Die Stille Messe: Ein Relikt mit Potenzial

Wenn man sich landläufige Vorurteile gegen die außerordentliche Form des römischen Ritus anhört, dann kommen häufig Ängste und Vorbehalte zum Vorschein, die sich auf die Zeit beziehen, in der sie die ordentliche Form war. Auch dann sind es oft Vorurteile, die auf einem seltsamen (Un)Verständnis gegenüber der Liturgie oder gegenüber zeitbedingten Phänomenen beruhen. Spannend ist, dass solche Vorbehalte oft auch unter denen zu finden sind, die tatsächlich die Alte Liturgie bevorzugen.

Besondere Feindseligkeit trifft dabei manchmal eine Form der Heiligen Messe, die bei genauerer Betrachtung besonders reichhaltig sein kann – vorausgesetzt, man nutzt sie entsprechend. Darum hier der ultimative Ratgeber Stille Messen für Dummies.

Übrigens ist keine Messform so angepasst an die moderne Lebenswirklichkeit: Gedrängte maximale Heilsausschüttung in einem Minimum an Zeit und mit einem Minimum an Aufwand.

Stille Messen Mitfeiern – Eine Messe, tausend Möglichkeiten

Die morgens-6 Uhr-Smoothie-Messe: Der Powergnadenboost für den Tag

Wie es geht? Man verdrückt sich in die Ecke der hintersten Bank, schließt die Augen und lässt die Gnadenströme, die die Priesterhände entfesseln, über sich hinwegrauschen. Hier geht es nicht um intellektuelle Glaubenserklärung, sondern um staunende Anbetung. Einfach mal still sein, Jesu Gegenwart genießen, der Priester macht alles, man muss nur Zuschauen und sich freuen. Keine Angst vorm Einnicken, dafür gibt’s Glocken zur Wandlung. Ich liebe diese Art, die Messe mitzufeiern. Beim ganz vertrauten, liebevollen Umgang zwischen Gott und Priester dabei sein dürfen – ein Geschenk.

Vorteile: Man braucht kein Latein und auch keine Ahnung. Man muss nur Jesus anbeten wollen.

Vorurteile gegen diese Art des Mitvollzugs kommen meist von intellektueller posttridentinisch-aufgeklärter Seite: Einfach nur da sein? Wie, was, wo? Geht ja gar nicht.

Stark angefeindete Abwandlung: Die Rosenkranzmesse

Horrorszenario für den aufgeklärten Katholiken jedweder Provenienz ist das Rosenkranzbeten während der Messe. Auf der einen Seite total nachvollziehbar: Hier passiert das Größte, was unser Glaube zu bieten hat, wir sind aufgerufen zum Mitfeiern, Mitopfern, Mitbeten, und was tun die Leute? Beten Rosenkranz. Das hat den schalen Beigeschmack des naiv-uninformierten dümmlichen Volksglaubens von alten Omas, die einfach nichts von dem, was da vorne passiert, verstehen, und deshalb ihr eigenes Gebet parallellaufen lassen. Fällt uns an der Argumentation etwas auf? Sie ist so was von non-judgemental und fast gar nicht arrogant! Hier kommt es meiner bescheidenen Ansicht nach auf die Haltung an! Kann man von jemandem, der die Geheimnisse des Rosenkranzes betet, wirklich behaupten, er würde von dem, was in der Messe passiert, nichts verstehen? Der hl. Ludwig Maria beschreibt im Goldenen Buch, wie skeptische Gläubige gerne versuchen, Christus gegen Maria auszuspielen, so, als wäre Marienverehrung nicht auf Christus ausgerichtet: Sein Beispiel ist, dass man Menschen zurechtweist, die vorm Marienaltar beten, weil es doch auch den Tabernakel gibt, vor dem sie beten könnten – interessant, dass die Problematik zu seiner Zeit ebenso bestand wie heute! Er sagt dazu: Das ist kein Wettstreit zwischen Maria und Jesus. In diesem Sinne ist das Zentrum der Messe Christus, ebenso wie im Rosenkranz. Und darum kann man durchaus – im Sinne der Haltung der Ganzhingabe – seinen Rosenkranz als betenden Beitrag zur Messe auffassen. Das Schöne am Christsein ist ja, dass wir frei sind. Wichtig ist nur, dass man nicht versucht, Frömmigkeitsstile gegeneinander auszuspielen- und natürlich, wie gesagt, geht es meiner Ansicht nach auch um die Haltung: Wenn ich einfach bloß zu faul bin, mir das bisschen Latein anzueignen, das ich bräuchte, oder wenn mich die Messgebete schlicht nicht interessieren, dann ist das schade, denn man lässt sich viel entgehen.

