L’amico Fritz oder Die Selbstoffenbarung Gottes

DISCLAIMER Dieser Beitrag enthält #AnalogiendesGrauens.

Immer mal wieder stolpere ich über Menschen, meist von der Akademikerfront, die das Christentum als evolutive Religion begreifen und alle möglichen Phänomene auf die Übernahme heidnischer Praktiken zurückführen. Standardthemen sind da z.B. die Heiligenverehrung, die als bruchlose Übernahme der Vielgötterei angesehen wird, auch Maria, die angeblich nur eine christliche Fassung von Kybele oder Ishtar oder Isis oder Venus ist, kommt immer mal vor, die jahreszeitliche Platzierung unserer Feste ist beliebter Stoff für derlei Fantasien, und schließlich sind es auch die Jungfrauengeburt und der Menschensohn Christus, die als Reinkarnationen heidnischer Topoi aufgefasst werden.

Leider leugnen Menschen, die so etwas behaupten, den christlichen Glauben – natürlich ohne sich darüber klar zu sein. Bewusste Häresie ist ja heute ein viel geringeres Übel als das alltägliche Leugnen von Glaubenswahrheiten, weil man einfach noch nie wirklich dahintergestiegen ist, was sie so alles beinhalten.

Wie komme ich zu solch einer steilen Behauptung? Nun, das Christentum ist laut Selbstdefinition die Erkenntnis über die Offenbarung Gottes in Jesus Christus und über die Erlösung, die uns in ihm zu teil wird. Aus dieser Glaubenserkenntnis heraus gewinnt die christliche Gottesbeziehung ihre einzigartige Qualität: Anders als die Samariter beten wir den an, „den wir kennen“, nicht den, den wir nicht kennen. Dazu müssen wir aber die Offenbarung annehmen. Da ich ja Anhänger der #AnalogiedesGrauens bin, hier ein einfaches Beispiel: Jemand erzählt mir von Fritz, und dass das mein Traummann wäre. Dann kommt jemand, von dem ich mir laut Beschreibung vorstellen könnte, dass er Fritz wäre. Er sagt aber, er hieße Walter. Dann ist klar: Es ist nicht Fritz. Der nächste, bei dem es zutreffen könnte, stellt sich dann mit den Worten vor: „Ich bin Fritz.“ Das kann ich aus mir heraus nicht belegen, ich brauche die Selbstoffenbarung Fritzens. Wenn ich dann eine Beziehung zu Fritz eingehe, beruht diese darauf, dass er sich mir zu erkennen gegeben hat. Also: Die Menschen mögen immer und zu allen Zeiten nach ihrem Traummann-Gott die Hände ausgestreckt haben, wissend, dass er irgendwo da draußen sein muss: Aber sie konnten ihn nicht so erkennen, wie ihn Christen erkennen. Dies liegt aber nicht im Verdienst der Christen, die irgendwie besser wären, sondern daran, dass sie die Selbstoffenbarung Gottes anerkennen. Wenn Jesus – unser Fritz in der Analogie des Grauens – sagt, dass er der Sohn Gottes ist, dann antworten wir mit „Amen“, nicht mit „Nee, stimmt doch gar nicht, du bist bloß aramäischer Wanderprediger.“

Unsere Gottesbeziehung ist kein rein mythisches Geschehen, sondern auch ein ganz wirkliches. Will ich es als ausschließlich mythisch betrachten, dann sehe ich den Menschen zwar als religiöses oder gar urreligiöses Wesen, ich meine aber, dass Religion einfach nur ein Mittel ist, eine menschliche Grunddisposition auszudrücken. Diese allgemeine Religiosität lehnt implizit das Moment der Beziehung ab, weil sie Religion als Handeln des Menschen betrachtet, ohne Antwort dessen, auf den sie sich bezieht. Diese Haltung vereint Larifari-Katholiken mit Atheisten, die ja auch davon ausgehen, dass Religion menschliches Handeln (in dem Fall: Idiotisches, illusionäres menschliches Handeln) ist. Das ist sie auch immer irgendwo, und damit auch immer irgendwie Stochern im Unendlichkeitssand, schließlich ist das, wonach wir streben, unendlich und unfassbar, weshalb man es nie ganz erfassen oder in den Griff bekommen kann. Wer aber als Christ aus dem Sachverhalt, dass das Unendliche eben unendlich ist, schließt, es sei egal, wie man seine Religiosität lebt, der wirft sich freiwillig hinter das zurück, was Gott selbst uns mitteilen wollte: Ist ja schön und gut, was das Christentum lehrt, aber ich will lieber nicht mehr wissen als ich wissen kann.

