Hallo, ich bin Anna, ich bin Extremist oder: Aus dem Leben einer Gotteskriegerin

Manchmal frage ich mich, wieso ich nicht einfach die Klappe halten kann. Ich kenne einige Christen, die ihren Glauben wunderbar ruhig, sanftmütig und in aller Stille bezeugen. Die wie Maria zu Füßen des Herrn sitzen oder wie Martha in der treuen Verrichtung der alltäglichen Aufgaben ihr Zeugnis ablegen.

Nun ist es nicht so, dass ich das nicht auch oft tun würde. Oft ertrage ich, was man so an Unwahrheiten und Blödsinn über die Kirche verbreitet. Anders ginge es auch gar nicht, schließlich ist mein Lebens- und Familienumfeld zum Großteil glaubensfeindlich. Dennoch habe ich manchmal das Gefühl, ich sei eher ein Kreuzritter im Blutrausch vor den Toren Jerusalems, und das liegt an einer ganz besonders fiesen Art der Bigotterie, der nicht nur ich, sondern viele Christen ausgesetzt sind. Es ist nämlich nicht so, dass religiöse oder spirituelle Themen gemäß der Gesprächsetikette zu vermeiden wären. Ein solcher Talk-Code wäre ja leicht zu erlernen und anzuwenden. Es ist vielmehr so, dass nur EINE religiöse Einstellung unbedingt ungenannt sein sollte, nämlich die christliche. Da seltsamerweise viele Menschen zwischen 20 und 70 so überhaupt kein durchdachtes, stabiles Weltbild haben, kommt ihnen jede klare Aussage darüber wie rohe Gewalt vor.

Eine schöne Episode dazu: Feierabend, man sitzt zusammen. Ein Kollege unterhält sich mit einer Frau über Sternzeichen. Anders als die anderen weiß er, dass ich katholisch bin. Er erzählt von den Sternzeichen, an deren Bedeutung und Relevanz für unser Leben er glaubt, ich sitze völlig neutral daneben. Die Frau fragt, ob „wir“ dieses Thema faszinierend finden. Da ich nicht lügen will, sage ich nichts. Er schaut mich an, deutet auf mich und sagt „Sie nicht.“, woraufhin die Frau natürlich peinlich berührt ist, da sie annehmen muss, ich hätte die ganze Zeit missbilligend dagesessen – was nicht der Fall war, schließlich bin ich, man höre und staune, tolerant. Daraufhin wird ein grob-dummer Witz über die Beichte gemacht, der ein völlig falsches Verständnis des Sakraments offenbart. Ich melde ruhigen Widerspruch an. Die Frau schwenkt ins Ernsthafte, da sie in ihrer Familie offenbar einen Menschen hat, dessen Leben durch einen Beichtvater stark beeinträchtigt worden ist. Ich möchte darauf antworten, schließlich ist der Vorwurf gewichtig, und es ist auch immer zu beklagen, wenn durch die Taten oder Versäumnisse eines Klerikers der Glaube eines Menschen Schaden nimmt. Mir erscheint dies auch berechtigt, da ich ja keine religiöse Debatte losgetreten habe, sondern lediglich auf das eingehe, was ein anderer formuliert. Eine besorgte Kollegin nimmt mir den offensichtlich bereits gezündeten Molotowcocktail nun ab, indem sie mir das Wort aus dem Mund nimmt, in unsagbar frecher und impertinenter Weise ein anderes Thema anschneidet, und fröhlich sagt „Yes, I am changing the subject“. In ihrer Art lässt sie dabei keinen Zweifel daran, dass sie die Tischgesellschaft gerade vor Breitscheidplatz 2.0 gerettet hat und vor wem man die Runde schützen muss.  Ich bin völlig betäubt von dieser Demütigung und fasse es nicht, dass da gerade munter über Sternzeichen geredet wurde und ICH jetzt die Böse bin. Wieder einmal bewahrheitet sich, was die orthodoxe Liturgie betet: Man darf schlicht als Christ das Geheimnis nicht „den Feinden verraten“. Die gutgemeinte Geste, Nichtchristen an der eigenen Lebenswelt teilhaben lassen zu wollen, muss man so gut wie immer damit bezahlen, falsch verstanden und falsch dargestellt zu werden. Während es völlig in Ordnung war, eine Viertelstunde lang die Glaubensvorstellungen eines Astrologieadepten erörtert zu bekommen, ist bereits die schemenhafte Erwähnung christlicher Glaubensinhalte per se aggressiv. Kein Wunder also, dass man mir nichts, dir nichts zum Fanatiker geworden ist, ohne überhaupt etwas gesagt zu haben. Die einzige „Lösung“ ist, nur noch in Fragen zu formulieren um dem anderen keine Angriffsfläche zu bieten. „Wie kommst du darauf?“ „Warum denkst du das?“. Befremdlich ist, dass viele Menschen diese Pädagogik, die ich als zutiefst degradierend und bevormundend wahrnehmen würde, besser annehmen als Kommunikation auf Augenhöhe, die davon ausgeht, dass der andere des eigenständigen Denkens auch ohne Anleitung fähig sei.

Mich stört übrigens nicht einmal, dass man nicht erzählen darf von etwas, das einem am Herzen liegt. Was mich schockiert ist vielmehr, dass der groteske Wissensmangel niemanden mit Wissensdurst füllt. Wenn ich in einem buddhistischen Land leben würde, würde es mich zutiefst beunruhigen, über die Ursprünge und Zusammenhänge der Kultur dieses Landes nicht Bescheid zu wissen. Aus dieser Naivität heraus denke ich immer wieder, dass es Menschen sicher gefallen würde, über den katholischen Glauben informiert zu sein. Pustekuchen. Wer von Christus erzählt, ist Extremist. Wo ist eigentlich mein Langschwert? Ich hörte, es seien noch Baalspriester am Bach unterwegs.