Zu viel des Guten: Die Sünde der Väter und die Kinder #1

Manchmal melde ich mich sehr spät zu Wort. Das kann daran liegen, dass ich, o, Kreatur des 20. Jahrhunderts! manchmal erst einmal darüber nachdenken muss, wie ich etwas finde. Es kann aber auch daran liegen, dass ich eigentlich gar nichts hatte sagen wollen, weil nämlich eh alle etwas dazu sagen oder weil ich eine Meinung habe, die sonst kaum jemand hat, und ab und zu habe nicht einmal ich Lust auf Streit.

Jetzt kamen aber so viele Dinge zusammen, dass ich für gewisse Vorgänge einen größeren Rahmen anbieten möchte.

Vor einiger Zeit rückten weibliche IS-Rückkehrerinnen in den Fokus. Auch junge europäische Mädchen waren ins IS-Gebiet gereist, um dort die Djihadisten zu unterstützen. Manche sind nun im Irak inhaftiert, manche sind zurückgekommen, manche sind gestorben. Als ich einen Bericht über die inhaftierte Linda W. aus Pulsnitz sah, ein zum Islam konvertiertes, pausbäckiges Mädel, war ich ziemlich geschockt. Geschockt über die Dummheit, die Dekadenz verursacht. Nachdem nun in Lünen ein 15jähriger seinen Mitschüler erstochen hat, nimmt dieser Schock Gestalt an.

Zwischenbemerkung: Ich weiß, dass der Junge mittlerweile in den Medien als „Kasache“ geführt wird. Allerdings bin ich nicht der Ansicht, dass es hilft, nun die Asylbewerberkriminalität à la Freiburg und Kandel einfach gleichzusetzen mit Verbrechen von irgendwem, der zufällig einen Migrationshintergrund hat. Davon gibt es viele Menschen. Unter anderem mich. Daher, for the record: Sollte ich einmal jemanden ermorden, bitte ich darum, davon abzusehen, dies als Mord einer „Afro-Deutschen“ zu betiteln. Ich bin Deutsche, und als Deutsche lebe, morde ich und sitze ich hinter Gittern, oder auch hoffentlich und wahrscheinlich eher nicht. Zurück zum Thema: Für mich ist die Nationalität des Schülers bisher eher zweitrangig, deshalb behandle ich es als Verbrechen eines Jugendlichen. Zwischenbemerkung Ende.

Offenbar leidet unsere Gesellschaft an einem Zuviel des Guten. Wir wissen weder Frieden, noch Sicherheit, noch Überfluss an materiellen Gütern, noch Freiheit zu schätzen.

Wir sind zivilisationsmüde, und dieser Überdruss drückt sich am extremsten bei Jugendlichen aus. Ich empfinde es als in höchstem Maße ironisch, dass in einer Welt, in der Säkularismus und Rationalismus mit Vernunft gleichgesetzt und verwechselt werden, Kinder nach den entsprechenden Mustern aufwachsen und offensichtlich keinen Schimmer von Realität haben: War Linda klar, dass sie im Irak nicht einfach den Fernseher ausschalten können würde, wenn es ihr zu gruselig oder zu grausam würde? War dem Schüler klar, dass er nicht nur ein Leben nehmen, sondern auch seines unrevidierbar verändern würde? Verstehen diese Kinder, was „Konsequenz“ ist, nachdem sie in einem Umfeld aufgewachsen sind, das vermittelt, dass das Nichtwollen von etwas zur Nichtexistenz der nicht gewollten Sache führe?

Hier ist die „Sünde der Väter“ am Werk: Es sind die Eltern, die ihren Kindern nicht mehr sagen können, dass es das Gute und das Böse gibt, dass man sich für eines entscheiden muss, und dass man die Folgen dieser Entscheidung dann auch tragen muss. Solche Dinge lernt man heute eher im PC-Rollenspiel, in dem man eben zu Beginn entscheidet, ob man ein neutral-guter oder chaotisch-böser oder rechtschaffener Charakter sein will, um dann eben mit dieser Entscheidung klarkommen zu müssen. Oder man sieht es, wenn man Glück hat, im Fernsehen, wo wenigstens bei James Bond noch der Gute gewinnt. Computer, Internet und Film lehren heute den Sinn des Lebens, und wenn über diese Medien schwarze Flaggen von Heldentum und Hingabe des Lebens erzählen, dann spürt ein junger Mensch, dass an diesen Werten etwas dran ist, er kann bloß die Pervertierung der Wahrheit nicht erkennen. Und so machen sich dann auch Jugendliche auf, um für den Islamischen Staat zu kämpfen, und Jungs verteidigen die Ehre ihrer Mutter mit dem Messer.

Neben dem Zuviel an Gutem ist es also zugleich der Mangel an Sinn“vermittlung“, der die Jugend „verführt“.