Maria 2.0 – Dekadenz in Höchstform

Ich könnte mindestens 10 Beiträge darüber schreiben, wieso die Aktion Maria 2.0 unannehmbar ist. Allerdings wäre das zu viel der Aufmerksamkeit für diese medial überproportional aufgeblasene Propaganda. Ein bisschen abranten muss man aber dann doch, so einfach ein bisschen fürs Herz.

Erstmal: „2.0“. Ernsthaft? Wenn ich hinter irgendetwas „2.0“ setze, dann ist das bereits in sich eine humorige Maßnahme, schließlich ist dieser Zusatz um besondere Fortschrittlichkeit einer Sache anzuzeigen bereits ziemlich antiquiert. Wie immer kommen die Angehörigen der kirchensteuerfinanzierten deutsch-katholischen Individualkirche einfach zu spät in ihrem Ansinnen, den Zeitgeist zu umarmen. Er ist bereits weitergezogen. Das erinnert an eine Uroma, die „Voll geil, ey“ sagt. Hm…neee.

Was mich aber am allermeisten aufregt an diesem Projekt (unter vielen anderen Aspekten, die mich am allermeisten aufregen) sind die Gemälde, die das ganze künstlerisch untermauern sollen. Darauf abgebildet sind Frauen, die geknebelt sind, deren Mund zugeklebt ist. U.a. Maria selbst, auch noch als Ikone erkennbar – wenn Deutsche schon beleidigen wollen, dann im Rundumschlag. Lasst uns doch einfach noch die Orthodoxie so richtig anpissen, wenn wir schon dabei sind, uns lächerlich zu machen.

Dieses Bildschema für diese Aktion ist eine Frechheit und ein Schlag ins Gesicht einer jeden unterdrückten Frau weltweit und ich empfinde es als unbegreifliche Taktlosigkeit und Dreistigkeit, sich derart in Szene setzen zu wollen.

Überall auf der Welt gibt es Frauen, denen tatsächlich jede Stimme genommen ist. Viele Frauen werden schon vor der Geburt aussortiert, andere gleich danach umgebracht. Viele werden als Kinder oder auch als junge Frauen zwangsverheiratet, sie werden ausgenutzt, ausgebeutet, vergewaltigt. Viele, viele Frauen auf diesem Planeten ertragen unfassbares Leid, die meisten ohne jede Hoffnung auf Verbesserung ihrer Lage. Und in diesem Leid leidet auch Christus, der ja auch ihr Leiden in das seine am Kreuz hineinnimmt.

Ja, auch innerhalb der Kirche gibt es solches Leid. Es gibt nicht bloß frauenfeindliche Männer innerhalb der Kirche, wie die fürchterliche aktuelle arte-Doku* beweist, gibt es auch entsetzlichen Missbrauch, sogar Menschenhandel, dem katholische Frauen und Ordensfrauen zum Opfer fallen. So schlimm das ist, muss man zwei Dinge dazu festhalten: Obgleich jeder Fall einer zu viel ist, sind diese krassen Fälle trotz ihrer Schauerlichkeit wiewohl keine „Einzelfälle“ auch kein Regelfall. Die Mehrzahl der katholischen Frauen erlebt keinesfalls derartige Verbrechen, schon gar nicht europäische Frauen**. Das soll wie gesagt nicht marginalisieren, im Gegenteil, solchen Verbrechen gebührt Verfolgung, Offenlegung und Bestrafung, aber man muss doch immer in Relation und Verhältnismäßigkeit denken. Es so hinzustellen, als sei die Frau in der Kirche generell geknebelt, als höre man ihr nicht zu, ist einfach unwahr (und nebenbei bemerkt: Geistlicher Missbrauch, ob mit oder ohne sexuelle Komponente, ist nicht im geringsten ein „katholisches“ Problem. Er kann überall auftreten, wo Menschen sich in ihrem geistlichen Leben anderen anvertrauen. Wo Vertrauen geschenkt wird, kann es missbraucht werden).

