Rückzug der Kirche? – Corona #2

Ist der Glaube der Kirche in Deutschland ein Schönwetterglaube? Diese Frage stellen sich im Augenblick so einige. Zuerst einmal ist da die Verantwortungsscheue, mit der die Kirche und auch die EKD (katholische Kirche und EKD werden ja von der säkularen Öffentlichkeit und auch von vielen Gläubigen als „die beiden großen Kirchen“ wahrgenommen, auch wenn das theologisch nicht korrekt ist) Gottesdienste ausgesetzt haben. Dabei ging es, so scheint es mir, weniger um Staatshörigkeit denn um Angst, verantwortlich gemacht zu werden, sollten sich Gottesdienste als Infektionsherde erweisen. Und man muss ganz klar sagen: Wäre es so gekommen, hätten sich die Medien auf die unaufgeklärten, abergläubischen, unvernünftigen Christen gestürzt, die alle gefährden. Dass Einkaufen mitunter mehr Ansteckungsgefahr bietet, als ein Werktagsgottesdienst in einer Kathedrale, fiel wohl niemandem in verantwortlicher Position auf oder ein. Nun bleibe ich aber unbeirrter Idealist und meine, gerade hier und gerade jetzt hätten die Kirchen einen Beitrag dazu leisten können, den Unterschied zwischen Panik und Vernunft deutlich zu machen, und einen Raum für das verantwortliche, freie Handeln des Einzelnen eröffnen können. Kurz, sie hätten dem demokratisch-freiheitlichen Staat vorleben können, was Freiheitlichkeit heißt.

Statt dessen hat man versucht und bemüht sich weiterhin, das kirchliche Leben ins Internet zu verlegen, durch Livestreams etc. die Messe in die Häuser zu bringen und über verschiedene Kanäle Anregung und Anleitung zum häuslichen religiösen Leben zu geben. Ich meine, man müsste nicht dieses unterlassen, um auch das andere zu tun, aber immerhin: Es wird etwas getan.

Nun macht in meiner Bubble ein Artikel aus dem Südkurier die Runde, der den Rückzug der Kirche in der Krise beklagt: „Verschlossene Kirchen, Pfarrer auf Tauchstation: Die Kirchen geben in der Coronakrise kein gutes Bild ab„. Gerne ist man als Gläubiger geneigt, einzustimmen. „Seht ihr, sogar die Säkularen checken, dass ihr feige Heuchler seid“. Das war auch mein erster Impuls, und ich denke, er ist auch zum Teil berechtigt. Allerdings finden wir selbst hier den Hang, in Sachen Kirche Fake News den Vorzug zu geben. So sind etwa in vielen Bistümern die Kirchen nun gerade zum Gebet geöffnet. Wie es die Protestanten halten, weiß ich natürlich nicht, aber deren Kirchen sind ja normalerweise geschlossen. Kein öffentlicher Gottesdienst ist eben nicht gleich geschlossene Kirche. Auch sind in manchen Bistümern nun die Priester angewiesen worden, jeden Tag die Messe privat zu feiern. Was für ein Triumph für all jene, die seit Jahrzehnten darunter leiden, dass die Messe zum Sozialclub verkommt! Von „Priester auf Tauchstation“ kann also nicht die Rede sein, jedenfalls ist das als genereller Vorwurf schlicht unfair.

