Verehrung vs Anbetung – mehr als Haarspalterei

Ein Grundproblem in der Kommunikation mit anderen Konfessionen ist, dass oftmals katholische Definitionen nicht bekannt sind und man daher den katholischen Glauben missversteht.

Sprachverwirrung, die niemand bemerkt

Das ist ungefähr so, als ob in zwei Sprachen ein Wort gleich lautet, aber unterschiedliches bedeutet: Wenn etwa ein Engländer in einem deutschen Geschäft nach einem „gift“ fragen würde, würde der Deutsche womöglich die Polizei oder den Arzt rufen, wenn ihm nicht klar wäre, dass der Engländer zwar lautmäßig, nicht aber inhaltlich nach Gift verlangt hat. Nun sind sich katholisches und andere christliche Bekenntnisse so nah, dass man sich häufig gar nicht bewusst macht, dass es derlei inhaltliche Unterschiede geben könnte. Man nimmt automatisch an, der andere hätte dieselbe Definition. Sodann entstammt der Protestantismus der Opposition gegen die Lehre. Um die eigene Berechtigung zu stärken, hält man an falschen Interpretationen katholischen Verhaltens fest, denn würde man sie richtig verstehen, könnte man sie nicht mehr ablehnen. Drittens ist der Protestantismus derzeit weitgehend ent-theologisiert, so dass man sich oft als Protestant gar nicht vorstellen kann, dass sprachliche Nuancen in der katholischen Lehre sehr viel ausmachen können, und dass diese Nuancen tatsächlich verbindlich sind. Es ist ja etwa ein bestimmendes Merkmal, dass man z.B. im Glaubensbekenntnis so etwas sagt wie „gezeugt, nicht geschaffen“. „Naja, irgendwie gemacht halt“, würde so mancher Protestant sich denken, weil er es nicht gewöhnt ist, der genauen Bedeutung eines Wortes nachzuspüren.

Ein Standardmissverständnis betrifft den Unterschied zwischen Verehrung und Anbetung. Der Vorwurf, Katholiken würden Maria, die Heiligen oder Bilder anbeten, ist unausrottbar. Dabei unterscheidet die Kirche seit jeher klar zwischen Verehrung und Anbetung: Anbetung ist der Akt, der seinem Wesen nach nur Gott gebührt und sich nur auf ihn richten darf. Weil Gott der Schöpfer und Urgrund des Seins ist, ist die Anbetung Gottes durch das Geschöpf von grundsätzlich anderer Qualität als alles, was man einem geschaffenen Wesen entgegenbringen kann.

Die Würde des Geschaffenen stammt von Gott her

Allerdings meint die Kirche durchaus, dass auch Geschaffenes gemocht, geliebt, geehrt, bewundert oder geschätzt werden darf. Denn da ja alles durch Gott geschaffen ist, vermittelt auch alles zumindest eine kleine Ahnung des Schöpfers. Außerdem ist auch alles von Gott geliebt. Ich darf also das Geschöpf in zweifacher Hinsicht ehren: Ich schätze das, was Gott selbst auch schätzt, und ich schätze darin den Schöpfer selbst. Ein Heiliger ist mit Gott derart im Einklang, dass er nichts mehr an sich hat, was ihn von Gott trennt. Wenn ich das Bild eines Heiligen betrachte, kann ich darin den Heiligen selbst erkennen und darüber hinaus die Vollkommenheit Gottes zumindest in einer groben Ahnung. Wenn ich mich dann verbeuge, dann verbeuge ich mich weder vor dem Kunstwerk, noch vor der Kunstfertigkeit des Malers, noch vor dem Heiligen, sondern vor Gott selbst, der den Heiligen mit Gnade ausgestattet, den Maler mit seinem Talent begabt und das Material erschaffen hat. Durch die Ehre, die ich dem Geschöpf gebe, werde ich zur Anbetung des Schöpfers geführt. Um es wieder mit dem Kunstwerk zu vergleichen: Wenn ich Monets Seerosen bewundere, bewundere ich Monet, die Schönheit der Schöpfung, aber zugleich und letztendlich den, der Monet gemacht hat. Keinesfalls bewundere ich Farbkleckse auf Leinwand und meine, dass sie sich selbst derart wunderbar platziert hätten. Würde man dagegen das Bild auf den Boden werfen und darauf herumtrampeln, würde man damit Respektlosigkeit gegenüber dem Maler ausdrücken – und was drückt man damit aus gegenüber dem, der alles geschaffen hat? Darum sind Bilderstürme immer ein Zeichen dafür, dass Menschen nicht verstanden haben, dass Gott der liebende Schöpfer nicht nur des Geistes sondern auch der Materie ist.