Womit wir zum zweiten Punkt kommen: Dass es in Europa eine Emanzipation der Frau hat geben können, ist zu einem nicht unerheblichen Teil dem Christentum zu verdanken. Es ist das jüdisch-christliche Menschenbild, das die gleiche Würde von Mann und Frau im ersten Kapitel der heiligen Schrift ein für alle Mal festschreibt als in unserer Gottesebenbildlichkeit begründet und von Gott offenbart. Dies schreibt sich fort in Jesu Wirken und in den Lehrschreiben der Bibel, die deutlich machen, dass zwischen Mann und Frau zwar Unterschiede bestehen (wer wollte es leugnen), aber dass sie in der Gotteskindschaft gleiche Würde haben. Wer nun aufschreit, warum es dann doch so viel Unterdrückung auch im christlichen Abendland gegeben habe, dem sei zugerufen, dass das Christentum auch Diebstahl und Mord verbietet, und dass dennoch bis auf den heutigen Tag im christlichen Abendland gestohlen und gemordet wird (aktuell sind gerade Morde mit Armbrust en vogue – creepy). Das Christentum kann nur vermitteln, was gut ist, das Gute tun und das Böse unterlassen muss dann doch leider immer noch jeder selbst.

Für westeuropäische Frauen von heute ist diese Grundlage so selbstverständlich, dass sie sich keine Gedanken darüber machen, wo sie herkommt. Rückschläge durch Reformation und Puritanismus oder auch durch antimodernen Backlash, antikatholische Mythen etc. haben dafür gesorgt, dass man sogar meint, die Gleichwertigkeit von Mann und Frau habe man gegen die katholische Kirche errungen. Ein Blick in die Geschichte Europas zeigt, dass das Fake News erster Güte sind. Natürlich variierte die Lage der Frau je nach Gegend zum Teil sehr stark, aber oftmals waren sie erfolgreiche Geschäftsfrauen, konnten Besitz erwerben, erben und vererben. Zwangsheiraten waren verboten – obwohl natürlich dennoch zum Teil praktiziert, dies aber jedenfalls nicht mit Billigung der Kirche, die stets freiwillige Zustimmung beider Eheleute verlangte. Durch das Verbot der Mehrehe wurde die Frau als Partnerin aufgewertet, und zu vielen Zeiten war sie, je nach Schicht, auch gebildeter als ihr Mann und managte den gemeinsamen Haushalt- ich weiß, dass schlechte „historische“ Romane super gern mit dem Klischee aufwarten, man habe Frauen Bildung verweigert. Letztens durfte ich in einer Filmbeschreibung lesen, wie sich eine Katholikin in einen Hugenotten verliebt, der sie „sogar das Lesen“ lehrt – dazu ein saharastaubtrockenes *ha-ha-ha*, genau, weil ja damals Edelfrauen in Frankreich nicht lesen konnten, siehe La Reine Margot, die neben ihrem Ruf als femme très fatale vor allem wegen ihrer Bildung gerühmt wurde – genau wie so ungefähr jede venezianische Kurtisane, kurfürstliche Mätresse oder englische Hofdame, aber egal. Es ist definitiv wahrscheinlicher, dass ein hugenottischer Haudegen des Lesens nicht mächtig war. Es geht doch nichts über freie Nachdichtungen der Realität. Ach ja, Königinnen waren sie auch mitunter, Kaiserinnen, Regentinnen, Malerinnen, Dichterinnen, Musikerinnen, Wissenschaftlerinnen. Vor allem in den Klöstern konnten sie sich, ungestört von Männern und familiären Pflichten, nicht nur Gott, sondern auch seiner Schöpfung widmen. Dass sie dafür geschätzt und geachtet wurden, davon legen die unzähligen weiblichen Heiligen der katholischen Kirche Zeugnis ab. Ja, auch wer, wie Katharina von Siena, dem Papst höchstselbst die Leviten las, wurde heiliggesprochen. Nicht zu reden von den zahlreichen Heiligenlegenden, in denen es üblich ist, sich Männern und deren Wünschen zu widersetzen, und in denen diese Selbstständigkeit der meist jungen Märtyrinnen als wichtiger Teil ihrer Heiligkeit aufgefasst wird. Eine Kultur, die tatsächlich die Frau geringschätzt, sie als Objekt sieht, könnte so etwas nie hervorbringen, weil ja allein z.B. der Gedanke, sich nicht mit dem Sohn des Statthalters verheiraten zu lassen, weil frau lieber keusch bleiben will, unerhört und inakzeptabel wäre.