Die Mitpriestern-Participatio-actuosa-Messe: Die Pro-Version für Könner

Lustigerweise ist es gerade die sogenannte Alte Messe, die vom mündigen Katholiken besonders viel Mitwirkung verlangt. In den Gebeten wird an mehreren Stellen deutlich, dass die Gläubigen Mitopfernde sind. Man ist also nicht bloß – wie leider oft in der Neuen Messe – Zuschauer des handelnden Priesters – es sei denn, s.o., man möchte es so. Die Stille Messe ist besonders günstig, um die Gebete der Messe kennenzulernen. Das Unpraktische an Ämtern ist, dass ja Priester und Volk einander zwischendurch aus den Augen verlieren: Während das Sanctus noch nicht zu Ende gesungen ist, beginnt der Priester bereits mit dem Canon, etc. So bekommt man besonders schöne Gebete als Gläubiger oft nicht mit. Besonders schade ist das im Hinblick auf die Opferung. Ich bin ja kraft der Taufe zugehörig dem priesterlichen Geschlecht, das mit dem Priester gemeinsam das Opfer darbringt. Die Opferung ist der Moment, in dem ich mich selbst auf dem Altar Gott weihen kann, und alles, was ich habe. Die Gebete zur Opferung sind wunderschön und tiefsinnig, und man begibt sich sehr innig in die Gemeinschaft mit der Kirche, wenn man sie mitbetet. Dummerweise ist es aber meistens üblich, an dieser Stelle irgendein mehr oder minder plattes Opferungslied zu singen, das dem Inhalt dieser Handlung meist nur sehr begrenzt gerecht wird. In der stillen Messe hat man die Chance, diese Gebete in Ruhe zu beten. Besonders schön ist es, wenn man öfter in eine Stille Messe geht, und sich so nach und nach betenderweise die Messtexte zu eigen macht. Sich eben einmal besonders auf den Canon, und einmal auf die Opferung etc. zu konzentrieren, und zwar innerhalb der Messe, ist schöner und inniger, als sie irgendwann einfach „durchzulesen“ -obwohl auch das ratsam ist!

Vorteile: Wer die Messtexte mitbetet, wird unbeschreiblich beschenkt, mit den schönsten, tiefsten, und dabei römisch-pragmatisch-knappsten Gebeten, die es gibt. Keine Sprache bringt so gut auf den Punkt wie Latein. Hier haben wir also auch eine Gebetsschule. Abgesehen davon verbindet man sich innig mit dem Priester und der ganzen Kirche. Ein dritter Vorteil ist, dass man, wenn man die Gebete der Messe kennt, selbst eine Free-Style-Messe in der ordentlichen Form mit deutlich mehr Gewinn mitfeiern kann: Wenn ich nämlich weiß, was eigentlich bei der Opferung passiert, kann ich mich in diesem Sinne mit dem Priester verbinden auch während einer mickrigen Gabenbereitung mit Oosterhuis-Lied. Wenn man also mit der Zeit immer mehr Gebete verinnerlicht, erleichtert das das eigene Beten und stärkt die Emanzipation zum mündigen Katholiken und schwächt den modernistischen Klerikalismus, der uns auf Gutdünken der Rechtgläubigkeit und dem Liturgiegefühl des Priesters ausliefert.

