Fasten #2 – Fasten als Schule der Losschälung

>>>zu Teil 1. – Immer wieder erlebe ich in innerkatholischen Gesprächen über das (leibliche) Fasten, dass dieses Thema – für mich erstaunlicherweise – häufiger angstbesetzt ist.

Dabei ist die Angst, die sich äußert, zuerst die vorm „Scheitern“. Das scheint mir einer unglücklichen Zielsetzung geschuldet. Ich bin selbst jemand, der nur zu gern hinter ein Vorhaben Häkchen setzt. In meiner Eigenschaft als Rheinländerin bin ich aber auch jemand, der mit einem gerüttelt Maß Laissez-Faire ausgestattet ist. Ich bin sozusagen genetisch unfähig zu Perfektionismus (meine ich jedenfalls). Aber auch für alle Vollpreußen gilt: Bevor ich ein Vorhaben für gescheitert erkläre, muss ich zumindest geklärt haben, wozu es denn hatte führen sollen. Das Ziel des Fastens ist nicht, gefastet zu haben, sondern geistliches Wachstum, das wir u.a. mit den Worten Läuterung, Bekehrung, Buße, etc. umschreiben können. Nehmen wir an, ich erfülle einen Fastenvorsatz nicht, oder nehmen wir (in Bezug auf Teil 1) an, ich habe einen Vorsatz als den Richtigen erkannt, will ihn aber nicht vornehmen, weil ich die Mühe scheue. Wage ich den Schritt, vor mir selbst die eigene Unfähigkeit zu bekennen (was alles andere als leicht ist), so wachse ich dadurch in meinem geistlichen Leben, weil ich mich traue, aufrichtig zu sein und mich so, wie ich bin, zu erkennen. Der Umgang mit meinem „Scheitern“ entscheidet also, ob es dennoch ein Erfolg ist. (Andersherum kann man natürlich auch „erfolgreiches“ Fasten in ein Scheitern „verwandeln“, indem man sich für besonders toll hält, weil man „es geschafft“ hat.).

Nun gibt es zusätzlich eine Angst, die uns daran hindert, derart aufrichtig zu sein. Es ist die Angst davor, die eigene Schwäche erkennen zu müssen – was zwangsläufig geschieht, wenn wir richtig fasten (wie auch immer das individuell aussieht), weil das Erkennen der eigenen Niedrigkeit Bestandteil der Umkehr zu Gott ist. Warum aber fürchten wir uns davor? Theoretisch wäre es so einfach: Wir erfassen unseren tatsächlichen Zustand (elendig). Dadurch lassen wir unsere Selbsttäuschung fahren und werden ganz ergriffen von Gottes Wahrheit, von seiner Realität. Und damit werden wir auch gewahr, dass er selbst uns unendlich würdigt und zu sich erhebt.

Das bedeutet, dass wir lernen, von uns selbst abzusehen und uns nicht mehr selbst zu beurteilen, sondern uns bis in die tiefste Seele hinein mit den Augen Gottes betrachten zu lernen (keine Sorge, ich rede hier von einer Lebensaufgabe ;)). Zwei Dinge stehen uns dabei potentiell im Weg: Wir können Gefahr laufen, unser Urteil insgeheim über das Urteil Gottes zu stellen. Oder wir projizieren unser Urteil auf Gott und halten unsere Meinung für die seine. Dann trauen wir uns nicht mehr, unsere eigene Unzulänglichkeit aufrichtig zu betrachten, weil wir viel weniger barmherzig und freundlich sind als Gott und diese Haltung unbewusst Gott unterschieben.

Der eigentliche Glaubensakt hier ist, tatsächlich im festen Vertrauen zu stehen, dass Gott mich trotz meiner Schwäche liebt, und mich tatsächlich in meiner Schwäche erhöht. Das funktioniert übrigens auch mit dem Zweifel über genau diesen Sachverhalt: Ich kann auch den Klein- und Unglauben über diese unendliche und unbedingte Liebe aufrichtig hinlegen, so wie sie sind und als meine Schwäche bekennen und dann daraus auch wieder Verdemütigung ziehen, die mich von Selbsttäuschung befreit und zu Gott trägt. Und wenn ich noch nicht mal das schaffe – umso besser, schon wieder ein Stückchen mehr an Klarheit über die eigene Beschaffenheit! Schaffen wir es, uns bedingungslos Gott zu überlassen, werden wir von einer unbeschreiblichen, friedvollen und lichtdurchfluteten Gelassenheit erfüllt. Gerade weil in der Erhöhung durch Gott unsere Schwäche aber am deutlichsten hervortritt, ist dieser Schritt besonders schwer. Darum versuchen wir, doch irgendwie an uns festzuhalten.

Natürlich lernt man das, was ich hier beschreibe, auf mannigfaltige Weise. Keineswegs ist nur die Fastenzeit eine, in der man in Selbst – und Gotteserkenntnis wachsen darf. Aber ich schätze die konzentrierte und zugleich übersichtliche Atmosphäre dieser 40 Tage, die es uns erleichtert, uns damit auseinanderzusetzen. Wenn ich z.B. einen Fastenvorsatz kippen muss oder bemerke, dass ich zu träge bin, um das umzusetzen, was nötig wäre, dann kann es eine fruchtbare geistliche Übung sein, genau dies zu akzeptieren. Oder sagen wir, ich bin voll in Fahrt, habe dummerweise aber noch Wurst zu Hause, die weg muss – es kann sagenhaft schwer sein, dann Eigenwillen und Eitelkeit fahren zu lassen und sie einfach zu essen! Hier bietet sich also ein Mikrokosmos, ein – im besten Sinne – safe space für Selbsterkenntnis, die zur Gotteserfahrung führt.

Wir dürfen angstfrei und neugierig bis auf den Grund in der Schatztruhe Quadragesima wühlen; sie nicht nur als irgendwie abzuleistende oder durchzustehende Zeit begreifen, sondern als Abenteuer; nicht als Workout auf dem Laufband, sondern als Wanderung durch eine atemberaubende Berglandschaft; es kann eine Zeit sein, die unser Leben nachhaltig verändert.