Wir halten fest: Wenn es einen Ort gab, wo Frauen mitunter trotz schwieriger Umstände und trotz einer oft frauenunfreundlichen Mehrheitskultur Achtung erfahren und sich entfalten konnten, dann die Kirche. Nicht immer und nicht überall, weil auch die Kirche eben aus Menschen besteht und diese den eigenen Auftrag und die eigene Lehre missverstehen oder mitunter nicht kennen. Aber generell, an den Zeugnissen gemessen, die wir haben, war und ist die Kirche ein Ort, an dem die Frau Frau sein darf und als Frau hohe Wertschätzung erfährt. Die angeblich bösen machtversessenen Priester sind sich nicht zu schade, eine Frau als Königin der Engel und höchstes Geschöpf zu preisen, sie sind sich auch nicht zu schade, die Kirche selbst als weiblich aufzufassen.

Während es also in nicht katholischen Kulturen Witwenverbrennung, Mädchenmord, Ehrenmord, Zwangsheirat gibt/gab, stellen sich heute deutsche Frauen hin, mit dem Bild einer geknebelten Frau, und tun so, als wäre ihre Lage verzweifelt. Während Bischöfe et al beschwichtigend-feige Verlautbarungen herausgeben, die Verständnis und Anteilnahme ausdrücken – man stelle sich vor, Frauen in IS-Gebiet, in Saudi-Arabien oder Iran würden eine ähnliche Aktion starten. Für mich bedeutet das, dass diese Frauen nicht nur jeden Kontakt zur Realität verloren haben, sie haben auch überhaupt keine Urteilskraft bezüglich ihres eigenen Stands und ihrer eigenen Privilegien, die sie u.a. durchaus auch dem Christentum verdanken. Das ist so, als würde sich ein Deutscher, der einen gebrauchten BMW fährt, eine Doppelhaushälfte und einen Hund besitzt, sich mit dem Bild eines verhungernden jemenitischen Kindes vor das Reichstagsgebäude stellen und behaupten, sein Elend sei das dieses Kindes, und die deutsche Regierung sei dafür verantwortlich, weil sie ihm keinen Palast finanziere und er immer noch in dieser Doppelhaushälfte wohnen müsse, also sozusagen in einer Wellblechhütte ohne fließend Wasser. Die Aktion Maria 2.0 ist dummdreist, dabei von der eigenen Rechtschaffenheit trunken und beredter Beleg für die grenzenlose Dekadenz der verweltlichten Gläubigen Nordwesteuropas.

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*Die Doku „Gottes missbrauchte Dienerinnen“  ist meines Wissens nach wegen einer einstweiligen Verfügung, gegen die arte allerdings vorgehen will, nicht in der Mediathek von Arte abrufbar. Man sollte das aber weiterverfolgen, sie ist sehenswert – Vorsicht, nichts für schwache Nerven, und leider und unnötigerweise mit antikatholischen Fake News und peinlicher Symbolhaftigkeit angereichert, was sehr schade ist, aber man sollte sich davon nicht über die erschütternden Darlegungen täuschen lassen.

**Die arte-Doku berichtet etwa über Strukturen, die Nonnen aus der Dritten Welt in eine Art Prostitution drängen, entweder, weil sie mittellos von ihren Orden nach Europa geschickt werden, oder weil sie in ihren Heimatländern von Priestern sexuell ausgebeutet werden, weil sie und ihre Orden arm sind und finanzielle Unterstützung brauchen – unfassbar, allerdings auch unter einem „antimodernistischen“ Aspekt interessant: Die Kirche hat lange Zeit trotz des Drängens der frommen Frauen traditionell Frauenorden restriktiver behandelt als Männerorden, ihnen weniger Radikalität zugebilligt, sie lieber in der sicheren Klausur des Klosters oder in Einheit mit Hospitälern oder Schulen untergebracht, sie dadurch aber auch materiell geschützt – vielleicht doch gar nicht so doof und unterdrückend?!