Gefahr: Wenn man versucht, im Tempo des Priesters alles mitzubeten, kann man schnell den Überblick verlieren und kommt in Gebetsstress. Also zwischendurch ruhig mal aussetzen. Keine Sorge. Die Engel beten eh immer alles mit.

Vorurteile: Tatsächlich hörte ich mal von einem Traddi, dass er stille Messen nicht mögen würde, weil man da ja nie weiß, wo der Priester gerade ist. Das hat mich doch sehr überrascht. Denn es kommt ja erstens gar nicht darauf an, 100% simultan zu sein. Zweitens braucht es wirklich nur ein bisschen Erfahrung. Wenn man mit seinem Schott die Messe mitverfolgt, weiß man bald, wann was geschieht. Natürlich ist es erst einmal eine Umgewöhnung. Aber eine ziemlich schmerzlose.

Allgemeine Vorurteile

Allgemeine Vorurteile gegen die Stille Messe sind natürlich Legion – meistens von denen, die noch nie oder nur einmal in einer waren, und naturgemäß überfordert von der Dichte der liturgischen Handlung. Tatsächlich gibt es in der außerordentlichen Form keine Pausen – es gibt nicht diese bedeutungsschwangeren Leerstellen, in denen man einer Orgelmeditation lauscht oder in sich geht. Liturgie ist eine Feier, und zwar die der Engel und des ganzen Himmels, und wir machen mit. D.h. die Party läuft non-stop. Ich kann mich mal in eine Ecke verziehen, vielleicht sagt mir heute die eine oder andere Stelle etwas Besonderes und ich „bleibe daran hängen“ und bin erst ab der Wandlung wieder „voll dabei“- das kann sein. Aber die Engelsmusik hört nicht auf, es gibt keinen kollektiven Punkt, an dem ich zu irgendetwas gezwungen werde. Nur der Ablauf der Liturgie ist unbedingt, ohne Unterbrechung und ohne Bruch. Theoretisch. Praktisch hat uns Zugzwang in der Gegenreformation die lange Predigt beschert (Danke für nichts, Luther), die den natürlichen Lauf der Liturgie etwas unglücklich bremst: Kurz bevor wir den Gipfel von Golgatha erreichen, kurz vor dem dramatischsten Geschehen der Weltgeschichte heißt es „Hinsetzen, zuhören“. Da es in Stillen Messen normalerweise keine Predigt gibt, lernt man hier die Dramaturgie der Liturgie viel unmittelbarer kennen – spannenderweise ebenso wie in der byzantinischen Liturgie. Auch die ist so unmittelbar und dramatisch, aber viel länger und durch orientalische Weitschweifigkeit gekennzeichnet, was auch sehr schön ist, bloß eben anders. Das Vorurteil, dass der Laie unwichtig sei, ist ebenfalls nicht richtig, der Laie entscheidet einfach bloß selbstverantwortlich, wie aktiv er sein will. Anders als in Messen der ordentlichen Form mit Gospelchor wird man nicht zum Mitmachen genötigt.  Dann gibt es natürlich, es klang schon an, immer diesen Einwand, man könne nicht richtig mitmachen. Da die Analphabetenquote heute in Deutschland sehr gering ist, gilt das nur für eine sehr kleine Minderheit. Jeder Mensch, der lesen kann, kann mit seinem Messbuch mitlesen und mitbeten, und wer sein ganzes Leben lang Katholik war, der kann die Gebete ohnehin irgendwann auswendig oder zumindest dem Sinn nach und kann sich in dieser Meinung ins Gebet einklinken. Etwas „par coeur“ oder „by heart“ zu können, es also im Herzen und nicht auf dem Papier zu tragen, gibt ungeheure Freiheit im Gebet und bereichert jede Messe, egal wo und in welcher Form.

Also: Schott kaufen und ab in die Stille Messe!

Dies ist ein konstruktiv-gegenreformatorischer Beitrag. 2017 ist Fatimajahr!