Und schon wieder Sex – aus dem apologetischen Giftschrank

Kürzlich führte ich mit einem Atheisten ein Gespräch über Sex. Naja, eigentlich ging es darum, dass die katholische Kirche böse ist (Hexen, gegen die Wissenschaft, Kreuzzüge, Badewannen, Exkommunikation) und im ganzen Programm hatte irgendwann auch die exkommunizierte Nonne Platz, die in Afrika Kondome verteilt hatte. Ich bin ja der Ansicht, dass, da niemand gezwungen wird, katholisch zu sein, die Katholiken doch bitte nach ihren Regeln vorgehen sollen, und wer sich nicht daran halten möchte, möge gehen. Wenn ich im Fußballverein lieber Basketball spielen möchte, widme ich auch nicht den Fußballverein um sondern gehe zum Basketballverein, so einfach ist das.

Nachdem ich den Kondomsumpf apologetisch umgangen glaubte (schließlich ist und bleibt es hanebüchen, zu meinen, Afrikaner würden die grundsätzliche Lehre über Sexualität ignorieren, dann aber eine heilige Scheu vor einem so untergeordneten Verbot wie dem Kondomverbot haben, das ja ohne erstere Lehre gar keinen Sinn ergeben würde), hieß es dann, im 21. Jahrhundert sei ja wohl die Idee, dass man keinen Sex außerhalb der Ehe habe, völliger Blödsinn. Sofort befindet man sich als Apologet im Strudel der Rechtfertigung. Aber ist es wirklich atavistisch, der Lehre der Kirche zu folgen?

Viel zu spät fiel mir auf, dass die Einstellung, das sei irgendwie früheren Zeiten zugehörig, eher eine Fehleinschätzung ist. Wer meint denn ernsthaft, Menschen früherer Zeiten seien irgendwie „tugendhafter“ gewesen als die heutigen? Ich verweise in dem Zusammenhang immer gerne auf die pornographische Motette „Un gay Bergier“ („Der fröhliche Hirte“). Das Lied war im 14. Jahrhundert so „in“, dass man die Melodie sogar zur Grundlage von Messvertonungen gemacht hat. Ein Äquivalent wäre, wenn wir das Kyrie auf die Melodie von „Sexbomb“ singen würden.

Die Kirche hat immer dasselbe gelehrt und sie wurde immer gleichermaßen weitgehend ignoriert, was man daran erkennt, dass unsere katechetisch tätigen Heiligen von Paulus bis Johannes Paul II. Keuschheit ständig einfordern mussten, und zwar egal ob im 1., 12. oder 17. Jahrhundert. Die Kirche mochte irgendwann so viel Hoheit über den öffentlichen Raum haben, dass man nach außen hin ihre Moralvorstellungen übernommen hat, aber ich bezweifle das eigentlich, je mehr ich mich mit Geschichte befasse. Zumindest für Nordwesteuropa sind es die bürgerlich-protestantischen Moralvorstellungen, die mit der katholischen Lehre nicht mehr viel zu tun haben, die uns prägen und uns eine sexbefreite Vergangenheit vermitteln. Bis zur Reformation aber kann man nicht behaupten, in Europa sei man Kostverächter gewesen. Mit Südwesteuropa kenne ich mich nicht so gut aus. Man darf nicht vergessen, dass es für die Kirche weitgehend unerheblich ist, ob jemand äußerlich regelkonform lebt, weil eine Seele nicht dadurch gewinnt, dass sie so tut als ob sie keusch sei, ganz egal, wie effektiv sie es vorspielt: Ist sie es nicht, hilft ihr auch der beste gesellschaftliche Ruf nicht. Außerdem erwartet die katholische Kirche nicht so sehr, dass man sündenfrei lebt, sondern eher, dass man Sünde bereut und büßt. Eine äußerlich rigide Gesellschaft, die im stillen Kämmerlein allerlei Ausschweifung zulässt, nimmt also die katholische Lehre weniger ernst als eine, in der man öffentlich eine Orgie feiert und dann beichten geht (echte Reue vorausgesetzt).

Es ist also apologetisch angebrachter, im Kreuzverhör nicht darauf abzuheben, dass Keinsexvorderehe ins 21. Jahrhundert gehöre, sondern lieber zu vermitteln, dass Keinsexvorderehe noch nie en vogue war. Was zu der Frage führt, wieso die Kirche einen Kampf gegen hormonelle Windmühlen führt, was zur Erkenntnis führen könnte, dass es dafür vielleicht einen Grund gibt?!