen. Gibt es sonst nicht.

Socken

Tipp auf der Seite der englischen Wallfahrer: Statt des dogmatischen Kampfes zwischen Wollsocken- und Baumwollsockenbefürwortern einfach lieber zwei dünne Paar denn ein dickes Paar anziehen – die reiben dann gegeneinander, nicht zwischen Fuß und Schuh und das Blasenrisiko wird deutlich reduziert. War ein sehr guter Tipp.

Essen

Zu den Mahlzeiten wird „Brot“ zur Verfügung gestellt. Wer schon in Taizé war, weiß um die harten, nicht schmackhaften französischen „Brötchen“. Sie sind allerdings immerhin besser als die Instantgemüsebrühe (abends) und der widerliche Kaffee (morgens), den man bekommt, wenn der Kakao schon aus ist. Quintessenz: Nimm Essen mit. Wurst, Käse (kein Babybel – böse nach stundenlanger Sonnenbestrahlung des Rucksacks…), Trockenfrüchte, Knäckebrot etc.

Pro-Tipp: Man kann die ganze Wallfahrt über Trockenwurst in sich hinein stopfen und trotzdem hungrig sein. Es empfiehlt sich, auch Essen mitzunehmen, das man wirklich als „Mahlzeit“ empfindet. Z.B. Fertigsalate in Konserven (natürlich Sachen ohn Mayonnaise oder so) und für den ersten Tag kann man ja auch noch Sachen mitnehmen, die nicht megagut haltbar sind.

Wasser

Man wird während der gesamten Wallfahrt ständig zum Trinken aufgefordert und in regelmäßigen Abständen bekommt man Wasserflaschen in die Hand gedrückt oder kann seine eigenen auffüllen. Man sollte also selbst genug Wasser mitnehmen um die Nacht im Bus zu überstehen und auch im Tagesrucksack für die ersten Stunden der Wallfahrt welches mitnehmen. Ab der ersten Rast bekommt dann aber auch schon Wasser von den Helfern.

Wenn man nicht mehr kann?

Muss man elend verrecken. Ist doch klar. Scherz. Du setzt dich an der nächsten Station mit Helfern hin und wirst in Autos verladen und zum nächsten Rastplatz gebracht. Ein guter Moment, um mit Wallfahrern aus anderen Ländern in Kontakt zu kommen. Wenn die kurze Pause gereicht hat, kann man weiterlaufen, wenn nicht, wird man bis zum nächsten Rastplatz usw. gefahren, bis zum letzten Rastplatz des Tages.

Kathedrale

Die Kathedrale in Chartres wird restauriert und ist zu klein für alle Wallfahrer. Daher entscheidet die Reihenfolge der Chapitres am letzten Tag, ob man hineinkommt. Ein Ticket, um die Abschlussmesse drinnen zu erleben, ist, Fahnenträger zu sein. Wer also irgendein Banner hat, mit Landesflagge oder Heiligem, das er mitschleppen möchte, kann eines mitnehmen (oder die offiziellen Banner der Chapitres schnappen) und mit in die Kirche einziehen. Man muss dann natürlich die Messe über stehen ;). Alles hat seinen Preis.