Filiale Bitte an Beichtväter: Macht es uns nicht so schwer!

Ein Sorgenkind unter den Sakramenten ist bekanntlich die Beichte. Das hat natürlich mehrere Gründe, und man müsste mehrere Beiträge schreiben, um den Komplex aufzulösen. Erst einmal denkt niemand gern über seine Sünden nach. Dann ist die Beichte sonderbarerweise von dem Nimbus des Düster-Schrecklichen, der Repression, der Drohbotschaft umgeben, obwohl sie ja eigentlich das Gegenteil darstellt, nämlich die neuerliche Befreiung vom Joch der Sünde. Der geübte Katholik erkennt hier den „Durcheinanderwerfer“, den Diabolus, am Werk, denn wer sonst hat so unbändige Freude daran, den Menschen zu verwirren?

Teil des Problems sind aber auch – man verzeihe mir die Direktheit – so manche Priester. Eine Umfrage hat ergeben, dass 54% der Priester in Deutschland jährlich einmal oder seltener (!) überhaupt selbst beichten. Natürlich kann man schwerlich etwas empfehlen, was man selbst nicht in Anspruch nimmt, ohne sich dabei wie ein Heuchler zu fühlen, weshalb ein Großteil der Priester dies eben auch schlicht unterlässt. Sodann gibt es den Drang, die Beichte „menschenfreundlicher“ zu gestalten:

Heller Beichtraum statt Beichtstuhl etwa ist mein Lieblingsfeind. Bestimmt gibt es Menschen, die Angst vorm Dunkeln haben. Oder Leute, die gerne ein persönliches Gespräch führen möchten, weil sie sich da eine vertrauensvollere Atmosphäre erhoffen. Es ist schön, wenn man für diese Leute einen hellen Raum zur Verfügung stellt. Aber gelungene Beispiele zeigen, dass es ohne großen Aufwand möglich ist, etwa ein Sichtgitter und eine Kniebank aufzustellen, so dass Gläubige, die das nicht möchten, nicht dazu gezwungen werden, ihre intimsten Fehler einem Menschen ins Angesicht zu sagen. Es ist schon hart genug, sie Gott vor die Füße zu werfen. Vielleicht arbeite ich auch mit einem Priester eng zusammen und möchte nicht, dass er um meine innere Disposition so detailliert weiß – oder es ist mir egal, aber dennoch lieber, ich muss ihn dabei wenigstens nicht angucken. Die Dunkelheit und Anonymität des Beichtstuhls sind gewissermaßen eine räumliche Versicherung des Beichtgeheimnisses. Im besten Fall ist es so dunkel, dass ich selbst meine Sünden gar nicht mehr sehen kann, nachdem ich sie ausgesprochen habe! Geschweige denn der Priester! Alles geht direkt zu Jesus und der wirft es hinter sich. Was daran bedrohlich sein soll, wieso es weniger bedrohlich sein soll, sich einem Vertreter der Kirche gegenüber zu setzen und ihm zu erzählen, welchen finsteren Gedanken und Taten man gefrönt hat – wer weiß. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass es immer leichter ist, anonym zu beichten, weil man damit den Drang, vor dem anderen gut dazustehen, am Besten kleinhält. Und zwar nicht, indem ich, wie in der frühen Kirche und auch unter manchen protestantischen Denominationen, heroische Demut zeigen muss, sondern, indem man es mir so leicht wie möglich macht (es ist trotzdem noch demütigend genug).

Ein ähnlicher Fail wie der helle Beichtraum ist die Idee, die Buße durch eine allgemeine Anweisung zur Besserung zu ersetzen. Ist mir tatsächlich letztens passiert, und war super „gut gemeint“.

Als es an die Absolution ging, fragte ich einfach noch einmal nach der Buße. Die Antwort: Ich solle eine bestimmte Sache – leider einen Hauptfehler – verbessern. Aha. Nach der Beichte sprach mich der Priester noch kurz an, um mir zu erklären, wieso er keine „traditionelle“ Buße aufgegeben hatte (offenbar hatte ich in meiner dezidierten Nachfrage allzu „orthodox“ gewirkt): Das sei so „formell“ und starr. Stattdessen solle ich eben lieber „insgesamt“ gottgemäßer leben.

Für mich ist dieses Erlebnis ein Paradebeispiel für „der Mensch denkt, dass er lenkt“: Die Beichte ist kein hermetisch abgeschlossener Raum. Natürlich hat sie einen Bezug auf das ganze Leben. Aber jeder weiß, dass die Etappenziele wichtig sind, bei der Tour de France und auf dem Weg zur Heiligung genauso. Wir haben nicht die Ausdauer eines Marathonläufers. Wir können nicht unser ganzes Leben ständig komplett im Blick behalten und ohne Verschnaufpause durchlaufen. Mit der konkreten Buße haben wir natürlich nicht alles wiedergutgemacht (das macht ja sowieso Gott), aber wir kommen dem menschlichen Bedürfnis, den guten Willen zeigen zu wollen, nach, und wir erhalten eine kleine, machbare Aufgabe, die uns motiviert.

Es ist hart genug, einzusehen, dass man sein ganzes Leben lang immer wieder fallen wird und dass man nie „fertig“ wird mit der Heiligung. Das kann frustrieren, das kann demotivieren, und das kann auch Angst machen – und führt z.B. zur verzweifelten Frage Luthers, wie man jemals genügen könne, und das führt ins persönliche Unglück und in die Häresie. Wenn ich einem Alkoholiker sage „Trink halt nicht mehr“, dann ist das ein guter Rat, der dennoch wenig bringen wird. Er ist zu groß dimensioniert. Wenn man etwa seinen Hauptfehler anklagt und der Priester als Buße aufgibt, diesen Hauptfehler auszuräumen, dann schafft er damit eine Quelle für Sorgen und Skrupel – denn wenn es nicht gelingt, hat man ja die Buße zur letzten Beichte nicht erbracht! Er nimmt also den tröstlich-motivierenden pädagogischen Aspekt („Du schaffst das! Guck mal! Wie toll! Du hast ein ganzes Vaterunser andächtig gebetet! Und jetzt Vollgas, so kriegen wir auch den Hauptfehler in den Griff!“) weg und ersetzt ihn durch immerwährenden toil and trouble. Übrigens, natürlich, ein protestantisierendes Element: In der ersten These Luthers lernen wir schließlich: Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht „Tut Buße“ usw. (Matth. 4,17), hat er gewollt, daß das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.

Dennoch schützt uns die Kirche in ihrer mal wieder überquellenden Weisheit davor, von dieser monströsen Aussicht erschlagen zu werden!