Ob ich sitze oder stehe – Blockwartmentality im Gottesdienst

Vor einigen Tagen brachte katholisch.de ein Pro-und-Kontra zum Thema liturgische Haltung während des Hochgebets. Das ist natürlich eigentlich spannend, leider konnten die Kommentatoren nicht wirklich überzeugen.

Ziemlich ärgerlich ist ein Teil der Argumentation Agathe Lukasseks, die für das Knien Partei ergreift. Zum einen scheint es ihr vor allem ein emotionales Anliegen zu sein. Das ist ja schön, aber nicht wirklich überzeugend. Und während ich grundsätzlich völlig ihrer Meinung bin, dass das Knien zum Einsetzungsbericht die einzige akzeptable Haltung ist (übrigens wird, anders als ihr Kontrahent behauptet, auch in der Orthodoxie durchaus gekniet, aber nicht in bequemen Bänken mit Kniepolster, sondern auf Marmorboden), ist ihr Einstieg denkbar ungeeignet, um Wohlwollen zu gewinnen: Sie schildert ihren Unwillen, wenn sie selbst sich hinkniet und vor ihr jemand stehen bleibt, der augenscheinlich keine Probleme mit dem Knien hätte.

Natürlich ist das ehrlich. Auf der anderen Seite zeigt es etwas, was meiner Ansicht nach jeder in sich tunlichst bekämpfen sollte: Das pharisäische Beurteilen nach dem Augenschein. Weder weiß man, was den anderen bewegt, während er steht, noch kann man wissen, ob nicht auch ein junger Mensch aus körperlichen Gründen darauf verzichtet. Im Grunde zeigt es nur, dass ich offenbar noch nicht in Extase bin, da ich ja die Fehler der anderen noch ganz gut wahrnehmen kann.

Es gibt zwei Arten dieses argusäugigen Kontrollzwangs gegenüber dem Mitbruder oder der Mitschwester: Die einen sehen in allem, was nicht ihrem Frömmigkeitsempfinden entspricht, sofort einen Affront. Wieso aber ist man ach so vertieft in die Anbetung, und doch nicht vertieft genug, um nicht noch mit Seitenblicken zu kontrollieren, ob der andere tut, was er soll? Ah, ja, die bösen Traddis! So sind sie! Kniest du nicht genug, bist du des Teufels, ja, ja. Doch ich muss enttäuschen – Modernissimi sind nicht weniger intolerant: Bei ihnen wird verdammt, wer zu fromm ist in Gesten und Haltung. Man könnte noch hinzufügen, dass, da die Alte-Messe-Szene zum Teil durchaus eine Szene von Individualisten ist, dort generell deutlich weniger Hemmungen bestehen, sich anders zu benehmen als der Banknachbar. Da gibt es kein lemminghaftes Aufstehen und Hinsetzen. Obgleich in den Publikationen der Petrusbruderschaft geschrieben steht, dass man während des Kyrie steht, ficht das vor allem süddeutsche fromme Naturen nicht an, die das Priesterwort nonchalant ignorieren und tun, was sie für richtig halten – ich finde das übrigens nur mittelgut. Es ist schon durchaus angemessen und sinnvoll, dass die Einheit des Leibes Christi auch in einer einheitlichen Gebetshaltung zum Ausdruck kommt. Man kann ja zu Hause machen, was immer man will.

Hinter dem misstrauischen Beäugen von Frömmigkeitsformen steht nicht selten das unbewusste Gefühl, doch eigentlich nicht die adäquate Haltung zu haben, wie auch immer sie sich dann konkret äußert. Denn äußerlicher Vollzug ist ja im besten Fall „nur“ die Folge und äußerliche Spiegelung dessen, was im Menschen vorgeht. Und gerade viele Christen in Deutschland sind da emotional gehemmt: Sie können keine Bilder küssen oder berühren, bekreuzigen sich nur, wenn es absolut sein muss, werfen sich auch nicht nieder, und wie sollte man knien, wenn keine Kniebank vorhanden ist, biologisch quasi unmöglich. Mit einem Gebetsschleier Kopf bedecken als Zeichen der Ehrfurcht, wie es in so vielen Kulturkreisen und Konfessionen üblich ist? Um Himmels willen! Nun könnte man andere dies neidlos tun lassen, fühlt sich aber lieber angefochten allein schon, weil der andere es tut, so als wolle der andere damit automatisch einen Vorwurf machen. Das ist natürlich erst einmal genauso Projektion, wie anzunehmen, ein Stehender wolle sich schlicht nicht beugen. Man geht von der eigenen Disposition aus und überträgt sie, anstatt sich klarzumachen, dass der andere ganz andere Gründe haben könnte. Das ist echte Engherzigkeit, in einem Bereich, in dem man sie eigentlich schnell und zielsicher orten und eliminieren könnte! Sie betrifft auch mich persönlich. Bevor ich in einer Kirche irgendwas tue, was ein protestantisierter, gefühlskalter Deutscher nicht tut, blicke ich mich oft ängstlich um, ob es auch niemand sieht. Und ich bin schon öfter apologetisierend darauf angesprochen worden, wenn ich einen Schleier während der Messe getragen habe: Damit meine ich, dass man angesprochen wird im Hinblick auf den Vorwurf des Nichttragens, den man angeblich bereits dadurch gemacht hat, dass man es tut. Weshalb ich mich nur dann so benehme, wie ich will, wenn ich in mir unbekannten Gemeinden bin. Dann kann man mich für eine äthiopische Christin halten (Ist mir schon passiert. Da muss man gar nicht besonders exzentrisch sein), und die haben sowieso einen Freifahrtsschein, diese primitiven Ausländer, die dürfen auch Statuen küssen.

Ein Treppenwitz noch zum Schluss: Lukassek beschreibt erst ihre Begeisterung für die Gesten und Riten, durch die sich die Messe „von einer Show oder einem Konzert unterscheidet“ um am Schluss Rücksicht darauf einzufordern, dass man als Stehender nicht im Weg ist und den Knienden den Blick auf den Altar versperrt. Nicht böse gemeint, aber da konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.