Schön und gut, was hat das mit den Beispielen von oben zu tun? Folgendes: Das Christentum ist radikal neu, nicht, weil die Christen anders religiös veranlagt sind, als andere, sondern, weil seine Grundlage nicht das Sehnen des Menschen nach Gott, sondern Gottes Sehnsucht nach uns ist (ich hoffe jetzt mal, dass das kein häretischer Satz ist.). Wer also meint, das Christentum habe einfach bloß heidnische Bräuche inkorporiert und mit christlicher Lackschicht darüber weitergeführt, der geht eigentlich davon aus, dass das Christentum eine Art Weiterentwicklung von Religiosität ist, die aber die Grundlagen dieser menschlichen Eigenschaft nicht verleugnen konnte, und deshalb bestehende „Religiosität“ eingliedern musste oder wollte. Andersherum ist es richtig: Das Christentum ist die Auflösung des Rätsels (soweit es auflösbar ist), nicht die Formulierung des Rätsels mit anderen Worten. Das radikal Neue enthält auch die althergebrachte Qualität des Menschen, denn eine Beziehung ist eben keine Einbahnstraße. Darum bringt der Mensch durchaus alle seine Sehnsüchte und Topoi ein, die er schon seit Jahrtausenden hatte, obwohl er noch nicht (bzw. seit dem Sündenfall nicht mehr) wusste, an wen sie sich eigentlich richten. Christliche Bräuche sind also ihrem Wesen nach immer völlig anders als vorchristliche heidnische, auch, wenn sie formal ähnlich aussehen. Wo das Christentum vorchristliche Ideen aufnimmt, da gibt es dem Menschen nur eine Bestätigung dafür, dass sein Sehnen und Streben richtig und gut war, auch, wenn er noch gar nicht wissen konnte, auf wen es sich bezieht. Damit setzt sich das Christentum vom Islam ab (und damit sind eigentlich auch radikale evangelische Strömungen ad absurdum geführt): Es sagt nicht, dass alles vor der Offenbarung schlecht gewesen sei, es rückt nur das Vorangegangene ins rechte Licht. Wer also eine Muttergottheit angebetet hat, der soll wissen, dass die Eigenschaften, die er da verehrt hat, verehrungswürdig sind, und dass die Mutterschaft tatsächlich wichtig und großartig ist. Aber im Licht der Offenbarung ist Gott dreifaltig Einer und unser Vater. Im Licht der Offenbarung darfst du also keine Muttergottheit anbeten – die Muttergottheit hatte viele wahre Aspekte, aber sie war nicht die Wahrheit.

Wer nun etwa Maria für eine Fassung dieses Muttergottheitstopos betrachtet, der leugnet die historische Qualität des Christentums, bzw. geht davon aus, dass ein dicke Mythosschicht über die Historie gelegt wurde. Tatsächlich ist Christentum in gewisser Weise Entmythologisierung, weil es die Realität, die außerhalb unserer Erkenntnisfähigkeit liegt, als maßgeblich für den Glauben betrachtet. Diese Realität wird zwar nicht komplett durchdrungen, aber als solche erkannt. Somit ist der Mythos erst als solcher greifbar. Weiterhin leugnet der, der das sagt, die tatsächliche, echte, wahrhaftige Sohnschaft und Gottheit Jesu. Er geht nicht mehr von einer Beziehung zwischen Gott und Mensch aus, in der Gott liebt und sich offenbart und der Mensch zurückliebt, sondern rein vom menschlichen Bedürfnis, mütterlichen Aspekten anbetend zu begegnen.

Dasselbe gilt in höherem Maße für die Jungfrauengeburt. Immer wieder hört man, dass dies ja lediglich ein alter heidnischer Mythos wäre, den es in tausend Fassungen gäbe. Auch hier denkt ein Christ andersherum: Der Mensch hatte eine Ahnung und eine Sehnsucht, und diese Ahnung ging oft in die richtige Richtung. Übrigens nicht nur im Mythos: Plato etwa hat eine faszinierende Beschreibung des „Gerechten“ hinterlassen: Er erörtert, wie der Mann sein müsste, der tatsächlich gerecht wäre, und er kommt zu dem Ergebnis, dass dieser gekreuzigt werden würde. Diese Präfiguration Christi in einem philosophischen Text zeigt, dass die Ahnung des Menschen und seine Erkenntnisfähigkeit ziemlich groß sind, und dass Mythen nur eine Möglichkeit sind, diesen eine Form zu geben! Also: Dass eine Jungfrau, die ein Kind gebiert, irgendwie ein Zeichen für etwas ganz Großes sein muss, dass dieses Kind göttlich sein muss, das ist eine Ahnung, die es der Menschheit ermöglicht hat, Jesus dann als Messias zu begreifen, als er tatsächlich kam! Eine gänzlich unvorbereitete Menschheit hätte Maria als Lügnerin aufgefasst und das Kind als unehelich. Eine durch die Jahrtausende durch Wahrheitskrümchen vorbereitete Menschheit konnte durch dieses Geschehen Kontakt zur Transzendenz aufnehmen – weil diese sich fassbar gemacht hat. Dieses Wissen um diese Spuren der Wahrheit, hat sich im zweiten Vatikanum in einer größeren explizit formulierten Wertschätzung für andere Religionen geäußert. Wobei man dazu sagen muss, dass diese eigentlich den Angehörigen dieser Religionen und ihrem Streben nach Wahrheit (was in unserer Diktion natürlich bedeutet: Streben nach Einheit – mit der Kirche) gilt, nicht für eine Religion als solche, die ja neben Wahrheit mehr Unwahrheit beinhaltet, je weiter sie von der katholischen Kirche entfernt ist – Exkurs: Darum verstehe ich den irrationalen Hass mancher Traditionalisten gegen das Bild von den „konzentrischen“ Kreisen nicht ganz. Meist berufen sie sich darauf, dass andere Religionen dadurch in ihrer Nähe zum Christentum aufgewertet würden. Man kann es aber auch ebenso anders sehen, sie werden ebenso in ihrer relativen Entfernung dargestellt. Und ausschlaggebend ist eben nicht der Club, dem ein Mensch durch Geburt, Initiation oder Entscheidung angehört, sondern, wie sehr sich die einzelne Seele nach Gott ausstreckt und wie sehr sie sich von ihm korrigieren lassen will in ihrem Verständnis von Wahrheit – was dann natürlich zwangsläufig in eine Aufnahme in die katholische Kirche münden wird, vorausgesetzt, ihre Vertreter machen die Wahrheit nicht unkenntlich.

Wer sich jetzt fragt, was dieser Artikel mit Mascagnis Oper zu tun hat: Nichts. Mir fehlte bloß ein griffiger Titel. Machen Journalisten ja auch so.