Eine Urangst des Protestanten ist dabei oftmals, man könne Gott die Ehre nehmen, in dem man sie einem Geschöpf zuwendet. Das liegt daran, dass der Begriff der Anbetung nicht klar definiert ist, sondern eher als Ansammlung von Handlungen gesehen wird, die wir tatsächlich oft anderen entgegenbringen: Loben, danken, ehren, z.B.

Konsequent gelebt führt diese Einstellung zu geistlichem Missbrauch und zu religiöser Neurose. Denn dann dürfte man keinen anderen Menschen lieben, loben oder ehren: Schließlich ist Gott der Einzige, dem all dies zufließen darf. Vor allem im 19. Jahrhundert und gerne im Dunstkreis des Puritanismus findet man derartige Tendenzen, sowohl zu Schuldgefühlen, weil man offensichtlich anderes liebt als Gott, oder aber zu betonter Härte gegenüber anderen, weil man meint, sonst in Gefahr zu geraten, Götzendienst auszuüben. Natürlich ist diese konsequente Einstellung relativ selten, ganz einfach, weil sie dem Bedürfnis des Menschen widerspricht.

Gebet ist nicht Anbetung

Vulgärprotestantisch ist besonders das Missverständnis verbreitet, dass Anbetung bedeuten würde, zu jemandem zu beten. Orare, beten, hat mit adorare, anbeten, zwar etwas zu tun, ist aber nicht dasselbe. Und während wir im Deutschen gern sagen, wir würden zu Maria „beten“, ist das geeignetere Wort „bitten“. Wir nennen es wahrscheinlich „beten“, weil wir Maria und die Heiligen in der Sphäre um Gott verorten und deshalb das Verb, das wir verwenden, wenn wir uns an Gott richten, auch im Zusammenhang mit ihnen benutzen. Mit „beten“ meinen wir dann also die Kommunikation mit denen, die schon in der Ewigkeit sind, ob Gott, Menschen, Engel, nicht aber Anbetung: Die Hilfe erwarten wir von Gott, lediglich vermittelt durch die Heiligen. Auch hier sind Protestanten höchst inkonsequent: Sie haben kein Problem damit, einem anderen Christen zu sagen „Bete für mich“. Aber wenn Katholiken zu Maria sagen „Bitte für uns“, dann soll das ein Problem sein. Ebenso habe ich noch nicht erlebt, dass ein Protestant, wenn sein Haus brennt, die Hilfe der Feuerwehr nicht informiert mit dem Hinweis darauf, dass Gott seine einzige Hilfe sei und Götzendienst, wenn er jemand anderen um Hilfe anruft (ich kann mir aber gut vorstellen, dass so etwas unter württembergischen Pietisten oder amerikanischen Puritanern schon vorgekommen sein könnte).

Verehrung und Anbetung sind also zwei miteinander in Verbindung stehende, aber leicht zu unterscheidende Dinge. Anbetung eines Geschöpfs läge dann vor, wenn ein Mensch meint, ein anderer, und sei es ein Heiliger, sei aus sich selbst heraus mächtig. Das schließt katholische Lehre aber kategorisch aus. Es ist dem katholischen Glauben eine Selbstverständlichkeit, dass alles „durch Ihn und mit Ihm und in Ihm“ geschieht, so dass die Vergötzung von Heiligen oder Bildern kaum möglich ist. Viel eher besteht die Gefahr, bei allen Christen, dass sie sich der Welt angleichen und die Materie, ihre Gesundheit oder irgendeinen anderen vergleichsweise kleinen irdischen Schatz vergötzen und ihr Herz in ungesunder Weise daran hängen.

Die Anbetung des Allerheiligsten

Die wirkliche Kontroverse sollte sich eigentlich um die Anbetung des Altarsakraments drehen. Denn das ist tatsächlich einzigartig und anstößig: Dadurch, dass wir gegenüber der gewandelten Hostie den Akt der Anbetung vollziehen, bekennen wir, dass wir meinen, dass sie tatsächlich in ihrem Wesen der Leib des Herrn, Gott selbst ist, und nicht nur symbolhaft oder sinnbildlich dafür steht. Dadurch, dass wir eine klare Definition von Anbetung haben, können und müssen wir hier tatsächlich von Anbetung sprechen und sind damit für Protestanten, die die Hostie lediglich für Brot halten, „Brotanbeter“ und in der Konsequenz tatsächlich Götzendiener. Protestanten sollten vielleicht darüber nachdenken, wie sie eigentlich zu dieser Glaubensaussage stehen können – ich nehme an, dass viele überhaupt nicht wissen, was Anbetung des Allerheiligsten ist, und dass es das gibt. Katholiken wiederum brauchen sich nicht einreden lassen, das Gebet zu Heiligen oder die Verehrung eines Bildes sei Anbetung – dafür sind die verbindlichen Definitionen unserer Glaubenssätze zu klar und unmissverständlich.