Der Artikel deckt aber dennoch ein Problem auf: Das, was die Kirche in Deutschland gerade vorrangig tut, ist pragmatischer Dienst am „Stammpublikum“. Mission geht damit weitgehend den Bach runter, denn ob man es glaubt oder nicht, die Leute dürsten eben nicht danach, dass ihnen im Internet eine Messe übertragen wird. Sie brauchen ein mutiges Vorbild von Glaube und mit dem Glauben im Einklang stehender Tat. Sich allein im Livestream zu verkriechen und zu beten „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“, gibt nun einmal keine authentische Botschaft ab. Wenn der Eindruck entstehen kann, Klopapier kaufen sei lebensnotwendig, die Mitfeier der Messe nicht, wieso sollte irgendwer annehmen, dass der Gott, dem letztere gilt, irgendwas zu melden hätte in der Welt? Jeder irrationale Aberglaube scheint da in sich logischer. Ich kann nicht diesseitig leben und gleichzeitig auf ein himmlisches Ziel verweisen, eine andere Botschaft hat die Kirche aber nun einmal nicht zu bieten. Besonders spannend ist dies im Hinblick auf die neuen Medien. Hierzulande wird viel Geld in die Hand genommen und verpulvert um medial mitzuhalten. Die Kirche steht aber für echtes Leben, nicht für eines unter dem Instagramfilter. Das haben die Menschen genug, dafür brauchen sie Kirche nicht. Interessant, dass der nun aus nachvollziehbaren Gründen erfolgende Fokus auf alternative (moderne) Medien zur Glaubensvermittlung anscheinend außerhalb katholischer Kreise wenig bis nicht ankommt. Man scheint hier zu spüren, dass die Kirche eigentlich einer klickzahlgenerierten Relevanz echte Relevanz entgegenstellt (entgegenstellen sollte).

Dabei müssten wir jetzt einfach nur das tun, was unsere liebe Modernistenfront so eifrig fordert, wenn es gerade opportun ist: Auf den Papst schauen. Er hat sich schnell und entschlossen gegen die Schließung der Kirchen in Rom gewandt, die ergreifende Anbetungsstunde auf dem Petersplatz hat Menschen weltweit berührt und gestärkt, auch sonst dem Glauben fernstehende Leute. Ja, weil sie sich auf den Kern unseres Glaubens bezogen hat, sicher. Aber auch, weil sie das entfaltet hat, was die katholische Kirche einfach unbestritten am besten kann: Sie kann jede Krise unter kraftvolles, symbolgeladenes Dauerfeuer setzen, das Hoffnung gibt, und das ist es, was die Menschen nun einmal brauchen.

Es ist also nicht richtig, dass die Kirche sich einfach zurückgezogen hätte. Ich erfahre auch viel von hingebungsvollen Priestern, die gerade tun, was sie können. Dieser Vorwurf greift zu kurz. Aber unsere Bischöfe haben sich vor allem in Amtsdeutsch geübt, statt in den reichen Fundus unserer kirchlichen Sprache und kirchlichen Ausdrucksweise zu greifen. Ich habe ein Interview mit Jogi Löw gehört, in dem er über Corona in spirituellerer Weise spricht als so einige Pfarrer, die ich bisher dazu gehört habe (gemäß seines Weltbildes natürlich). Wieso traut sich unser Bundestrainer, in Corona einen wie auch immer gearteten Ruf zu Buße und Umkehr zu erblicken, während ein wirklich toller Priester sich gerade einmal traut, zu sagen, Gott wolle uns damit, dass er Corona zulässt, „vielleicht“ etwas sagen?

Ich sehe unser Hauptproblem eher darin: In der Krise erkennen viele Menschen, dass es hier um mehr geht als bloß um ein Virus. Sie sind durch diese Situation eine Station weitergekommen, die Kirche kann sie also nicht mehr da abholen, wo sie vorher standen; im Grunde hat sie in Deutschland aber auch ihren Shuttledienst ohnehin eingestellt und kümmert sich nur noch um die, die eh da sind. Sie hätte Antworten und jetzt wäre der Augenblick, sie anzubringen, schließlich haben die Menschen im Augenblick außer Panik schieben wenig zu tun (abgesehen von denen, die jetzt arbeiten bis zum Umfallen und kirchlichen Trost umso mehr nötig hätten). Aber dazu hätte es Mut gebraucht, und daran fehlte es ganz offensichtlich. Außerdem hätte es dazu der Geistesgegenwart bedurft, dem Panikimpuls sofort etwas Substanzielles entgegenzusetzen – für Kirchenvertreter, die gerne auf die „Zeichen der Zeit“ hinweisen, ein Armutszeugnis, hier hat man sie offensichtlich verschlafen.