Die Frauenarmee der Dahomé ossia Geschichtsrevisionismus à la Black Power ossia Denk mal drüber nach

Der Facebookalgorithmus schickt mir immer wieder mal Videos über die Timeline, von denen er meint, dass sie mich interessieren könnten. Leider hat er nicht verstanden, dass ich mich über arte-Dokus freuen würde, statt dessen kommen diese gefühligen Kurzvideos im American Style, unterlegt mit unerträglicher Musik, die mir irgendetwas vermitteln möchten. Meistens geht es dabei um Umweltschutz, Antirassismus, Feminismus oder sonst ein würdiges Anliegen. Zuletzt klickte ich ein Video der BBC an, das von der Geschichte des Frauenregiments eines afrikanischen Volkes erzählt. Das fand ich natürlich spannend. Es ist wahr, dass afrikanische Geschichte völlig unterbelichtet ist. Afrika hat hervorragende Menschen hervorgebracht, tatsächlich erscheint es aber im Geschichtsunterricht vor allem als Feld europäischer Expansion. Die Vielfalt der afrikanischen Geschichte vor der Kolonialzeit wird nicht einmal rudimentär gewürdigt. Wenn das für afrikanische Geschichte allgemein gilt, dann gilt es noch einmal doppelt für die Geschichte der afrikanischen Frauen. Insofern: Die BBC-Reihe namens „African women who changed the world“ könnte eine lohnende Dokumentationsreihe sein, die das eigene Weltbild bereichert.

Es geht konkret um das Königreich Dahomé (Dahomey) auf dem Gebiet des heutigen Benin. In diesem Reich gab es eine Elitetruppe, die nur aus Frauen bestand, die Agoji, die Aufgaben als Beamtinnen, Kriegerinnen und Ehefrauen des Königs hatten. Nun ist das Bild, das das Video zeichnet, folgendes: Also, da war im tiefsten Afrika dieses mächtige Königreich, und wisst ihr was? Die waren unglaublich advanced: Sie hatten eine Armee aus Frauen! Wie? Ja! Aus Frauen! Der König konnte sich auf sie verlassen, sie kämpften mutig und waren weit über ihr Reich bekannt für ihre Kampfkunst. So sieht’s nämlich aus. Und dann kamen die Franzosen, aber die Frauen kämpften mutig bis zu ihrer Niederlage.

Ich hab mir das so angesehen und Zweifel krauchte in mein Hirn. Irgendwas war komisch. Schließlich gewann, trotz meiner schwarzen Hautfarbe, der eurozentristisch-kulturchauvinistische Teil meiner Persönlichkeit und ich begann, zu hinterfragen – eine unangenehme Eigenschaft, die dazu führt, dass ich, obwohl Antirassistin by nature, mich der Begeisterung für diese Frauenarmee nicht anschließen kann.

Ach komm, sagt der Grünenwähler: Du kannst doch bloß nicht ertragen, dass dein stereotypes Weltbild korrigiert werden soll. Dieses Volk war eben fortschrittlich, modern, heldenhaft, freiheitsliebend! Und ich heiße Hugo-Karl-Otto. Wer so etwas denkt, glaubt auch an den edlen Wilden und blendet völlig aus, welche tiefschwarzen Schattenseiten Stammeskulturen haben. So heißt es in dem Video:

Sie wurden oft als Teenager rekrutiert, ausgewählt vom König wegen ihrer Schönheit und Kraft.

Klingt total nach Selbstbestimmung, was? Klar. Hat man sich schon mal überlegt, dass Kriegsführung im barocken Afrika kein Spaß war? Dass „Soldatin“ nicht unter „Selbstverwirklichung“ lief  (übrigens genauso wenig wie in Europa, wo Truppenaushebungen logischerweise alles andere als beliebt waren, schließlich kann man da sterben, im Krieg.)? Also, da werden junge Mädchen zwangsrekrutiert und am Hof ausgebildet. Hyper-selbstbestimmt, sozusagen. Ich möchte mir übrigens gar nicht vorstellen, wie neben der kämpferischen die sexuelle Ausbeutung dieser Frauen aussah. Darüber verliert der Kurzfilm natürlich kein Wort. Tatsächlich hat sich dieses System etabliert, weil die Könige in Männern Rivalen sahen, die Frauen aber unter Kontrolle hatten. Die besondere Loyalität ergab sich aus dem Trauma, bereits als Kind der Familie entrissen worden zu sein und aus der Ausbildung, die diese Entwurzelung ausnutzte. Das ist bis heute in Teilen Afrikas verbreitet, und man nennt dieses Phänomen „Kindersoldat“. Auch das osmanischen Reich hatte solch ein System, wo Kinder nichtmuslimischer Völker als Tribut eingezogen und in die Eliteeinheit der Janitscharen eingegliedert wurden. Es ist faszinierend, wie man ein derartiges System völlig kritiklos darstellen kann, und wie man es irgendwie glorreich, cool, freiheitlich finden kann (wie Kommentare unter dem YouTube-Video nahelegen), ist einfach nur schockierend.

Und ein weiteres Thema, über das das Video schweigt (wobei dies natürlich nicht das Thema ist): Dahomé ist ein kriegerisches Reich, das durch Sklavenhandel floriert. Nebenbei verlangen die religiösen Kulte regelmäßig Menschenopfer, denen ebenfalls erbeutete Kriegsgefangene zum Opfer fallen – dabei muss man allerdings die Zahlen, die Quellen nennen, mit Vorsicht genießen, weil diese sicherlich von allen Seiten gerne übertrieben werden.

Das Video der BBC will eine Lücke füllen, die tatsächlich existiert. Allerdings ist das Anliegen nicht bloß historische Fairness. Man will mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen und nutzt die Gelegenheit, durch selektive Information zu verschleiern, dass Kolonialzeit eben nicht nur (und nicht zwangsläufig) darin bestand, dass gut ausgebildete, grausame Kolonialherren arme unschuldige liebenswerte Schwarze versklavt und massakriert haben, sondern dass besagte Afrikaner das nicht selten ganz gut auch selbst konnten. Das ist schade. Mehr Information über afrikanische Geschichte tut not, auch um die Zukunft besser zu gestalten. Aber Kürze eines solchen Videos ist keine Rechtfertigung dafür, bewusst einen irreführenden Eindruck zu erwecken. Sklaverei ist nicht Freiheit, Sklaverei ist nicht Emanzipation. Auch nicht, wenn sie von Schwarzafrikanern betrieben wird.

Nachtrag: Deutlich bessere Information liefert eine ZDF-Dokumentation, die leider ziemlich trashige Spielszenen enthält (bitte den Tag im Kalender anstreichen: Ich lobe eine ZDF-Produktion gegenüber einer BBC-Produktion – das Ende ist nah). Auch hier geben sich die interviewten Wissenschaftlerinnen große Mühe, das historische Geschehen irgendwie zu rechtfertigen: Zum Thema Menschenopfer etwa bemerkt eine, die Franzosen hätten eine Propagandakampagne gestartet, aus der man den Eindruck gewinnen konnte, bei den Dahomey sei ein Menschenleben nichts wert, tatsächlich aber hielten sie es für so wertvoll, dass sie es als kostbarstes Gut den Göttern dargebracht hätten. Eine – man entschuldige die klare Wortwahl – perverse Verdrehung. Eine andere bemerkt, dass die Dahomey ihren Sklavenhandel auch dann weiterbetrieben hätten, als die Franzosen ihn verboten (er war ja auch vor Ankunft der Franzosen selbstverständlicher Wirtschaftszweig des Landes) und rechtfertigt dies mit der rhetorischen Frage, was sie denn auch sonst anderes hätten anbieten können, da andere Wirtschaftszweige zu klein gewesen seien. Trotz solcher seichter Versuche wird die Grausamkeit der Dahomey überdeutlich und man wünscht sich eine Zeitmaschine für Leute, die die Kolonialzeit für alle Übel Afrikas verantwortlich machen wollen. Mal schauen, wie wohl sie sich unter emanzipiert-versklavten, traumatisierten menschenopfernden Schlächterinnen gefühlt hätten.